Ein Phänomen – nicht nur in Alaska

Wenn in der Lorze die Seeforellen hüpfen

Norbert Oberholzer hat ein Gschpüri für Fisch. Seit Jahrzehnten beobachtet er Seeforellen bei ihrer Wanderung in der Lorze. (Bild: Roland Gisiger/wia)

Aufmerksame Spaziergänger im Gebiet der Oberen Lorze konnten Zeugen eines besonderen Ereignisses werden: Die Seeforelle wandert flussaufwärts, um zu laichen. Ein Zuger verfolgt das Phänomen jährlich. Falls er nicht zu spät kommt.

Feisse Lachse, die flussaufwärts ziehen, behände über kleine Wasserfälle springen, daneben warten Bären aufs Mittagessen, das ihnen im Idealfall direkt ins Maul fliegt. Das Phänomen, das wir insbesondere von Alaska oder Westkanada kennen, gibt es auch in der Lorze zu bestaunen. Minus die Bären. Und mit dem Unterschied, dass hier nicht die Lachse, sondern die Seeforellen bachaufwärts wandern.

Im oberen Teil der Lorze, nahe dem Elektrizitätswerk, suchen sie sich Laichplätze. Das Weibchen gräbt zu diesem Zweck Gruben in den Kies, in den sie ihren Rogen legt und danach wieder zudeckt. Gleichzeitig findet die Besamung durch die männlichen Tiere statt. Ein bis zwei Jahre später wandern die Jungfische zurück in den See.

Der Chamer fängt die seltenen Forellensprünge mit der Kamera ein

Einer, der sich seit Jahrzehnten mit diesem jährlich wiederkehrenden Phänomen befasst, ist Norbert Oberholzer. Um die Fische beim Springen zu beobachten, stellt der Chamer jährlich, wenn die Zeit gekommen ist, seine Videokamera im Lorzentobel auf. Er filmt die Tiere bei ihren Sprüngen und macht sie auf Youtube für die Öffentlichkeit zugänglich. Über 1000 Abonnenten hat der agile 81-Jährige bereits.

«Heute ist das Filmen wesentlich einfacher als früher. Mit den damaligen Kameras konnte man bloss ungefähr eine Stunde aufnehmen und musste demnach stets danebenstehen. Heute reicht der Akku der Kamera einen ganzen Tag, rund sieben Stunden. Ich muss also nicht immer vor Ort sein und kann mich anderem widmen», erzählt Oberholzer.

Der grösste Aufwand folge indes erst später mit der Sichtung des Materials und dem Schneiden des Films. «Täglich kommen 160 Gigabyte Material zusammen. Damit ich nicht allzu viel Zeit für die Bearbeitung brauche, lasse ich acht Aufnahmen parallel laufen. Das heisst, ich muss sehr gut hinschauen, um nichts zu verpassen.»

Sinkt der Luftdruck, schwimmt die Forelle gegen den Strom

Um die Seeforelle während ihrer Wanderung beobachten zu können, brauche es mehr Wissen als Sitzleder, ist Oberholzer überzeugt. Nicht nur, weil die Wanderung der Tiere nie zur selben Zeit passiere. «In diesem Jahr kamen sie nicht im November wie in anderen Jahren, sondern bereits Ende Oktober. Ein Kollege hatte mich darauf aufmerksam gemacht.» Es sei schon vorgekommen, dass er den Moment gänzlich verpasst habe.

«Damit die Fische über die Schwellen springen können, braucht es genügend Wasser respektive Niederschlag. Heuer flossen anfangs drei bis vier Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Der Grossteil der Fische kam erst, als die Lorze innert weniger Tage auf 25 Kubikmeter anschwoll.» Der Hobbyfischer weiter: «Ich habe die Beobachtung gemacht, dass der Luftdruck eine Rolle spielt. Kein Wunder, steht dieser doch direkt im Zusammenhang mit dem Wetter.» Dieses Jahr sprangen die Seeforellen bei Vollmond. «Ich werde künftig beobachten, inwiefern dies eine Auswirkung auf das Verhalten der Tiere haben könnte», sagt Oberholzer.

Die Schwellen sind oft fast zu hoch

Schaut man sich die Videos des Hobbyfilmers an, fällt eines ganz besonders auf: Die Reise gegen den Strom ist nicht leicht. Oft brauchen die Fische viele Anläufe, bis ihnen der Sprung über die künstlich gebaute Schwelle gelingt. Roman Keller, der Abteilungsleiter Jagd und Fischerei beim Kanton, sagt auf Anfrage: «Heute würde man, wo immer es aus Hochwasserschutzgründen möglich ist, auf solche unüberwindbaren Schwellen verzichten.»

