«Punk’s not dead!» Das gilt eigentlich auch für Martin Gössi, den wohl bekanntesten Punker Luzerns. Doch der 59-Jährige hat genug.
Martin Gössi hört nicht etwa als Sänger von den «Möped Lads» auf. Oder als Konzertplakat-Illustrator (er schuf mehr als tausend dieser Unikate), sondern als Konzertveranstalter.
Über 40 Jahre lang hat das Punk-Urgestein dafür gesorgt, dass auf Luzerns Konzertbühnen Punk, Hardcore und Underground-Rock zu hören waren. Am 19. März steigt die letzte von ihm organisierte Sause – standesgemäss mit der Kultband «The Exploited» und in seiner Heimstätte, dem Musikzentrum Sedel. Im Interview spricht der musikalische Tausendsassa über Irokesen, «Die Toten Hosen», den Sedel, Gewalt, Long Covid und die Jugend.
zentralplus: Martin Gössi, gib uns einen kleinen Ausblick auf deine Abschiedsgala. Was dürfen wir am 19. März im Sedel erwarten?
Martin Gössi: Meinen Abschluss begehe ich mit «The Exploited», einer Band, die in den Achtzigern ganz gross wurde und die zur gleichen Generation wie ich gehört. Ausser Wattie, der Frontmann und das Aushängeschild von Exploited: Der ist knappe zehn Jahre älter. Damit schliesst sich für mich ein Kreis.
zentralplus: Wirst du auch selbst mit den «Möped Lads» auftreten?
Gössi: Nein, ich werde im Sedel meine Mucke auflegen, und zwar Punk aus einer Bewegung, die heute in unseren Breitengraden etwas in Vergessenheit geraten ist, nämlich die UK82-Szene aus den Achtzigern. Es wird zwar viel von Punk in den Endsiebzigern gesprochen, wie etwa «The Clash» oder «The Sex Pistols». Aber UK82 war durchaus die nachhaltigere Szene, auch in Sachen Outfit. Da hat der Punk so ausgesehen, wie man ihn sich heute vorstellt, mit Irokesenschnitt usw. Ich war damals in diese Szene reingerutscht. Die alten Punks waren verschwunden, und die Zeiten wurden härter, also mussten wir jungen Punker noch extremer auffallen.
zentralplus: Trugst du früher auch einen Sichelkamm?
Gössi: In Sachen Frisuren habe ich alles getragen – natürlich auch einen Irokesen. Einmal trug ich eine «Frise», die so voluminös war, dass ich fast seitwärts durch Türen laufen musste (lacht). Dafür wurden Stunden verbraten. Was viele nicht glauben: Punks sind eigentlich eitel. Wir haben etwas auf uns gegeben. Nicht so wie die Bahnhof-Punks, die total «abgesockst» gebettelt haben. Das hat mir immer weh getan, das zu sehen. Wir haben auch in besetzten Häusern gelebt, aber wenn du gegen den Staat bist und aufbegehren willst, musst du auch was darstellen.
zentralplus: Sind heutige Punker nicht manchmal etwas zu kommerziell? Ich denke da beispielsweise an «Die Toten Hosen», deren Musik in den letzten Jahren etwas altersmild rüberkommt.
Gössi: Ich sah sie am Rebellion-Festival. Das ist in England und eine ganz eigene Liga. Da haben die Hosen alles gegeben und keine «Tage wie diese»-Songs, sondern nur alte Klassiker gespielt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich zu ihrer Musik nochmals so rumhüpfen würde. Die Leute hatten enorm Spass, und es wurde «gepogt», was das Zeug hielt. Den «Hosen»-Schlagzeuger Vom Ritchie kenne ich schon seit vielen Jahren. Der war auch ein paar Mal im Sedel und hat da gespielt. «Die Toten Hosen» haben eine gute Einstellung. Aber klar, auch sie brauchen Kohle. Sie unterstützen damit aber gute Dinge, und sie haben es sich mehr als verdient.
zentralplus: Du sprichst den Sedel an – den Ort, an dem du nun deine letzte Veranstaltung organisierst.
