Luzerner Denkmalpflege verteidigt Bauten

«Hand aufs Herz, das ist doch ein hässliches Gebäude»

Laut Mathias Steinmann von der Denkmalpflege ein prominenter Zeuge des «Neuen Bauens»: das Gewerbegebäude an der Tribschenstrasse. (Bild: mst)

Nicht alle schützenswerten Gebäude in der Stadt Luzern sind auf den ersten Blick ästhetisch ansprechend. zentralplus wollte bei einem Rundgang von der Denkmalpflege wissen, weshalb sie sich trotzdem dafür einsetzt.

Luzern ist bekannt für architektonische Schönheiten wie die Jesuitenkirche, die Kapellbrücke, das KKL und generell (fast) die ganze Altstadt. Luzern kennt aber auch Bauten, die – sagen wir es nett – von fragwürdiger Schönheit sind.

Trotzdem werden einige Gebäude, welche in die zweite Kategorie fallen, von der kantonalen Denkmalpflege als «schützenswert» oder «erhaltenswert» eingestuft. zentralplus wollte von den Verantwortlichen wissen, warum vermeintlich hässliche Objekte geschützt oder erhalten werden sollen. Die Redaktion hat dazu einige Gebäude herausgepickt, die ihrer – völlig subjektiven – Meinung nach ästhetisch wenig ansprechend sind, und sich mit Mathias Steinmann, Leiter der Abteilung Inventare bei der kantonalen Denkmalpflege, auf einen kleinen Stadtrundgang begeben.

Der Anfang der modernen Architektur

Erster Halt: Bundesplatz. Es ist 16 Uhr an einem Wochentag, der Verkehr donnert am Dienstgebäude, in dem möglicherweise dereinst das Café Fédéral Gäste empfangen soll, vorbei. Das – darf man das sagen? – uringelbe Gebäude lässt sich vom Verkehr aber nicht beeindrucken.

Wenig beeindruckt ist auch zentralplus, aber viel eher wegen des Gebäudes, das die Denkmalpflege als «schützenswert» beurteilt. Frage an Mathias Steinmann: «Wieso kann man das nicht einfach abreissen und Platz machen für eine neue Lösung?»

Steinmann, 59-jährig, sportlich und mit schickem Velo unterwegs, holt aus: «Die Aufgabe der Denkmalpflege ist es, das baukulturelle Erbe des Kantons zu erhalten, zu schützen und zu pflegen. Zu diesem Erbe gehört die ganze Vielfalt baulicher Zeugnisse unserer Gesellschaft. Also eben nicht nur vermeintliche Highlights wie Schlösser und Kirchen, sondern eben Bauten aller Epochen und Gattungen, die einen besonderen Zeugnischarakter aufweisen.» Das sei beim Dienstgebäude der Fall.

Er verweist auf das kantonale Denkmalschutzgesetz. Die Aufgabe zum Schutz der Kulturdenkmäler ist darin festgehalten. Und dort steht deutsch und deutlich, dass auch gewerbliche und industrielle Anlagen als Kulturdenkmäler zu erhalten sind.

Für den Historiker Steinmann ist klar, dass man 1932, als das Dienstgebäude am Bundesplatz fertiggestellt wurde, «nicht einfach gedankenlos eine Kiste hingestellt» habe. Vielmehr hätten die Verantwortlichen bewusst diese Formensprache mit Flachdach gewählt, was damals der Anfang der modernen Architektur gewesen sei. «Diese zeigt sich in diesem Gebäude exemplarisch.» Der Bau sei ein Vertreter der klassischen Moderne, welche damals eine neue Architekturauffassung vertreten habe. «Darum wollen wir dieses Gebäude erhalten.»

Auf den Einwand, dass es heute trotz des Status «schützenswert» wenig gepflegt wirke, entgegnet Mathias Steinmann: «Das hat nichts damit zu tun, ob es ein schützenswertes Objekt ist oder nicht. Das Gebäude kann ja nichts dafür, dass es heute mitten im Verkehr steht. Aber ich finde, es hat erstaunlich wenig Schmierereien. Andere Objekte sind schlechter unterhalten.»

