Martin Gössi im Interview

Der produktivste Punk Luzerns

Martin Gössi vor einer Auswahl seiner Plakate, die derzeit in der Bar Houdini ausgestellt sind. (Bild: zentral+)

Gössi verkörpert den Punk-Spirit weit über die regionalen Grenzen hinaus: Seine Konzert-Plakate zeigen ein weites Spektrum dessen, was den Punk und seine Varianten beseelt. Eine fette Auswahl ist noch bis am 26. September im Houdini zu sehen. Ein Gespräch mit einem Do-it-Yourselfie der ersten Stunde.

Der Name «Gössi» ist in Luzern ein viel gehörter. Sei es bei Plakaten, im Sedel oder wenn es um Punk in Luzern geht. Doch wer ist dieser Gössi eigentlich und wo treibt er sich derzeit herum? zentral+ hat ihn aufgespürt.

zentral+: Die Wände im Houdini sind voll mit deinen Plakaten: Was geht dir durch den Kopf?

Gössi: Die Plakate machen mir bewusst, wie es gekracht und gelärmt hat in der Schweiz, das ist schon eine Freude. Ich stelle mir gerne vor, dass die Plakate alle klingen könnten. Was gäbe das für einen Sound, was für einen orchestralen Noise!

«Dieser chronisch innere Radau ist einfach da, das hört nie auf.»

zentral+: Wie entsteht so ein Plakat? Dröhnst du dich voll, hörst die entsprechende Musik und ab geht der Zeichenstift?

Gössi: Ungefähr so, nur dass die Musik meine einzige Droge ist, die mich volldröhnt. Bei jedem Plakat, das ich zeichne, höre ich mir die Musik der entsprechenden Band an. Ich trage Kopfhörer, weil das sonst niemand aushalten würde. Ich muss das volle Brett haben, vom ersten bis zum letzten Strich. Am Anfang ist das weisse Blatt Papier. Je nach Band ist schon vorgegeben, in welche Richtung es geht. Es gibt solche, bei denen wären die Comic-Knubbelnasen völlig fehl am Platz. Umgekehrt verkörpern die putzigen Spielfiguren sehr gut eine Band wie die Toy Dolls, während Monster und Totenköpfe eher unpassend wären.

Plakat von Martin Gössi für die Aussstellung in der Bar Houdini.

Plakat von Martin Gössi für die Aussstellung in der Bar Houdini.

(Bild: zVg)

zentral+: Wann hast du mit den Plakaten begonnen? 

Gössi: In den Achtzigerjahren habe ich die ersten Flyers gemacht für Punk-Veranstaltungen. Nach einer längeren Pause habe ich aus der Not heraus die ersten Plakate für meine Veranstaltungen gezeichnet, weil die Plakate der Bands oft am Zoll hängenblieben oder zu spät eintrafen. 

zentral+: Du konntest das, hattest einfach Talent?

Gössi: Ich sagte mir, probiere es aus. Im Punk hat man einfach gemacht. Natürlich haben mich Leute beflügelt. Etwa die US-Künstler Frank Kozik oder Coop, die mit Comic-Figuren gearbeitet haben. Bis zu diesem Zeitpunkt war das im Punk nicht üblich, da stand man eher auf die Collagentechnik. Ich habe bald gemerkt, dass das wunderbar zusammengeht. Wenn ich mehr Geduld und Nerven hätte, wäre ich vielleicht Comic-Zeichner geworden. Aber die Plakate sind auch eine gute Herausforderung: Du hast eine einzige Bildfläche zur Verfügung und musst darauf eine bestimmte Band so visualisieren, dass die Betrachter sogleich wissen: Das ist es, das interessiert mich, da will ich hin.

zentral+: Was benutzt du für Motive? Wie kommst du darauf? 

Gössi: Da habe ich meine eigenen Ideen. Manchmal lasse ich mich von Albumcovers inspirieren. Sie zeigen mir, was eine Band grafisch anspricht. Monster Magnet etwa haben gerne Frauenfiguren. Es ist eine Herausforderung, eine Frau zu zeichnen. Bei den Magnets muss eine selbstbewusste Lady her. Das willst du hinkriegen, da bleibst du ziemlich dran. So hat jede Band ihre Klischees, die sie verkörpern und die man einsetzen kann. Andere Bands sind mit einer politischen Haltung verbunden. Jello Biafra habe ich auf dem Konzertplakat für die Rote Fabrik auf einen elektrischen Stuhl gesetzt. Er war begeistert. Er meinte nur, ich hätte auch noch den ganzen Rotz zeichnen können, der dann unten herausfliesst.

zentral+: Die über 100 Plakate im Houdini sind eine Auswahl von Arbeiten der letzten fünf Jahre. Du musst in den letzten 30 Jahren enorm viele Plakate produziert haben.

Gössi: Ich habe sie nie gezählt. Es sind wohl über 1’000. 

zentral+: Du machst weiterhin Plakate?