Gössi: Der Sedel ist einmalig. Auch die alten Punks aus England oder den USA haben so etwas noch nie gesehen. Wegen des Sedels war vor Ewigkeiten sogar schon mal das japanische Fernsehen vor Ort und hat eine Reportage gemacht. Auch die Anzahl an Proberäumen ist einzigartig. So etwas findest du nicht in Hamburg, Berlin oder London. Im Sedel geht es immer weiter: Da sind die 60 Proberäume, ausgebucht von Bands, da sind Ateliers mit tollen Künstlerinnen und Künstlern, und da sind all die tollen Veranstalter, wie zum Beispiel Memphisto, Amadé The Thrasher mit Mega-Mosh. Und natürlich der unermüdliche Boris (Revoprod), das langjährige Gesicht der Bar sowie Veranstalter, und Kathrina, die noch viele Jahre voller Leidenschaft und Energie weitermachen werden. Mit Kultkonzerten, die dem Sedel-Club zu dem legendären Status verholfen haben, den er nun innehat.
zentralplus: Du hörst zwar als Veranstalter auf, aber als Musiker wirst du uns hoffentlich noch erhalten bleiben.
Gössi: Ja, dadurch sparen wir uns Therapiekosten (lacht). Das Organisieren von Veranstaltungen geht leider nicht mehr. Es hat sich wahnsinnig viel verändert in den letzten vierzig Jahren – vor allem von der technischen Seite her. Am Anfang waren da nur persönliche Kontakte, kein Handy und kein Internet. Fax? Was ist das überhaupt? Wir mussten viel selbst bauen oder zusammenbasteln auf der Bühne, und die Beschallungsanlagen mussten immer auf- und abgebaut werden vor und nach den Konzerten. Heute sind die Klubs viel besser organisiert, und es ist alles vorhanden. Aber man muss heute extrem weit vorausplanen, und das will ich nicht mehr. Ein weiterer Punkt ist Long Covid, das ich aufgelesen habe.
zentralplus: Merkst du wegen Long Covid, dass du müder bist und dir die Kraft fehlt?
Gössi: Ja, das merke ich total – hier oben (zeigt sich an den Kopf) und auch wegen der Atemnot. Ich bin zum Glück nicht bettlägerig, habe aber ziemlich heftige Schübe. Es ist jeden Tag ein Kampf, aber das Leben selbst ist ja schon ein Kampf. Früher hatte ich nie Probleme, wenn viel los war und es richtig «reingeprügelt» hat. Heute habe ich manchmal schon Mühe, wenn ich in einem Laden vor einem vollen Regal stehe. Ich kann damit nicht mehr richtig umgehen – «too much information». Im Alter ereilt einen das ja sowieso, jetzt ist es halt auf einen «Chlapf» gekommen (schmunzelt).
zentralplus: Hast du deswegen auch Probleme bei Konzerten?
Gössi: Dafür braucht es Sondervorbereitungen. Seit Long Covid muss ich haushälterisch mit meinen Ressourcen umgehen. Ich muss richtig Buchhaltung betreiben. Gerade Gigs – so lustig wie sie sind – schenken sehr ein.
«Es ist ein Glück, dass ich noch alle Zähne drin habe.»
zentralplus: Was war das extremste Erlebnis, das du in deiner Laufbahn als Punker erlebt hast?
Gössi: Das Krasseste ist, wenn man Gewalt erfährt oder wenn man zusehen muss, wie jemand deswegen stirbt. Ich habe in den Achtzigern eine Weile in Deutschland gelebt. Da waren Ausschreitungen und üble Gesellen, die Chaos verbreiteten, an der Tagesordnung. Punk war nicht das, was die Leute sehen wollten. Lustigerweise waren es die Alten, die sich mit uns abgegeben haben. Also jene, die nicht mehr dem Berufsleben unterworfen waren. Die hatten einen Höllenrespekt vor uns. Ganz schlimm wurde es mit dem Aufkommen der Nazi-Skins. Aber wir hatten auch Probleme mit Teddys, Rockern, Fussballfans und auch den Normalos.
zentralplus: Wurdest du selbst auch verprügelt?
Gössi: Ich hatte schon eine breite Auswahl an Verletzungen. Einmal hatte ich sogar das Hodenbluten … Es ist ein Glück, dass ich noch alle Zähne drin habe. Wir waren für alle einfach nur Zecken. In den Endsiebzigern und in den Achtzigern sind Leute an Punk-Konzerten aufgetaucht, die nur Ausschreitungen und Schlägereien wollten. Deshalb war es auch so schwer, Punk-Konzerte zu organisieren. Das hat sich heute zum Glück klar verbessert.
«Junge sind oft stockkonservativ.»
zentralplus: Du hast einmal gesagt, dass die Gesellschaft immer konservativer wird. Was denkst du heute?
