Konzept der Berner Gemeinde begeistert Stadtrat

Verkehr im Zentrum: Was Zug von Köniz lernen kann

Urs Raschle ist begeistert vom Verkehrskonzept in Köniz. Er ist nicht der Einzige. (Bild: wia/zentralplus)

Tempo 30 hat die Verkehrssituation beim Kolinplatz nicht sonderlich verbessert. Der Zuger Stadtrat streckt auf der Suche nach Lösungen nun seine Fühler aus – etwa nach Köniz. Das dortige Verkehrskonzept bezeichnet Urs Raschle als «genial». Aber liesse es sich auf Zug adaptieren?

Es klingt zunächst etwas befremdlich. Damit der Verkehr flüssiger durch die Stadt rollt und auch die Sicherheit der Fussgängerinnen erhöht wird, hat die Berner Gemeinde Köniz nicht nur die Ampeln, sondern auch die Fussgängerstreifen aufgehoben. Gleichzeitig wurde Tempo 30 eingeführt, und zum Schutz vor den Autofahrern entstanden Mittelstreifen. Mit diesen Massnahmen einher ging, dass Fussgänger keinen Vortritt mehr erhielten.

Das 2005 probehalber eingeführte Verkehrsregime stand vorgängig stark in der Kritik. Der Wind drehte wenig später. Das Konzept hat sich bewährt, und damit auch das Motto «Rücksicht statt Vorsicht». 2014 erhielt Köniz den Wakker-Preis. Die 42'000-Einwohner-Gemeinde gilt auf nationaler Ebene als Vorbild in Sachen Zentrumsverkehr. Aus der ganzen Schweiz pilgern regelmässig Delegationen in die Berner Gemeinde, um sich die Lage anzuschauen. So etwa aus Kriens (zentralplus berichtete).

Zug zu Besuch in Köniz

Auch die Stadt Zug stattete der Berner Agglomerationsgemeinde letzten Herbst einen Besuch ab. Dies auf Initiative von Daniel Brunner, der sich jahrelang für die Umsetzung einer 30er-Zone an der Grabenstrasse einsetzte, bis diese im vergangenen Frühling Realität wurde (zentralplus berichtete).

Urs Raschle, der Chef für Soziales, Umwelt und Sicherheit der Stadt Zug, war ebenfalls mit von der Partie. «Tatsächlich ist der Ansatz von Köniz spannend und für viele Städte von Interesse. Zumal es sich um eine ehemalige Kantonsstrasse handelt, die zur 30er-Zone gemacht wurde», erzählt er.

Und weiter: «Gemäss Bundesgesetz ist grundsätzlich festgelegt, dass 30er-Zonen ohne Fussgängerstreifen auskommen sollen. Nur ist das bei Zentrumsstrassen schwierig umsetzbar. Würde man die Fussgängerstreifen einfach entfernen, gäbe es ein riesiges Verkehrschaos.»

Ein «geniales» System

Das Konzept, das in Köniz umgesetzt wurde, erscheine ihm jedoch sinnvoll. «Der Verkehr wird gefiltert, sprich, es wird mit Ampeln am Zentrumsrand dafür gesorgt, dass er nur punktuell durch den Stadtkern fliesst. Damit wird es für Fussgänger einfacher, die Strasse zu passieren.»

«Wir mussten uns zunächst daran gewöhnen, dass wir die Strasse einfach so queren konnten.»

Urs Raschle, Zuger Stadtrat

Ihn selber hätten die Mittelinseln beim Besuch in der Berner Gemeinde zuerst verunsichert. «Wir Besucher mussten uns zunächst daran gewöhnen, dass wir die Strasse einfach so queren konnten. Nun muss ich sagen: Das System ist genial», so der Zuger Mitte-Stadtrat. «Alle Verkehrsteilnehmer sind dadurch aufmerksamer. Die Fussgänger müssen sich zudem nur immer auf eine Strassenseite konzentrieren, weil sie auf der Mittelinsel warten können.»

Win-Win-Win für Fussgänger, Autofahrerinnen und Geschäfte?

Gemäss Raschle würden auch die Geschäfte von diesem System profitieren. «Offenbar macht es für Kunden einen Unterschied, ob man geradeaus und direkt in einen Laden spazieren kann oder den Umweg über einen Fussgängerstreifen machen muss, der unter Umständen 60 Meter entfernt ist.»