Gössi: Das meiste mache ich hauptsächlich für den Sedel oder auch die Schüür, aber auch im Auftrag vom Salzhaus Winterthur, Kofmehl Solothurn, ISC/Reithalle Bern oder auch mal Rote Fabrik Zürich. Aber ich mache auch oft Sachen, die ich nicht machen müsste. Ich habe früh erfahren, dass Public Image Ltd (PIL) am 9. Oktober 2015 in Lausanne spielen. Da habe ich den Veranstalter ausfindig gemacht und ihm meine Bildidee geschickt. Die sind ausgeflippt. Für den Strassenaushang mussten sie etwas Genormtes machen, aber sie verwenden mein Ding für den Webauftritt. Auch die Band hat schon zig Exemplare meines Motivs bestellt. Am Konzert hole ich mir dann die Autogramme von Johnny Rotten & Co.

«Hat sich irgendetwas zum Guten verändert, sodass man nicht laut bellen müsste?»

zentral+: Wäre nicht langsam ein Buch fällig?

Gössi: Das sagen mir viele Leute. Es wäre eine Herausforderung. Ich hätte da schon meine Ideen. (Grinst) Eigentlich sehe ich schon jede Seite vor mir. Es müsste ein Buch sein, in dem neben den Plakaten auch Live-Fotos und ein paar Storys und Backstage-Anekdoten versammelt wären. Als Veranstalter habe ich sehr viele Bands und Musiker kennengelernt. Da käme einiges zusammen. Deftiges, Lustiges, Schräges. Aber das hat noch Zeit.

Hausverbot nach erstem Konzert

Martin Gössi alias Gössi (50) hat sich als Musiker, Plakatmacher und Veranstalter von Punk-Konzerten weit über Luzern hinaus einen Namen gemacht. Er wuchs in Sursee auf und hat mit elf oder zwölf damit begonnen, Punk zu hören. Als Jugendlicher wurde der Sedel Luzern zu seinem Tummelfeld. Mit 18 veranstaltete er sein erstes Konzert.

Im alten Wärchhof brachte er einmal drei angesagte Hardcore-Bands aus Italien auf die Bühne. «Es war mein erstes Konzert im Wärchhof. Danach hatte ich sofort Veranstaltungsverbot.» 1989 bis 1994 war Gössi Abwart im Sedel. Die Wohnung hatte er direkt hinter der Bühne.

Damals entstand auch die Band Moped Lads, mit der Gössi als Sänger mehrere Alben eingespielt und unzählige Konzerte im In- und Ausland gegeben hat. Nach dem Sedel-Abwart-Job war er für einige Jahre in der Schüür (Administration) und in der Betriebsgruppe der Roten Fabrik in Zürich tätig. In Zug betrieb er mit Manuela Künzler eine Zeit lang die Galvanik, dann ging er zur «Wochenzeitung» (WOZ), wo er im Bereich Akquisition und Werbung arbeitete. Seit acht Jahren arbeitet Gössi im Teilpensum auf der Abteilung Soziale Dienste Stadt Luzern.

zentral+: Du hast deine Plakate schon mehrmals am Rebellion Festival in Blackpool/UK gezeigt. Was geht dort ab?

Gössi: Das Rebellion ist wohl das grösste Punk Festival der Welt. 250 Bands spielen, von bekannten Namen bis zu Newcomer-Bands. Nächstes Jahr, wenn 40 Jahre Punk gefeiert wird, ist das Blackpool 20 Jahre alt. Es ist ein riesiges Treffen der Family. Das Grundfeeling ist: Uns gibt es noch immer, wir haben überlebt. Das Festival findet in einer wunderbaren Location mit mehreren Sälen statt. Dort gibt es auch die Punk-Art, wo Plakatkünstler ihre Werke zeigen und auch verkaufen. Ich bin schon seit mehreren Jahren dabei und der einzige Nicht-Brite. 

zentral+: Wie sind da die Reaktionen? Kannst du auch verkaufen?

Gössi: Die letzten beiden Jahre habe ich Postkarten-Serien gemacht, angepasst auf die Bands, die am Festival spielen, und jeweils auch ein paar Spezial-Prints mitgebracht. Ich habe gut verkauft. Mit dem Erlös kann ich jeweils den Aufenthalt finanzieren. Aber das Schönste sind die Kontakte mit den andern Besuchern und den Musikern. Die mischen sich in Blackpool auch ins Publikum. Man kennt sich, trinkt ein Bier zusammen, tauscht sich aus …

zentral+: Du heisst auch Sony Moped: Erkläre das den jungen Lesern.

