Freude und Bedenken

Stimmrecht für Behinderte: Das sagen Verbände und Skeptiker

Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung können in Zug vielleicht bald wählen gehen (Archivbild). (Bild: zvg)

Der Zuger Regierungsrat möchte geistig Beeinträchtigten das Stimmrecht geben. Während sich die einen freuen, haben andere praktische Bedenken.

Der Zuger Regierungsrat will die Kantonsverfassung ändern. Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung sollen auf kantonaler und kommunaler Ebene das Stimm- und Wahlrecht erhalten. Der Rat hat eine dahingehende Vorlage in die Vernehmlassung geschickt.

Konkret geht es um Personen, die wegen dauerhafter Urteilsunfähigkeit unter umfassender Beistandschaft stehen oder durch eine vorsorgebeauftragte Person vertreten sind. Das können Menschen sein, die von Geburt an eine kognitive Beeinträchtigung haben. Und es können ältere Menschen sein, die beispielsweise dement sind.

In der Zuger Kantonsverfassung von 1894, welche auch heute noch gilt, ist solchen Menschen das Recht auf politisches Mitbestimmen verwehrt. Der Regierungsrat spricht sich in der Vorlage dafür aus, den fraglichen Satz ersatzlos aus der Verfassung zu streichen. Entsprechend schlägt er auch vor, das Wahl- und Abstimmungsgesetz anzupassen. Sollte die Vorlage durchkommen, wird das Zuger Stimmvolk über die Verfassungsänderung abstimmen.

Ein Recht, das ihnen zusteht

Barbara Camenzind, Geschäftsleiterin der Vereinigung Insieme Cerebral Zug, findet die neue Entwicklung «grossartig», wie sie auf Anfrage sagt. Die Vereinigung setzt sich im Kanton Zug für die Rechte von Menschen mit geistiger, cerebraler oder mehrfacher Behinderungen ein. «Dieses Recht steht den betroffenen Menschen zu. Sie dürfen von politischer Mitbestimmung nicht ausgeschlossen sein», sagt Camenzind.

«Dieses Recht steht den betroffenen Menschen zu. Sie dürfen von politischer Mitbestimmung nicht ausgeschlossen sein.»

Barbara Camenzind, Geschäftsleiterin Insieme Cerebral Zug

Die Integration in den politischen Prozess der Personen, um dessen Stimmrecht es gehe, würde bei einem Durchkommen der Vorlage aber Zeit brauchen, erklärt Camenzind. Wichtig sei dann auch, Wahlunterlagen in einer einfachen und verständlichen Sprache anzubieten.

Nicht nur Argumente dafür

In der Zuger Politik gibt es jedoch auch Personen, die der Vorlage kritisch gegenüberstehen. Zunächst einmal bestehe ein Problem bei Personen, die unter Vormundschaft stehen, sagt Rainer Leemann, FDP-Kantonsrat, gegenüber zentralplus.

Die nun diskutierte Vorlage entstand aufgrund einer Motion, die Kantonsräte der Mitte, ALG und FDP 2022 einreichten. Sie forderten schon damals, das betreffende Stimm- und Wahlrecht einzuführen. In der Kantonsratssitzung, in welcher die Motion diskutiert wurde, argumentierte Leemann im Namen seiner Partei dagegen.

Keine Urteilsfähigkeit, aber eine politische Meinung?

«Je nach Fall ist es extrem schwierig, für den Vormund herauszufinden, was die Betroffene denkt», führt Leemann aus. «Es besteht die Gefahr, dass den Beeinträchtigten eine Meinung in den Mund gelegt wird, welche sie vielleicht nicht vertreten.»

«Wenn geistig beeinträchtigten Personen das Stimmrecht zugesprochen wird, weshalb dann nicht auch Minderjährigen?»

Rainer Leemann, FDP-Kantonsrat

Zudem sei fraglich, wie Menschen mit verminderter Urteilsfähigkeit zu einer fundierten politischen Meinung gelangen könnten. Und gemäss Leemann hat die Gesetzesänderung auch anderweitige Konsequenzen. «Wenn geistig beeinträchtigten Personen das Stimmrecht zugesprochen wird, weshalb dann nicht auch Minderjährigen?»

Leemann betont, dass diese Zweifel nichts mit dem grundsätzlichen Auftrag des Parlaments zu tun hätten, sich für solche und alle anderen Minderheiten einzusetzen. Weiter sei die vorgetragene Meinung seine eigene und nicht mit seiner Fraktion abgesprochen.

Uno brachte Stein ins Rollen

2020 sprach Genf als erster Kanton geistig Beeinträchtigten das Recht auf politische Mitbestimmung zu. 75 Prozent der Genfer Stimmbevölkerung waren damals dafür. Auf Bundesebene ist das fragliche Recht noch nicht verankert. Bestrebungen, das zu ändern, sind jedoch im Gang.

Auslöser für die Debatten auf nationaler und kantonaler Ebene ist die Behindertenrechtskonvention der Uno. Diese wurde 2008 beschlossen und 2014 von der Schweiz ratifiziert. Bund und Kantone sind verpflichtet, die Konvention einzuhalten.

Der Haken: Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen das Stimm- und Wahlrecht vorzuenthalten, steht in einem expliziten Widerspruch mit der Konvention. Diese Personen sind laut Uno bei Wahlen und Abstimmungen gleichberechtigt zu behandeln. Ein Uno-Ausschuss empfahl dem Bund und den Kantonen 2022 deshalb dringend, entsprechende Gesetzesänderungen zu veranlassen.

Nur wenige würden Stimmrecht erhalten

Wie aus dem begleitenden Bericht zur Vorlage hervorgeht, habe der Zuger Regierungsrat unter anderem darum die Vorlage in die Vernehmlassung geschickt. Andere Gründe sprächen aus Sicht des Rats ebenfalls für die Anpassung der Kantonsverfassung.

«Es gibt auch in dieser Gruppe Menschen, die politisch aktiv sein wollen – und sei es nur in bestimmten Fragen.»

Zuger Regierungsrat

Es sei ein zentrales demokratisches Grundrecht betroffen. Und dessen Beschneidung sei bereits in einem Einzelfall problematisch, schreibt der Regierungsrat in seinem Bericht. «Es gibt auch in dieser Gruppe Menschen, die politisch aktiv sein wollen – und sei es nur in bestimmten Fragen.»

Letztlich verweist der Regierungsrat darauf, dass von einer allfälligen Gesetzesänderung nur sehr wenige Personen effektiv betroffen wären. Gestützt auf Zahlen der Kesb, geht er von ungefähr hundert Menschen aus.

Kommenden Frühling soll der Kantonsrat über die Vorlage debattieren. Läuft alles nach Plan, kommt sie im Herbst 2025 vors Stimmvolk.

Verwendete Quellen
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