Vom Bauernhof in Hildisrieden nach Bundesbern

Rahel Estermann sitzt neu am Schalthebel der Grünen Schweiz

Die Grüne-Kantonsrätin Rahel Estermann sitzt bald im Herzen der Grünen Schweiz. (Bild: mik)

Ab nächstem Jahr amtet die Luzerner Kantonsrätin Rahel Estermann als Generalsekretärin der Grünen Schweiz. Was diese Stelle für sie und ihre politische Arbeit in Luzern bedeutet, erzählt sie gegenüber zentralplus.

Generalsekretärin. Das klingt nach einem Beruf, der mit Tausenden von Mails und viel Bürokratie verbunden ist. Also keineswegs etwas, das jemand als Traumberuf bezeichnen würde. Nicht aber so bei der Grüne-Kantonsrätin Rahel Estermann, wie sie bei einem Treffen in Luzern sagt. Ab Januar 2023 übernimmt sie das Amt als Generalsekretärin der Grünen Schweiz. «Tatsächlich ist es eine der spannendsten Stellen, die man haben kann», entgegnet sie der obigen Vorstellung.

Als Generalsekretärin sei sie die zentrale Schnittstelle für alles, was die Partei angeht. So sei sie etwa beratend in den Präsidiumssitzungen der Grünen tätig oder stelle das Wahlprogramm zusammen. «Dabei gilt es nicht nur, die Prozente der nächsten Wahlen im Kopf zu behalten, sondern auch langfristig zu denken. Wie die Grünen nachhaltig aufgebaut und wie unsere Positionen gestärkt werden.»

Bei aktuellem Geschehen laufen die Telefone heiss

Anschliessend sorge sie dafür, dass die beschlossene Strategie in den Fraktionen und Kantonalparteien umgesetzt wird. Und sie ist Ansprechperson für nationale Initiativen, wie die kürzlich lancierte Klimafonds-Initiative. Hinzu komme viel Medien- und Hintergrundarbeit. So etwa erst kürzlich bei der Frage, ob die Grünen eine Bundesratskandidatin stellen wollen. Dort seien sehr viele Telefonate gemacht worden.

«Auf der einen Seite bin ich als Generalsekretärin Teil vieler Entscheidungsprozesse der Grünen Schweiz und kann viel mitbestimmen. Auf der anderen Seite ist der Arbeitsalltag vom tagesaktuellen politischen Geschehen geprägt und stark fremdbestimmt.» Sie hält dann auch fest: Es ist kein Job, bei dem man die Stunden aufschreibt. Es werde gearbeitet, was es brauche, um die eigenen Ziele zu erreichen.

«2019 haben wir ein Jahr erlebt, in dem mit uns zusammen Hunderttausende Menschen fürs Klima auf die Strasse gegangen sind. Diese Mobilisierung erneut zu erreichen, ist unsere Herausforderung.»

«In der Politk ist man nie fertig», so Estermann. Umso wichtiger sei es deshalb, bewusst Feierabend zu machen und sich Zeit für sich zu nehmen. Für sie bedeutet das, mit dem Partner hinaus in die Natur zu gehen oder mit Freunden zu essen oder zu feiern.

Ist die grüne Welle vorbei? Für Rahel Estermann mitnichten

Zweifellos kommt viel Arbeit auf die 35-Jährige zu. Doch sie sieht die neue Aufgabe als spannende Herausforderung. Das habe auch mit dem Zeitpunkt zu tun. «Die Klimakrise kannte man lange vor allem als düsteres Zukunftsbild. In den letzten drei, vier Jahren ist sie zunehmend konkret geworden.» Sie spricht etwa die Überschwemmungen der letzten zwei Jahre an (zentralplus berichtete). Oder die nachfolgende Trockenheit (zentralplus berichtete).

Die Grüne-Kantonsrätin ist deshalb überzeugt, dass die Klimakrise die grüne Welle weiterträgt. Anderes prognostiziert etwa der «Tages-Anzeiger». Gemäss einer Umfrage der Zeitung stehen bei den nächsten Wahlen vor allem die liberalen Parteien FDP und GLP als Gewinner da – auf Kosten der Grünen.