Gössi: Das ist der Spleen unsere Band Moped Lads. Johnny Moped ist eine britische Band mit einem charismatischen Sänger. Sie verkörpern alles, was Punk ist. Es ist der Sound von Punk, wie wir ihn verstehen. Rau, ruppig, abgefahren. Wir fühlen uns wie die Sprösslinge von Johnny Moped. So haben wir uns alle den Namen Moped gegeben, was natürlich wieder in Anlehnung an die Ramones zu verstehen ist. Sony hat damit zu tun, dass irgendwie alle meine Geräte von Sony sind, obwohl ich nie speziell darauf geachtet habe. Zudem war ich, als der Name entstand, gerade von den japanischen Mangas fasziniert.

zentral+: Wie geht es den Moped Lads? Habt ihr Neues im Köcher?

Gössi: Nach einer längeren Pause, die damit zu tun hat, dass ich einen Zusammenbruch hatte und eine Zeit lang nicht mehr singen konnte, kommen wir jetzt wieder in die Gänge. Wir haben neue Songs aufgenommen und bereits fertig abgemischt. Anfang Jahr sollte die neue Scheibe erscheinen. Wir sind laut wie eh und je.

zentral+: Ist Punk in der heutigen Zeit immer noch eine angemessene Ausdrucksform?

Gössi: Schau dich nur um, was in der Welt so alles abgeht. Hat sich irgendetwas zum Guten verändert, sodass man nicht laut bellen müsste? Wir haben schon früher immer ausgerufen und probiert, etwas zu verändern. Aber es ist überhaupt nicht besser geworden. Das Rad dreht wieder zurück, die Ansichten werden konservativer, der Egoismus ist gewachsen, satte Gewinne sind alles, Politik ist Parteiengeplänkel, die Bunkermentalität nimmt zu und alles, was anders ist, wird noch schiefer angesehen. Das alles macht dich nur noch gätziger.

zentral+: Man könnte darob auch resignieren, sich ohnmächtig fühlen, den Rückzug antreten.

Gössi: Das machen eh schon zu viele. Aber der Scheiss hat nicht aufgehört. Das macht keine Freude. Umso mehr gilt es, wenigstens in deinem Umfeld bewusster zu leben und das herauszuhauen, wofür du einstehst. Im Punk war die Devise: Einfach machen, es kann auch scheitern. Aber heute nimmt sich diesen Spielraum kaum einer mehr. Natürlich ist Punk aus der Jugend entstanden. Aber das ist eine Impfung fürs Leben. Das bringst du nicht mehr weg. Du musstest dich durchkämpfen, wurdest angefeindet. Das hat geprägt, das bringt keiner mehr raus. Dieser chronisch innere Radau ist einfach da, das hört nie auf.

«Dass heute viele junge Bands mit solchen verglichen werden, die schon ihre Grossväter hörten, finde ich bitter.»

zentral+: Wie nimmst Du die Kulturszene in Luzern wahr? Ist der Do-it-Yourself Spirit wach geblieben?

Gössi: Es gibt immer wieder erstaunliche Sachen. Die Himmelrich-Zwischennutzung war so etwas von geil. So etwas bräuchte die Stadt. Mir machen vor allem die kleineren Orte Freude, wie etwa die Kegelbahn, wo ich zwar leider noch nie war, aber das Programm immer studiere, dort sind kreative Leute am Werk. Es rücken immer wieder neue Köpfe nach, die etwas anpacken. Auch das B-Sides ist ein gutes Beispiel dafür, wie Leute etwas Eigenes auf die Beine stellen und es durchziehen, mit allem Drum und Dran.

zentral+: Wie stark interessiert dich die aktuelle Musikszene? 

Gössi: Ich höre nicht nur Punk, wie das einige denken mögen. Meine Ohren saugen auf. Es interessiert mich, was die junge Generation bringt. Es ist eine spannende Zeit heute. Dass heute viele junge Bands mit solchen verglichen werden, die schon ihre Grossväter hörten, finde ich bitter. Da tun mir die Bands richtig leid. Persönlich höre ich auch gerne Reggae im ganzen Spektrum von Ska bis Dub, Industrial, Black Music wie Soul und Blues, je archaischer, desto besser, bis hin zu Hip Hop alter Schule, Metal, Rockabilly, Country. Auch aus Afrika kommt spannende Musik. Kürzlich war ich – endlich – in Hawaii. Dort habe ich eine interessante Art von Blues entdeckt. Aber grundsätzlich habe ich schon gerne, wenn es Krach macht.

 

zentral+: Was sind denn deine drei Platten für die Insel?

Gössi: Da gibt es nur eine: Never Mind The Bollocks von den Sex Pistols. Die reicht mir. Wenn ich hässig bin, wenn ich traurig bin, wenn ich Energie brauche: Diese Platte verkörpert alles, was ich brauche. Sie ist mir noch nie verleidet.

HINWEIS
Die im Houdini ausgestellten Konzertposter von Gössi sind Sonderdrucke, die auch erworben werden können – zum Beispiel an der Finissage diesen Samstag, 26. September. Ab 14 Uhr wird Gössi vor Ort sein und das erworbene Souvenir sicher noch mit einer guten Geschichte eindecken. Bei mehreren Interessenten für ein Poster wird gewürfelt.

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