Dokumentarfilm über Bären – und Männer

Das ist die HSLU-Studentin auf der Oscar-Shortlist

Morgane Frund freut sich sehr darüber, dass ihr Film auf der Oscar-Shortlist steht. (Bild: mre)

Der Abschlussfilm der Lausannerin Morgane Frund steht auf der Shortlist für die Oscars. Wie geht die ehemalige Studentin der Hochschule Luzern mit diesem Erfolg um? Hat sie den Flug nach Los Angeles schon gebucht? zentralplus hat die 26-Jährige getroffen.

Ob sie stolz sei, werde Morgane Frund in letzter Zeit häufig gefragt. «Stolz ist irgendwie keine Emotion, mit der ich mich so richtig identifiziere», sagt die 26-Jährige. «Ich freue mich jedoch extrem darüber, dass mein Dokumentarfilm auf der Oscar-Shortlist steht und es ist ein sehr schönes Gefühl.» Diese Umschreibung passe besser.

Im kommenden März werden bereits zum 96. Mal die Oscars verliehen. Der Preis gilt als der Bekannteste in der Filmbranche. Insgesamt werden Auszeichnungen in 23 Kategorien vergeben. Dazu zählen unter anderem die beste Hauptdarstellerin, die beste Kamera und seit 1943 auch der beste Dokumentarkurzfilm. Der Abschlussfilm «Ours» der HSLU-Studentin Morgane Frund ist einer von insgesamt 15 Anwärtern auf den letztgenannten Preis (zentralplus berichtete).

Die Wahrscheinlichkeit für eine Nominierung liegt bei 1 zu 3

Aus dieser Shortlist für den besten Dokumentarkurzfilm werden in einem nächsten Schritt fünf nominiert – und diese am 23. Januar 2024 bekannt gegeben. Frunds Chancen dafür, am 10. März bei der Oscar-Verleihung als Nominierte dabei zu sein, stehen also rein rechnerisch nicht schlecht. Sie selbst könne die Wahrscheinlichkeit gar nicht einschätzen, sagt die HSLU-Absolventin gegenüber zentralplus.

Ob sie den Flug nach Los Angeles denn bereits gebucht habe? Frund schüttelt vehement den Kopf. Sie wolle jetzt erst mal alles Schritt für Schritt auf sie zukommen lassen. Wenn Ende Januar die Nominierten bekannt gegeben werden, arbeitet sie bei den Solothurner Filmtagen. Das sei super, dann könne sie mit ihrer Freundin trinken, wenn sie nominiert wurde und auch, wenn sie nicht nominiert wurde, erzählt sie lachend.

Den 19-minütigen Film habe sie selber eingereicht. Das war möglich, da sie zuvor einen Preis am «Guanajuato International Film Festival» in Mexiko gewonnen hat. Eine Auszeichnung an einem solchen Festival ist die Voraussetzung, um auf die Shortlist zu kommen. «Für mich war klar, dass ich den Film einreiche, wenn ich schon mal die Möglichkeit dazu habe. Erhofft habe ich mir aber nichts.»

Dass ihr Film «Ours» als einer von nur 15 weltweit ausgewählt wurde, berührt sie aus einem Grund besonders. Eine internationale Academy stimmt über die Shortlist ab. «Es freut mich sehr, dass ich etwas geschaffen habe, dass anscheinend so viele Menschen aus verschiedenen Ländern anspricht.» Gerade der Umgang mit dem Konflikt im Film sei ihr etwas schweizerisch vorgekommen. Sie habe deshalb nicht gedacht, dass sie damit international Menschen erreichen könne. «Aber der Erfolg des Films zeigt auch, dass der male gaze – der männliche Blick – überall ein Thema ist.»

Im Film geht es um den männlichen Blick auf Frauen

Doch um was geht es überhaupt in diesem Film, der im Rahmen eines Abschlussprojekts an der Hochschule Luzern produziert wurde? Ursprünglich sollte es ein Film über Bären werden. Ein Ruswiler Hobbyfilmer wollte an der Hochschule jemanden finden, der aus seinen Bärenaufnahmen einen Dokumentarfilm schneidet. Die Studentin Morgane Frund interessiert sich für Tierfilme und nahm sich der Aufgabe gerne an. Als sie im Archiv von Filmer Urs Amrein jedoch viele Aufnahmen von Frauen fand, hat der Film einen neuen Dreh erhalten. Frund machte einen Film über den männlichen Blick, die Gewalt hinter diesem Blick und den Dialog darüber. Frund und Amrein wurden zu den Protagonisten.

