Michael Töngi kandidiert als Vizepräsident

«Für die Grünen ist es wichtig, dass wir auf der Strasse sind»

Nach den Wahlen im Oktober stellt sich Töngi erneut zur Wahl – diesmal als Vizepräsident der Grünen Schweiz. (Bild: Archivbild: Emanuel Ammon/Aura)

Nach der Wahlschlappe kommt es in der Chefetage der Grünen zur Rochade. Der Luzerner Nationalrat Michael Töngi stellt sich als Vizepräsident zur Wahl. Wieso und wie die Grünen wieder zulegen, sagt er im Interview.

Die Grünen erlebten nach dem Hoch von 2019 an den Wahlen im vergangenen Herbst eine deutliche Wahlschlappe. Als «Gesicht dieser Niederlage» nahm Parteipräsident Balthasar Glättli daraufhin den Hut. Neue Gesichter sollen der Partei wieder Aufschwung geben. Wie die Partei Anfang dieser Woche mitteilt, ist einer, der das versuchen will, der Luzerner Nationalrat Michael Töngi. Der 56-Jährige kandidiert als Vizepräsident der Partei. zentralplus hat mit ihm über seine Motivation gesprochen – und darüber, was sich bei der Partei ändern muss.

zentralplus: Andere Luzerner bereiten sich für die Fasnacht vor, Sie verkünden Ihre Kandidatur als Vizepräsident der Grünen.

Michael Töngi: In jungen Jahren war ich ein begeisterter Fasnächtler. Fünf Tage im Voraus deckte ich mich im Brocki mit Kleidern ein und bastelte an einem Sujet. Damals habe ich wahnsinnig viele Leute auf der Strasse angetroffen. Mit den Jahren wurden es immer weniger. Irgendwann dachte ich mir beim Herumlaufen: Was mache ich da überhaupt? Seither ist es nicht mehr so meins – auch wenn ich heute wahrscheinlich wieder mehr Leute kennen würde.

zentralplus: Was reizt Sie am Amt als Vizepräsident?

Töngi: Ich bin lange dabei und habe schon ähnliche Ämter ausgeübt. Beispielsweise war ich vier Jahre Präsident der Kantonalpartei, ich bringe bereits breite Erfahrung mit. Nun möchte ich mich nach sechs Jahren im Parlament auch in der Partei einbringen. Dabei finde ich die interne Arbeit mindestens so spannend wie die Vertretung nach aussen. Das klingt vielleicht komisch, aber mich interessieren Fragen wie: Wie stellen wir uns auf, um zu guten Entscheidungen zu kommen? Wie entwickeln wir tragfähige Kompromisse?

zentralplus: Wieso kandidieren Sie nicht als Präsident?

Töngi: Das läge zeitlich nicht drin. Zudem haben wir mit Lisa Mazzone eine gute Kandidatin, die ich unterstützen will. Es ist gut, dass nach Balthasar Glättli wieder eine Frau den Posten übernimmt. Wobei das für mich nicht zwingend ist. Aber es ist wichtig, die Vielfalt unserer Partei zu zeigen. Da darf auch jemand über 50 wie ich als Vizepräsident kandidieren.

zentralplus: Hat Sie der Fall von Balthasar Glättli nicht einfach zu sehr abgeschreckt?

Töngi: (Überlegt lange.) Nein, für mich kam das Präsidium nicht infrage. Mit 56 Jahren ist das etwas vorbei. Ich kann mir zwar noch andere Ämter vorstellen, aber als Parteipräsident der Grünen wäre ich nicht am richtigen Ort.

zentralplus: Die Grünen haben zuletzt 3,4 Prozent ihrer Parteistärke eingebüsst und waren in den letzten Wahlen auf dem absteigenden Ast. Warum will man zu solch einem schwierigen Moment ins Präsidium?

Töngi: Ich finde den Moment nicht in einer besonderen Art schwierig, dafür bin ich zu lange dabei und weiss: Dass man bei Wahlen verlieren kann, gehört dazu. Klar war der Herbst kein schönes Erlebnis. Eine Wahlniederlage mit einer Krise gleichzusetzen, ist aber falsch. Wir sind gut aufgestellt. Noch immer haben wir wachsende Mitgliederzahlen und sind deutlich breiter aufgestellt als vor 20 Jahren. Wir bleiben die zweitgrösste Fraktion unserer Geschichte und sind in den meisten Städten und vielen Kantonen in der Regierung.

zentralplus: Wenn solch deutlicher Verlust der Parteistärke und von fünf Mandaten keine Krise ist, was dann?

Töngi: Die Wahlen waren ein Ausdruck der Verunsicherung der Wählerinnen und Wähler. Wir Grünen machten ihnen ein Angebot, das in die Zukunft weist. Das beinhaltet Wandel. Das war aber im Herbst nicht gefragt, sondern Sicherheit.

zentralplus: Wie wollen Sie den Bürgern mit den Grünen Sicherheit bieten?

Töngi: Indem wir zeigen, dass unsere Zukunftsvision auch sehr viel Lebensqualität bietet. Wir Grünen werden immer noch über Verbote definiert. Das ist aber nur ein Teil, um zum Ziel zu kommen. Zum anderen mit der klaren Ansage, dass Klimaschutz nur sozial geht. Dazu engagiere ich mich zurzeit stark für die 13. AHV-Rente. Und wir arbeiten an differenzierten Lösungen, um zu zeigen, wie Klimaschutz konkret geht.

zentralplus: Sicherheit demonstrieren – gleichzeitig ist mit der derzeitigen Lage der Grünen ihr Luzerner Sitz in vier Jahren nicht sicher.

