Wie weiter im Krienser Hinterschlund?

In der Wagenburg lebt es sich trotz Illegalität gemütlich

Seit zweieinhalb Jahren illegal da, aber steht immer noch: die Wagenburg Hinterschlund. (Bild: mik)

Mit dem Einreichen des Baugesuchs ist die Wagenburg auf dem Areal Hinterschlund wieder ins öffentliche Visier geraten. Seit zweieinhalb Jahren stehen die Wagen auf dem Kiesplatz. Doch wie es weiter geht, vermag niemand zu sagen.

«Areal betreten verboten», prangt an der Tür des hölzernen Wagens, dessen dunkelbraune Farbe durch Wind, Regen und Sonne stellenweise zu Hellgrau wurde. Jedoch sind es nicht die Spaziergänger oder Gwundernasen, die sich verbotenerweise auf dem Kiesplatz Hinterschlund in Kriens aufhalten. Sondern der Wagen – respektive dessen Bewohner.

Seit rund zweieinhalb Jahren besetzt eine Gruppe, die inzwischen als «Wagenburg Hinterschlund» bekannt ist, die leere Fläche zwischen Ringstrasse und Kuonimatt. Das Areal liegt auf Krienser Boden, gehört aber der Stadt Luzern. Dereinst soll darauf ein «dichtes und durchgrüntes» Quartier entstehen. Gegenwärtig ist es eine grosse leere Wiese mit Kiesplatz, die gelegentlich als Parkplatz für Zirkus oder Määs-Schausteller herhält. Und Stellplatz für gut ein Dutzend Personen, die eine Wohnform alternativ zu «normierten, teuren Mietwohnungen» ausleben wollen (zentralplus berichtete).

Das Areal Hinterschlund: leere Wiese und Wagensiedlung. (Bild: mik)

Versuche für legale Nutzung

Ein erster Versuch, aus der Besetzung eine legale Nutzung zu machen, ist gescheitert. Die Stadt Luzern schrieb das Areal zur Zwischennutzung aus, auch die Wagenburg hatte sich beworben. Doch die von der Stadt geforderten 50’000 Franken jährlich erachtete sie als zu viel. Denn die Stadt wollte Wasser- und Stromanschluss nicht zur Verfügung stellen. Derzeit behelfen sich die Bewohner mit eigenen Solarpanels, sammeln Regenwasser in Badewannen und Plastiktonnen und erhalten Trinkwasser von einer Nachbarin. Zu ihrem Glück hat auch das andere eingereichte Projekt die Stadt Luzern nicht überzeugt.

Versuch Nummer zwei ist ein Baugesuch, dass sie vor rund zwei Wochen auf Verlangen der Stadt Kriens eingereicht haben. Dass das von Erfolg gekrönt sein kann, zeigt die Wagenburg im Industriequartier Ibach, dessen Verein der Stadt Luzern eine monatliche Nutzungsgebühr für den Platz zahlt (zentralplus berichtete). Bereits hat aber die Krienser SVP-Einwohnerrätin Rahel Schnyder kritische Fragen zum Baugesuch gestellt. Und Vertreter der FDP, Mitte und SVP fordern per Postulat die «Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes auf dem Hinterschlund».

Recycelnde Anarchisten

Mit rund zwei Dutzend Bauten hat sich die Gemeinschaft ein Lager aufgebaut: von Wohnwagen, selbst gebauten Holzwagen, umgebauten Bussen bis hin zu Bauanhängern mit angebauter Veranda. Sie sind im Kreis angeordnet, wie die Wagenburgen in alten Westernfilmen, die vor neugierigen Blicken und Überfällen schützen sollen.

Die Bewohner im Hinterschlund sind jedoch eher Wild-West-Bünzlis. Zwar schmückt ein schwarzes Anarchismussymbol eine Wand eines zitronengelben Toilettenhäuschens. Vor dem Holzkabäuschen stehen jedoch blaue Fässer, beschriftet mit «Compo WC». Sie hätten mit der Abfallentsorgung Real eine eigene Vereinbarung zur Entsorgung ihres Unrats getroffen, wie die Bewohnerinnen in einer «SRF»-Reportage erklären.

Hinter einem Wagen gibt es eine Recyclingstation mit Containern für Altpapier und Karton, Harassen für Alu und PET. Entscheidungen treffen die Bewohner demokratisch als Kollektiv, etwa wer zu ihnen hinzustossen darf. Pro Wagen wandern 100 Franken in eine Gemeinschaftskasse, um damit Bauholz, Lebensmittel und den Betrieb der Solaranlagen zu finanzieren. Und statt vor bewaffneten Banditen zu Pferd verteidigt sich die Gemeinschaft vor Amtsschimmeln und Politikerinnen, die mit ihren Vorstössen auf sie schiessen.

(Bild: mik)
(Bild: mik)
(Bild: mik)

Stadt Luzern mauert

Die Stadt Kriens selbst äusserst sich auf Anfrage wegen der hängigen Vorstösse und des Baugesuchs nicht. Die Stadt Luzern als Eigentümerin des Areals will sich wiederum «aus Respekt» der Stadt Kriens gegenüber nicht äussern. Auch sonst verliert der städtische Leiter Immobilien Marko Virant nicht mehr Worte als nötig zur Wagenburg.

Ja, man sei noch mit den Bewohnern in Kontakt. Die Suche nach einer legalen Nutzung des Geländes laufe, aber noch ohne Ergebnis. Die auf Eis gelegte Zwischennutzung, deren städtische Website ein Bild der Wagenburg ziere? Gespräche mit Interessenten für eine Zwischennutzung würden laufen, aber noch sei nichts konkret. Wie es um ihre eigens lancierten Strafverfahren stehe? Solle man die Bewohner fragen.