Der «Cervelat-Palast» als «Pionierbau»

Auf gehts zum nächsten Objekt, wobei dieses sich ebenfalls am Bundesplatz befindet, einfach auf der anderen Seite: der «Cervelat-Palast». zentralplus findet, das kurvige Gebäude mit der Tankstelle im Parterre ist wahrlich keine Augenweide. Auch hier tut die gelbliche Farbe dem Bau keinen Gefallen.

Steinmann gibt zu: «Verglichen mit den gründerzeitlichen Bauten des Hirschmattquartiers mag das Gebäude im ersten Augenblick tatsächlich etwas nüchtern daher kommen.»

«Nüchtern?»

Der «Cervelat-Palast» am Bundesplatz in Luzern. (Bild: mst)

«Auch hier muss man die Geschichte dahinter näher anschauen», fährt Steinmann fort. Der «Cervelat-Palast» wurde 1931/32 gebaut. Die moderne Architekturauffassung sei auch hier Pate gestanden. So habe man beispielsweise jegliche Ornamentik abgelehnt. Viel eher sei eine nüchterne, funktionale Haltung gefragt gewesen. Steinmann: «In den 30er-Jahren war das modern, eine fortschrittliche Architekturhaltung. Diese leitete auch den Weg für die Zukunft. Der ‹Cervelat-Palast› ist ein Pionierbau.» Er betont zudem, dass die Gebäude – es sind mehrere direkt aneinander gereiht – den gesamten Bundesplatz stark prägen würden und so auch im Stadtbild einen hohen Situationswert aufweisen würden.

Doch weshalb darf auf der gegenüberliegenden Seite das Gebäude des Kleintheaters abgerissen werden (zentralplus berichtete), während der «Cervelat-Palast» ein Pionierbau sei und von der Denkmalpflege als «erhaltenswert» eingestuft wird? Der Leiter Inventare der Denkmalpflege erklärt, dass das Gebäude des Kleintheaters in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebaut worden sei. «Wenn man die beiden Gebäude miteinander vergleicht, sieht man ganz klar einen gestalterischen Willen beim ‹Cervelat-Palast›, während beim Gebäude des Kleintheaters die architektonischen Qualitäten fachlich keine Aufnahme ins Bauinventar rechtfertigen würden.»

Das Gewerbegebäude «hat man vorher so noch nicht gekannt»

Doch genug von den Gebäude am Bundesplatz! Weiter gehts über die Langensandbrücke zum Gewerbegebäude an der Tribschenstrasse. Dieses hat eine lange Geschichte. In den vergangenen Jahren geriet es in die Schlagzeilen, weil die Eigentümerin – die in unmittelbarer Nachbarschaft gelegene CSS-Versicherung – das Gebäude abreissen und durch einen Neubau ersetzen lassen wollte. Heimatschutzverbände kämpften gegen diese Pläne an. Mittlerweile ist klar, dass die Versicherung das Gebäude stehen lassen und umbauen wird (zentralplus berichtete).

Doch weshalb wird das Gewerbegebäude überhaupt als «schützenswert» eingestuft? Denn momentan erweckt es einen heruntergekommenen Eindruck. Graffiti zieren die Wände, die Fassade erscheint trostlos. Mathias Steinmann weist auf verschiedene technische Details des 1931/32 erbauten Objekts hin. So sei das Flachdach damals in dieser Form zum ersten Mal postuliert worden. Zudem sei auch die Fassade für damalige Verhältnisse aussergewöhnlich gewesen. Das Haus sei eine Skelettkonstruktion, die Fassade werde von Stützen getragen, nicht von den Mauern. Das gebe im Innern die Möglichkeit einer freien Raumaufteilung – «das hat man vorher so noch nicht gekannt», sagt Steinmann.