Gössi: Es ist in den letzten zehn Jahren nicht besser geworden – ganz im Gegenteil. Es ist ja auch gut, wenn sich etwas verändert, aber gerade die Jugend ist heute so stockkonservativ. Die haben manchmal das Gefühl, sie müssten sich an einer Doktrin abarbeiten, die sie gar nicht aufgestellt haben. Wieso? Punk ist genau deswegen entstanden. Hey, so nicht mit uns! Schon noch selber denken, aber nicht immer alles schlucken und schon gar keine Regeln erschaffen, bloss nicht! Die Regel ist: keine Regel! Auch die ganzen Gender-Diskussionen sind bei uns nie aufgekommen. Wenn du Punk warst, spielte die Einstellung keine Rolle. Alle waren willkommen – auch homosexuelle Menschen. Wir waren ein Auffangbecken für all diese Leute. Wir waren auch die erste Bewegung, in der Frauen die gleichen Rechte hatten wie die Männer – sowohl optisch als auch die Einstellung betreffend. Das war beim Rock oder Hip-Hop etwas ganz anderes.
zentralplus: Was hältst du von der heutigen Jugend?
Gössi: Man muss aufpassen, dass man nicht so klingt wie die Alten von damals. Und dass man sich da nicht selbst in Regelkostüme und Verhaltensmuster zwängt (lacht). Ich finde es grundsätzlich gut, wenn jemand kreative Ideen hat. Man soll es unbedingt ausleben! Mich stört aber manchmal an jungen Menschen, dass bei denen das Soziale nicht mehr so gegeben ist. Das Leben findet einfach immer mehr nur noch in diesen Kästen (Smartphones) statt. Fabriziert doch wieder Dinge zusammen! Redet miteinander! Viele von ihnen zeigen sich gerne ausgeflippt, aber sie sind es nicht. Sie sehen zwar zum Teil noch schlimmer aus, als wir es getan haben. Aber nur mit Tattoos alleine ist es nicht gemacht. Da ist innen drin einfach alles so konservativ.
zentralplus: Es gibt heute einfach mehr Möglichkeiten. Auch in der Musik, wenn ich an Spotify denke.
Gössi: Ja, früher gab es noch Schallplattenläden. Das waren richtige Szenetreffpunkte, in denen man sich austauschen und über die neusten Scheiben reden konnte. Mit dem Schallplatten-Markt von Toni Lauber und Peter Zimmermann an der Hirschmattstrasse hatten wir in Luzern das Glück, einen der coolsten Läden überhaupt zu haben. Sonst war es in Luzern schon etwas provinziell, trotz der grossen Punk-Szene. Aber natürlich war ich auf meinen unzähligen London-Besuchen immer in den angesagtesten Plattenläden, wie jenem von Geoff Travis von Rough Trade. Da lernte ich schon als junger «Schnudderi» neue Punk-Bands ohne Ende kennen. Und natürlich war da auch die Radiosendung von François Mürner am Sonntag mit Musik aus London. Da liefen unter anderem «The Clash», «The Sex Pistols» und «Devo», die mich geprägt haben.
«Die Gesellschaft ist grauer geworden, als sie es vielleicht sogar vor der Hippie-Zeit war.»
zentralplus: Lebt der Punk noch? Oder ist er zu leise geworden?
Gössi: Jedes Mal, wenn eine Krise kommt, ist er wieder da. Ein gutes Beispiel ist, als Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde. Das war für die kulturellen Amerikaner ein Schock. Da entstanden wieder viele geile Punk-Sachen. Man ist generationenübergreifend zusammengestanden. Auch, weil die Alten noch nicht weg sind und versuchen, die Jungen mitzureissen. Lebe es doch einfach aus! Vergiss deinen Nachbarn! Du brauchst nicht so viele Follower. Du bist dein einziger Follower!
zentralplus: Bräuchte es den Punk auch dann, wenn alles so laufen würde, wie ihr euch das vorstellt?
Gössi: Die Hippies haben in den Sechzigern vieles aufgebrochen, aber der Deckel ging schnell wieder zu. Die Gesellschaft ist grauer geworden, als sie es vielleicht sogar vor der Hippie-Zeit war. Es ging nur noch mit Provokationen. Punk hat es damals gebraucht, weil alles nur noch grau war. In der Schweiz war alles vorgefertigt, um Mitternacht alles zu, und man durfte einfach nichts.
zentralplus: Was hast du noch für Ziele? Wie will der Punker altern?
Gössi: «No future» (lacht)! Ich bin ja nicht weg vom Fenster, wenn ich nicht mehr veranstalte. Im Sedel geht es weiter, und ich werde da immer wieder anzutreffen sein. Gesund bleiben, aber sonst habe ich keine grossen Ziele. Mir kommt immer etwas in den Sinn, und ich werde sicher weiter Plakate erschaffen, wenn das jemand will. Ich werde der Szene immer in irgendeiner Form erhalten bleiben, und wenn jemand Hilfe braucht, dann helfe ich.
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