Diese nämlich würden nicht nur für Seeforellen ein Problem darstellen, sondern auch die Wanderung von anderen in den Gewässern lebenden Fischarten behindern. «Deshalb werden sie wo möglich und an besonderes problematischen Orten bei Bachsanierungen durch Massnahmen ersetzt, die keine unüberwindbaren Hindernisse für die Fischwanderungen darstellen.»

Oberholzer nennt die Lorze ein «schwieriges Gewässer» für die Seeforelle. «Dennoch ist sie fast der einzige Fluss, der in den Zugersee mündet und für die Wanderung geeignet ist.

Das heisst? «Oft führt sie wenig Wasser, was den Aufstieg für die Fische erschwert. Doch auch zu viel Wasser ist ein Problem. Heuer kam kurz nach dem Laichen der Dauerregen. Ich bin sicher, dass ein Grossteil der Laichgruben dadurch zerstört und der Laich dadurch weggeschwemmt wurde.»

Norbert Oberholzer hat viele Talente. Er ist handwerklich begabt, hat einen grünen Daumen und ein Gespür für die Unterwasserwelt des Zugersees. (Bild: wia)

Der Alet lauert auf die Jungfische

Zudem sei der Bachlauf nicht überall ein geeigneter Lebensraum für die Seeforelle. «Bei der Spinnerei in Baar wurde die Lorze vor einigen Jahren renaturiert. Das mag zwar natürlich aussehen, ist aber für die Seeforelle eine Katastrophe. Zwischen Spinnerei und Wald gibt es praktisch keine Stelle, an der sich die Tiere verstecken respektive wo sie verweilen könnten. Erst weiter oben verbessert sich die Situation.»

Was der Seeforelle zusätzlich zu schaffen macht: der Alet, auch Döbel genannt. Dieser lebt unter anderem in der Lorze. «Es handelt sich dabei um einen Raubfisch. Meine Erfahrung ist, dass dieser die kleinen Fische frisst.» Last, but not least, ist auch der Zugersee per se kein ideales Habitat für die Fische. Der Phosphorgehalt im Gewässer ist bekanntlich exorbitant, entsprechend wenig Sauerstoff bleibt den Tieren (zentralplus berichtete).

Seeforellen werden in Walchwil künstlich erbrütet

Um das Risiko eines Totalausfalls zu reduzieren, wird der Laich von Seeforellen auch künstlich erbrütet. Zu diesem Zweck führt der Kanton Zug jährlich sogenannte Abfischungen durch. Die Forellen werden aus der Lorze gezogen und in der Fischbrutanstalt Walchwil abgestreift. Dort werden Jungfische künstlich aufgezogen und später wieder in den See entlassen.

Das Ausfischen ist übrigens der Grund, warum Oberholzers Interesse an der Fischwanderung überhaupt geweckt wurde. «Ich half dem Kanton Zug vor Jahrzehnten schon dabei, die grossen Forellen im Rahmen der Bestandssicherung zu fangen», sagt der gebürtige St. Galler.

Das Filmen von Seeforellen auf ihrer Wanderschaft ist längst nicht Oberholzers einziges Hobby. Mit viel Leidenschaft baut er Holzspielsachen, die er an Märkten verkauft. Die Löcher der niedlichen bunten Holzkässeli fräst der einstige Feinmechaniker mithilfe der selbst programmierten CNC-Maschine heraus. Ausserdem unterhält der Chamer einen Schrebergarten in Baar und führt Interessierte durch das Fischereimuseum Zug. Dass er daneben auch regelmässig auf seinem eigenen solarbetriebenen Fischerboot anzutreffen ist, versteht sich von selbst.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Norbert Oberholzer
  • Schriftlicher Austausch mit Roman Keller
  • Youtube-Plattform von Norbert Oberholzer
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3 Kommentare
  • Profilfoto von Hans Peter Roth
    Hans Peter Roth, 04.12.2023, 15:09 Uhr

    Interessanter Bericht. Könnten die zuständigen Gemeinden den Fischen nicht eine Fischtreppe neben den hohen Schwellen spendieren? Am Geld sollte es ja nicht mangeln.

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  • Profilfoto von Hanswurst
    Hanswurst, 02.12.2023, 17:37 Uhr

    Interessanter Artikel, danke. Pro memoria aus dem Buch „Vierwaldstättersee“: Noch 1890 werden Atlantische Lachse bis nach Amsteg, Engelberg und gar Schüpfheim beschrieben. Und am 1. Dezember 1764 fing ein glücklicher Fischer 110 Lachse mit bis 35 Pfund Gewicht aus der Reuss bei Luzern.

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  • Profilfoto von Hegard
    Hegard, 02.12.2023, 09:17 Uhr

    Danke fur den ausführlichen Professionellen Bericht!
    Könnte aber leider ein Fehler sein,der gewisse Leute ausnützen

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