Das Gewerbegebäude ist für ihn ein prominenter Zeuge des «Neuen Bauens», das in den 1920er-Jahren aufkam. Doch trotzdem: «Hand aufs Herz, das ist doch ein hässliches Gebäude», findet zentralplus. Steinmann hält dagegen: «Es ist heute vielleicht keine Augenweide mehr, aber auch hier: Das ist nicht das Problem des Gebäudes, sondern des Umgangs und des mangelnden Unterhalts.» Das Haus sei sehr grob und mit wenig Sensibilität umgebaut worden. Das ursprüngliche Gebäude sei mit seinen Bandfenstern ein «Kunstwerk» gewesen.

Steinmann weist auch auf das Umbauprojekt der CSS hin. «Ich bin überzeugt, wenn das Gewerbegebäude restauriert wird, findet man es danach ein super Objekt, das auch schweizweit Aufmerksamkeit erhalten wird.»

VBL-Waschanlage: Architekten zeigen Gestaltungswillen

Zeit für den letzten Halt. Keine zweihundert Meter entfernt befindet sich die Waschanlage der Verkehrsbetriebe Luzern (VBL). Auch dieses Gebäude ist gemäss der Denkmalpflege schützenswert. Im Gegensatz zum Gewerbegebäude wird es aber auch heute rege gebraucht.

Die Denkmalpflege schreibt zu diesem Objekt: «Mit den fein sprossierten Fensterfronten und dem abgeflachten Grabendach ist die klar gegliederte Waschanlage der Verkehrsbetriebe Luzern ein für die 1950er-Jahre fortschrittliches Beispiel funktionaler Architektur.»

Die VBL-Waschanlage mit dem vorgesetzten Einfahrtsportal und dem Grabendach. (Bild: mst)

«Das mag sein», erwidert zentralplus. Aber «schützenswert»? Steinmann erklärt: «Hier haben wir das Prinzip ‹form follows function› sehr schön umgesetzt. Es ist ein nüchterner, klarer Bau.» Aber er sei nicht einfach nur eine Kiste, sondern die Architekten hätten mit dem Grabendach und dem vorgesetzten Einfahrtsportal eine Form gefunden, die auch die Funktion des Gebäudes als Waschanlage lesbar macht.

Natürlich sei es ein Industriebau, der sehr funktional daherkomme. «Doch auch qualitätsvolle gewerbliche Nutzbauten gehören zum baukulturellen Erbe.»

«Diese Objekte sind identitätsstiftend»

Steinmann erklärt zu «erhaltenswerten» und «schützenswerten» Objekten abschliessend, dass die Erstellung und Führung eines Bauinventars ein politischer Auftrag sei. Die Denkmalpflege agiere ja nicht im luftleeren Raum, sondern sie habe klare gesetzliche Vorgaben. Zudem: «Diese Objekte sind identitätsstiftend. Sie haben für uns als Gesellschaft einen wichtigen Stellenwert und lösen auch gewisse Heimatgefühle aus.» Ihm seien solche Bauten allemal lieber als «verwechselbare Neubauten» wie die Europa-Allee in Zürich.

Das ist dann wohl Geschmacksache.

Verwendete Quellen
  • Rundgang mit Mathias Steinmann, Leiter der Abteilung Inventare bei der kantonalen Denkmalpflege
  • Kantonales Denkmalverzeichnis und Bauninventar
  • Gesetz über den Schutz der Kulturdenkmäler des Kantons Luzern
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7 Kommentare
  • Profilfoto von Spiro
    Spiro, 29.04.2024, 10:21 Uhr

    Mir gefällt die Nüchternheit des neuen Bauens und der Mid-century Moderne sehr viel besser als die Manieriertheit der Gründerzeit oder die Strenge des Klassiszismus. Wie immer in der Kunst gibt es verschiedene Meinungen.
    Gebäude zu erhalten ist ja nicht nur eine ästhetische Frage, sondern schont auch die Ressourcen. Gerade wird schräg gegenüber des Gewergebebäudes ein nicht einmal dreissig Jahre altes grosses Bürogebäude abgerissen. Das ist ökologisch meiner Ansicht nach Unsinn.

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    Wacor, 28.04.2024, 11:29 Uhr

    Due gesamte Denkmalpflege ist Geschmakssache!
    Solange diese Amt ihre Entscheide nicht auch Finanziell zu verantworten haben werden diese Beamten allemal Problem mit Denken haben.
    Diesen ewig alten gehört schon längstens Gürtel enger geschnallt.

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    • Profilfoto von Kasimir Pfyffer
      Kasimir Pfyffer, 29.04.2024, 10:48 Uhr

      Jawohl, dieser alte Plunder gehört abgeschafft. Denkmalpflege ist nur eine linksgrüne woke Erfindung, oder! Also, machen wir Nägel mit Köpfen: Zuerst sprengen wir die Hofkirche (braucht unnötig Platz, ein Schuhladen bringt mehr Umsatz), dann reissen wir die Kappellbrücke ab (unlogische Verkehrsführung, Holz = unsicher, also weg damit) und zu guter Letzt könnten wir auch noch gleich die bekloppte Museggmauer wegmachen. Es gibt ja keine Ritter mehr, die uns angreifen. Auf den Hügeln kann man ein paar schöne Terrassenwohnungen im Stockwerkeigentum hinstellen, nicht?

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    Stef, 28.04.2024, 11:28 Uhr

    Lieber wenige wirklich schützenswerte gebäude bestimmen und dort vielleicht helfen, die resultierenden mehrkosten für die erhaltung zu tragen. Wie viele gebäude werden geschützt und dann dem verfall überlassen, weil sich die kosten für den erhalt niemand leisten kann oder will. Nach einiger zeit werden diese dann zu schandflecken.
    Wäre mal interessant, wie viele in der schweiz geschützte gebäude von wie vielen geschätzt werden. Ich vermute wir geben millionen steuergelder aus für ein paar angefressene, die jede scheune spannend finden.

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    Sämi, 28.04.2024, 10:13 Uhr

    Die reudige Pissrinne am Bundesplatz ist also besonders schützenswert? Das ist doch ein Witz. Und auf die Feststellung, dass ausserordentlich wenig Schmierereien und Tags da sind, kann ich nur darauf Hinweisen, dass der beissende Ammoniakgestank vieleicht etwas damit zu tun hat. Denkmalpflege am Darmausgang.

    Ok vieleicht kann man sie als Kunstwerk betrachten, eine drittwelt Defäkationshaus in einem erstwelt Land. Kapitalismuskritik oder so.

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    Claude, 28.04.2024, 10:13 Uhr

    Warum reisst man das Gasthaus zur Schmiede ab, und belässt dann seit Jahren einen der hässlichsten Plätze in Luzern. Denkmalpfleger müssen beschäftigt werden, da kann man ein noch so hässliches Gebäude schönreden, würde mich interessieren was der Denkmalpfleger Apparat uns Steuerzahler kostet?

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    • Profilfoto von Kritikoptima
      Kritikoptima, 02.05.2024, 11:31 Uhr

      ja, das ist eines der Beispiele, die man zähneknirschend als Bewohner der Stadt Luzern (eine schöne Stadt!) kaum verstehen kann: Pilatusplatz: Katastrophe, die Brache mit Plastiksäcken voll junger trockener gehemmter Zwischenlösungs-Birkenbäumchen, anstatt für 10 Jahre Erde auszulegen, Rasen wachsen zu lassen, 6 Bäume anpflanzen, Bänkli dazwischen stellen, Kinder, Alte und Wartende einen Aufenthalt am stark befahrenen Pilatusplatz zu bieten. Dahinter die denkmalgeschützen filigranden Riegelbauten mit der Musikschule darin, daneben ein aufstrebendes erfolgreiches Restaurant mit erweiterter Terassenbestuhlung – und dann einfach Jahre so erbärmlich einen Kiesplatz mit keiner echten atmenden Grünfläche zu belassen. dann besser einen Neubau, mit Vordach und Unterstand, ein Geschäft im EG, vielleicht ein Café -oder Bäckereifiliale, denn dort hat es ausser Hotel Anker und dem besagten Restaurant – nichts solches.

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