Konkret könnte sich der Stadtrat ein ähnliches Konzept für die Gegend um den Kolinplatz vorstellen, in der seit rund einem Dreivierteljahr Tempo 30 herrscht. «Schon lange überlegen wir uns, wie es gelingen könnte, diese Umgebung attraktiver zu gestalten.»

Wir fragen beim ehemaligen Kreisoberingenieur Bern-Mittelland nach, der in den frühen 2000-Jahren für die Kantonsstrasse in Köniz verantwortlich war. Fritz Kobi erklärt: «Köniz darf wohl auch heute noch als Erfolg bezeichnet werden. Mit der Einführung von Tempo 30 auf der Hauptstrasse und gleichzeitig Kantonsstrasse wurde das Eis in dieser Frage gebrochen.» Dank Wirkungsanalysen verfüge man über entsprechende fundierte Erkenntnisse.

Ein Drittel weniger Unfälle bei fünf Mal mehr Fussgängern

Diese würden etwa zeigen, dass die Verkehrssicherheit deutlich gestiegen sei. Köniz verzeichnet einen Drittel weniger Unfälle. Dies bei fünfmal mehr Fussgängerinnen, welche die Strasse querten. Ebenfalls gebe es 40 Prozent weniger Verletzte wie vor dem neuen Verkehrsregime.

«Der Autoverkehr hat seit 2000 nicht zu-, sondern abgenommen.»

Fritz Kobi, ehemaliger Kreisoberingenieur Bern-Mittelland

Kobi streicht weitere positive Effekte hervor: Tieferer CO2-Ausstoss, weniger Lärm, ein verändertes Ambiente. Auf die Frage, ob der Verkehr in Köniz während den letzten knapp zwei Dekaden zugenommen habe, antwortet der Verkehrsexperte: «Der Autoverkehr hat seit 2000 nicht zu-, sondern abgenommen. Verantwortlich dafür sind die sogenannten ‹Push- and Pull-Massnahmen› der Gemeinde Köniz und in der Region Bern.» Das heisse, vor allem der Ausbau des öV-Angebotes und der Parkplatzvorgaben.

Ausweichverkehr auf die parallel verlaufende Gemeindestrasse habe man nicht festgestellt. Dies nicht zuletzt, «da die Fahrzeit durchs Zentrum bei Tempo 30 mit dem Auto abgenommen hat», wie Kobi erklärt.

Wirkliche Erleichterung bringt wohl nur ein Tunnel

Das klingt alles sehr rosig. Der Zuger Stadtrat Urs Raschle ist sich dennoch bewusst, dass die Aufhebung von Fussgängerstreifen und das Anbringen von Mittelinseln das Verkehrsproblem an sich nicht lösen würde. Deshalb sinniert er: «Diesbezüglich wäre der Tunnel tatsächlich die nachhaltigste Chance. Doch sind wir bei diesem Thema wohl alle gebrannte Kinder.»

2015, also mitten in der Zeit, als der Rotstift rigoros angesetzt wurde, lehnte die Zuger Kantonsbevölkerung einen Vorschlag für einen umfangreichen Stadttunnel ab. 2021 wurde die Idee wieder ausgegraben, angedacht ist ein Stadttunnel «light» (zentralplus berichtete). «Vielleicht klappt's ja bei der nächsten Abstimmung», erklärt Urs Raschle. Selbst wenn er überzeugt ist, dass es auch ohne Tunnel eine gute und nachhaltige Lösung geben müsse und werde.

«Der Kanton hat einen etwas anderen Fokus bei der Erarbeitung des Mobilitätskonzepts.»

Urs Raschle

Eines ist jedenfalls klar, ob mit oder ohne Tunnel: Die Stadt Zug muss in den nächsten Jahren Lösungen schaffen für das Verkehrsproblem. Und auch auf kantonaler Ebene wird derzeit an einem Mobilitätskonzept gearbeitet. Obwohl der Kanton laut Urs Raschle einen etwas anderen Fokus hat. «Zwar sind sowohl Stadt als auch Kanton bestrebt, neue Formen zu schaffen. Doch ist für den Kanton wichtiger, möglichst schnell von A nach B zu gelangen. Für die Stadt hingegen fällt es, je nach Strecke, stärker ins Gewicht, dass beispielsweise der Bus Vorrang vor dem Auto hat.»

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Urs Raschle
  • Telefonat mit Anwohnerin von Köniz
  • Mail-Anfrage an Fritz Kobi, ehemaliger Kreisoberingenieur des Kantons Bern
  • Fachzeitschrift Strasse und Verkehr, 2021, Thema Verkehrssicherheit
  • Frühere Medienberichte
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