Gemäss der Luzerner Staatsanwaltschaft sind neun Verfahren rechtskräftig abgeschlossen mit Strafbefehlen. Verurteilt wurden die Bewohner zu bedingten und unbedingten Geldstrafen, und sie mussten die amtlichen Kosten übernehmen. Ein weiteres Verfahren ist noch hängig. Weitere Anzeigen gibt es nicht.

Bewohner möchten sich derzeit nicht äussern

Ruhig ist es an diesem Mittwochnachmittag auch in der Wagenburg. Zumindest so ruhig, wie es neben der Ringstrasse sein kann, auf der alle paar Minuten Autos in Richtung Autobahn rauschen. Ein paar Vögel zwitschern, und gelegentlich hört man ein Flattern. In einer Ecke des Wagenlagers steht ein kleines rundes Gehege mit fünf Hühnern. Zuerst schauen sie etwas verdutzt, widmen sich aber bald wieder den Salat- und Rüebliresten, die am Boden verteilt sind. Der Hahn beginnt zu krähen. Einmal, zweimal, fünfmal. Wohl beleidigt, dass sich trotzdem niemand regt.

(Bild: mik)

Doch auch die Wagenburg-Bewohner gehen einer Arbeit nach. Sie seien in der Stadt Kriens gemeldet und würden da Steuern zahlen, wie das «SRF» in der Reportage berichtet. Gern hätte zentralplus selbst mit den Bewohnerinnen gesprochen. Doch eine Medienanfrage blieb unbeantwortet. Und als wenig später eine junge Frau mit ihrem Auto zufährt, erklärt sie, die Gemeinschaft möchte sich nach den kürzlich erschienen Medienberichten vorerst nicht mehr öffentlich äussern.

Sie fühlen sich relativ sicher

Ihre Absichten sind dennoch klar: Sie möchten bleiben. Inzwischen haben sie sich die Brache zum Heim gemacht. Vor den Metallgittern des Areals steht ein Briefkasten, auf dem neun verschiedene Namen kleben. Zwischen den Wagen gibt es Gemüsebeete. Kleine Hölzchen zeigen, was unter den verschiedenen Blättern heranwächst: Radieschen, Thymian, Kamille, Salat. Es riecht nach frisch aufgetragener Farbe. Neben den Wohnwagen gibt es zusätzlich einen mit Holz gezimmerten Werkzeugschuppen, einen kleinen Ruheraum und eine überdachte Lounge. Auf dem Boden führen vereinzelt Bretter oder Steinplatten zu den Wagen.

Dass sie diese bald aus dem Boden reissen müssen, glauben sie selbst nicht. Zumindest nicht, dass das sofort und ohne Vorwarnung geschehe. In der «SRF»-Reportage drückt eine Bewohnerin das so aus: «Was wollen sie tun? Mit zehn Traktoren gleichzeitig kommen?»

(Bild: mik)
(Bild: mik)

Auch die Pläne für einen provisorischen Ökihof auf dem Areal Hinterschlund bedrohen die Wagenburg nicht. Ursprünglich sollte dieser 2024 gebaut werden. Doch wie Real-Mediensprecher Fabian Zumbühl auf Anfrage sagt, lägen derzeit noch keine konkreten Pläne oder Beschlüsse dafür vor. Zudem verweist er auf die gescheiterte Ausschreibung der Zwischennutzung durch die Stadt Luzern. Real sei nach wie vor mit den involvierten Gemeinden und Städten im Gespräch. Doch selbst wenn der Ökihof dereinst auf dem Areal gebaut würde – die Wagenburg würde dadurch nicht tangiert, so Zumbühl.

Am Eingang präsentiert eine Holztafel gwundrigen Besuchern das Manifest der Gemeinschaft. Gegen mutlose, bornierte Politiker, gegen egoistische Eigentümerinnen, gegen Planung der Rendite und Kaufkraft willen. Der unterste Teil der Inschrift ist mittlerweile verblasst, der Schriftzug: «Schön bist du da, lasst uns zueinander Sorge tragen», kaum mehr lesbar. Scheinbar wird dieser Appell nicht mehr gebraucht.

(Bild: mik)
Verwendete Quellen
  • Augenschein vor Ort
  • Persönliches Gespräch und Telefonat mit Bewohnerinnen
  • Medienarchiv zentralplus
  • SRF-Reportage zur Wagenburg
  • Interpellation von SVP-Einwohnerrätin Rahel Schnyder
  • Schriftlicher Austausch mit Fabian Zumbühl, Mediensprecher Real
  • Postulat von Matthias Erni (FDP) und Mitunterzeichnern
  • Website der Stadt Luzern zum Areal Hinterschlund
  • Schriftlicher Austausch mit Simon Kopp, Mediensprecher Luzerner Staatsanwaltschaft
  • Schriftlicher Austausch mit Marko Virant, Leiter Immobilien Stadt Luzern
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Kritischer Blick
    Kritischer Blick, 02.04.2024, 09:02 Uhr

    Entscheidungen treffen die Bewohner demokratisch als Kollektiv, etwa wer zu ihnen hinzustossen darf. Mit anderen Worten: Wer auf diesem Grund und Boden stehen darf, entscheiden nicht die Stadt Kriens und Stadt Luzern, sondern das Kollektiv? Seltsames Verständnis von Freiheit!

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