Töngi: Ausser 2019 hat unser Sitz immer gewackelt. Wir waren in Luzern nie eine Partei, die im Schlafwagen in den Nationalrat kam. Dazu gibt es Megatrends und neue grosse Themen wie Covid oder die Inflation, die die Diskussion prägen. Da kann man mit guter Arbeit entgegenhalten, aber nicht den Trend kehren.

Michael Töngi musste bei den Wahlen 2024 lange zittern, erhielt aber am Schluss trotzdem Blumen und weitere vier Jahre in Bern. (Bild: Emanuel Ammon/Aura)

zentralplus: In einem zentralplus-Porträt als frisch gewählter Nationalrat sagten Sie, früher hätten Sie immer mehr Ämter angenommen, heute kennten Sie Ihre Grenzen (zentralplus berichtete). Liegt das neue Amt innert dieser Grenzen?

Töngi: Ich denke schon. Neben meinem Mandat als Nationalrat bin ich noch Vizepräsident des Mieterverbands und im Vorstand des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS) sowie Präsident der Kantonalsektion, aber ich habe keinen Job nebendran. Das sollte drin liegen, auch wenn ich will, dass es intensiv wird.

zentralplus: Wie viel können Sie als Teil eines potenziellen Siebnergremiums überhaupt bewirken?

Töngi: In solchen Gremien ist man immer froh um jede Person, die aktiv mitarbeitet und viele Ideen mitbringt. Ich habe keine Befürchtungen, dass es ausgerechnet im Präsidium der Grünen anders sein sollte.  

zentralplus: Zum Thema anpacken: Wie gedenken Sie, die grüne Welle zu reaktivieren?

Töngi: Für die Grünen ist es wichtig, dass wir auf der Strasse aktiv sind. In dieser Legislatur sind wir in einer deutlicheren Oppositionsrolle. Wir haben aber nach wie vor eine Grösse, mit der die anderen Parteien uns ernst nehmen müssen. Wir müssen mehr über Referenden und Initiativen erwirken. Ohne finanzkräftigen Verband im Rücken ist es schwieriger, Unterschriften zu sammeln. Wir sind zwar nicht schlecht unterwegs, müssen aber noch zulegen. Weiter müssen wir die Kantonalparteien besser unterstützen. Gerade die, die eine schwächere Organisation haben.

zentralplus: Bisher ist von den linken Parteien eher die SP als Oppositionspartei bekannt, die treue Partnerin der Grünen. Wie wollen Sie Ihre Partei von ihr abnabeln?

Töngi: Ich habe kein Bedürfnis, uns mehr abzugrenzen. Wir sind zwei verschiedene Parteien. Wir arbeiten eng zusammen bei Sachthemen, reiben aber bei Machtfragen aneinander. Das sieht man ab und zu, etwa bei Wahlen in kantonale oder kommunale Regierungen.

zentralplus: Was muss sich bei den Grünen innerhalb der Partei ändern?

Töngi: Ich trete nicht mit dem Anspruch an, die Partei zu ändern, sondern mitzuarbeiten. Wichtig ist mir, dass wir ein starkes Präsidium der Partei haben, damit es auf Augenhöhe mit der Fraktion ist. Die Fraktion ist sehr institutionalisiert und trifft sich viel. Weil sie an den konkreten Themen dran ist und darum dazu gefragt wird, steuert sie viele Entscheide. Gewisse Dinge sollten aber auch in der Partei diskutiert werden.

zentralplus: Gewisse Dinge?

Töngi: Im letzten Sommer hatten wir beispielsweise eine Veranstaltung über unsere Haltung zur Neutralität und zum Waffenexport in die Ukraine. Solche Formate müssen wir pflegen, bei denen wir Spezialisten in die Partei einladen und über wichtige Themen diskutieren. Dazu gehört auch die Bundesratsfrage. Das lief stark über die Fraktion. Dabei ist der Anspruch der Grünen besonders hoch, dass nicht oben jemand eine Meinung vorgibt. Oder man nicht in der Sonntagspresse liest, was die Meinung der Partei ist.

zentralplus: Sollten Sie Vizepräsident werden – wäre das der Moment, wo Sie doch zur Krawatte greifen?

Töngi: Nein. Das ist bei den Grünen auch nicht gefragt. Aber ich bin pragmatisch. Wenn sie bei einer Einladung Bedingung wäre, würde ich sie halt anziehen. Tatsächlich habe ich inzwischen eine Krawatte im Bundeshaus, da ich ohne nicht in den Ständerat kann. Vorher musste ich immer meinen Parteikollegen Mathias Zopfi um eine bitten. Aber generell: nein. Das passt auch nicht zu meinen farbigen Hemden.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Michael Töngi, Luzerner Grüne-Nationalrat
  • Medienmitteilung der Grünen Schweiz
  • X/Twitter-Beitrag von Michael Töngi
  • Ergebnisse der eidgenössischen Wahlen 2023, national und für Luzern
  • Kleiderordnung des eidgenössischen Parlaments
  • Artikel «SRF» zum Rücktritt des Parteipräsidenten der Grünen
  • Medienarchiv zentralplus
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