Weiter gerät das Thema Klimaschutz derzeit in Anbetracht von Teuerung, Krieg und Inflation etwas ins Hintertreffen – oder beisst sich sogar damit (zentralplus berichtete). Estermann räumt ein, dass es nicht einfach werde. «2019 haben wir ein Jahr erlebt, in dem mit uns zusammen Hunderttausende Menschen fürs Klima auf die Strasse gegangen sind. Diese Mobilisierung erneut zu erreichen, ist unsere Herausforderung.» Trotzdem ist sie überzeugt, das zu schaffen. «Die Klimakrise ist seither noch viel dringlicher geworden.» Und gerade das Thema Ukraine-Krieg sei auch eine Chance für die Grünen, ihre Anliegen als Lösungen gegen Abhängigkeit von Autokratien zu positionieren.

Trotz Arbeit in Bern bleibt sie Luzerner Kantonsrätin

Um diese Anliegen durchzubringen, sei es für sie auch recht, etwas in den Hintergrund zu treten. «Ich will etwas bewegen, um eine ökologischere Welt zu erreichen. Das ist für mich wichtiger als immer in der vordersten Reihe zu stehen.» Trotzdem scheut sie auch künftig das politische Rampenlicht nicht. Auf die Frage, ob sich mit der neuen Stelle eine erneute Kandidatur für den Nationalrat erübrige, lacht sie und antwortet: «Das steht noch nicht fest.»

«Für mich ist wichtig, dass ich nicht nur Generalsekretärin bin, sondern auch die politisch engagierte Rahel, die in anderer Rolle ihre eigenen Themen vorantreibt.»

In unmittelbarer Zukunft stehe jedoch ihre Arbeit als Generalsekretärin im Fokus. Künftig könne sie es sich jedoch gut vorstellen, mit einem politischen Amt wieder mehr in den Vordergrund zu treten. «Es gäbe schon spannende Ämter, die ich mir vorstellen kann.» Solche Chancen kämen jedoch alle paar Jahre und dann müsse vieles passen.

Ganz auf politische Ämter verzichten will Estermann nicht. «Meine Arbeit im Kantonsrat möchte ich nicht aufgeben.» Das Mitwirken im Luzerner Parlament sei eine Herzensangelegenheit, da sie so ihren Lebensraum mitgestalten könne. «Meine verschiedenen Engagements werden alle ihren Platz finden. Ich war schon immer gut im Jonglieren von vielen Bällen», so die gebürtige Hildisriednerin. Denn: «Für mich ist es wichtig, dass ich nicht nur Generalsekretärin bin, sondern auch die politisch engagierte Rahel, die in anderer Rolle ihre eigenen Themen vorantreibt.»

Vom Grün im Nirgendwo zu den Grünen in Bundesbern

Um alles unter einen Hut zu bringen, tritt sie bei anderen Ämtern kürzer. So etwa beim Vorstand der Digitalen Gesellschaft Schweiz. Für sie jedoch ein kleiner Preis. Es überwiegt klar die Vorfreude aufs neue Amt. «Ich staune manchmal selbst, welche Wege sich in meinem Leben eröffnet haben. Mit Neugier und Mut habe ich sie bestritten.»

Bei ihren ersten Wahlen habe sie bereits Grün gewählt. Und das, obwohl sie auf einem Bauernhof in Hildisrieden aufgewachsen ist und aus einem CVP-Milieu stammt. «Mich hat die Klimakrise politisiert. Für mich waren und sind die Grünen die Partei, die auch für die Landwirtschaft eine Zukunftsperspektive aufzeigt.» Als der Grüne-Generalsekretär Florian Irminger seinen Rücktritt erklärte, um die Auslandskarriere seiner Frau zu unterstützen, habe sie deshalb nicht lange gezögert, seine Nachfolge zu übernehmen.

Damit sitzt sie rund 15 Jahre nach ihren ersten Wahlen quasi im Herzen der Grünen Schweiz. «So zeigt mein Beispiel, dass die Grünen vielfältiger sind als manche glauben. Genauso wie viele städtische Hipster grün denken, gibt es Menschen aus ländlichen Regionen wie mich, welche die grünen Werte teilen.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Hegard
    Hegard, 10.11.2022, 11:05 Uhr

    Dann soll Sie mal den Jungen Grünen die Schalttechnik des Fahrrads erklähren

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