Als sie das erste Mal Filmaufnahmen von Frauen gesehen hat, wollte sie nicht richtig glauben, was sie sieht. Sie erzählt, sie habe sich eingeredet, dass es einfach Aufnahmen der Stadt seien. Doch mit der Häufung der Aufnahmen war für die klar: Das ist ein Blick auf die Welt, ein Blick auf Frauen, den sie selber im Alltag häufig spürt und der sich unangenehm anfühlt. Ausserdem seien die Frauen wohl kaum danach gefragt worden, ob es für sie okay ist, gefilmt zu werden.

Die 26-Jährige überlegte sich, das Projekt hinzuschmeissen – aber nur kurz. Der Impuls, die Aufnahmen nicht einfach zu ignorieren, sondern etwas aus der Situation zu machen, sei stärker gewesen. Sie wollte den Hobbyfilmer mit ihrem Unbehagen konfrontieren – mit ihm in Dialog treten. Ihr sei aber von Beginn an wichtig gewesen, mit Amrein auf einer Augenhöhe zu sein. Sie wolle nicht einfach die Kamera auf ihn halten und ihn exponieren. Für die Filmemacherin war klar: «Ich musste mich auch exponieren.»

Selber vor der Kamera zu stehen löst in Frund grosse Unsicherheit aus

Davor habe sie nur Filme mit Tieren gedreht. Beispielsweise über ein Altersheim für Pferde und über Quallen. Selber vor die Kamera zu treten, habe sie viel Überwindung gekostet. Als sie dann die Filmaufnahmen von sich das erste Mal sah, habe sie sich geschämt. «Ich sehe extrem unsicher aus, wie ich die ganze Zeit mit meinen Händen spiele und die Sätze nicht richtig formulieren kann.» Mit der Zeit habe sie aber gemerkt, dass es genau richtig ist, dass man ihre Unsicherheit sehe. Ihre Körpersprache zeige alles, was sie in dem Moment nicht sagen konnte.

Die Unsicherheit, wenn sie selber vor die Kamera tritt, sei auch heute nicht verschwunden. Gleichzeitig habe sie die Freude an diesem Filmformat entdeckt und will weiter in diese Richtung gehen.

Mit dem Film hat sie sich erhofft, Diskussionen anzuregen. Und das scheint geklappt zu haben. «Mich berührt, dass ich Menschen aller Altersgruppen und Geschlechtern ansprechen konnte.» Sie mache Filme, damit sie gesehen werden. Deshalb habe sie sich auch gewünscht, dass der Film an ein, zwei Schweizer Festivals gezeigt werde. Alles darüber hinaus sei absolut unerwartet gekommen.

Der Dokumentarfilm wurde nämlich unter anderem für den Filmwettbewerb «Berlinale Shorts» nominiert und feierte dort seine internationale Premiere. Zudem hat der Schweizer Filmpreis Frunds Projekt als besten Abschlussfilm ausgezeichnet (zentralplus berichtete).

Die Hochschule unterstützt die Filmemacherin weiterhin

Das Filmstudium an der Hochschule Luzern habe ihr sehr gut gefallen. «Es war perfekt für mich.» Besonders, dass es nicht um fiktionale Filme geht, habe sie sehr geschätzt. Die Lausannerin habe sich im Studium sehr frei bewegen können und jederzeit die notwendige Unterstützung erhalten. Die Schule habe sie auch über den Abschluss hinaus unterstützt. «Es war schon sehr viel, das auf einmal auf mich zukam. Da war ich froh um etwas Hilfe.» An Luzern habe sie schöne Erinnerungen – vor allem an die Menschen, mit denen sie studierte. Da ihre Zeit in Luzern jedoch sehr von der Pandemie gezeichnet war, habe sie von der Stadt leider nicht allzu viel kennengelernt.

Mit Morgane Frund eine Schweizerin an den Oscars zu haben wäre eine grosse Chance, denn die Schweiz ist bisher alles andere als reich an Oscars. Insgesamt erhielten in den knapp hundert Jahren zwölf Schweizer oder Schweizer Produktionen das goldene Männchen. Das letzte Mal gelang dies 2019 dem Informatiker Thabo Beeler. Er erhielt gemeinsam mit drei weiteren Personen den Oscar für technische Verdienste.

Für den besten internationalen Film vom Jahr 2023 hat das Bundesamt für Kultur den Schweizer Spielfilm «Foundre» eingereicht. Dieser ist jedoch in der Vorrunde ausgeschieden – er hat es nicht auf die Shortlist geschafft.

Der Film «Ours» von Frund kann noch bis zum 21. Januar 2024 auf Play SRF geschaut werden.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Morgane Frund
  • Liste der Schweizer Oscarpreisträger
  • Website der Oscars
  • Artikel von swissinfo zum Film «Foundre»
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


1 Kommentar
  • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
    Marie-Françoise Arouet, 30.12.2023, 17:39 Uhr

    Die Oscars geben sich zeitgeistig woke und inquisitorisch. Der Beitrag hat gute Chancen.

    👍1Gefällt mir👏1Applaus🤔0Nachdenklich👎3Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon