Neues Gutachten bezweifelt Glaubwürdigkeit der Zeugin

Zuger Vergewaltiger: Revision trotz Lügen abgelehnt

Kann das Gericht den Aussagen der Tochter trauen? Die Staatsanwaltschaft ist sich nicht mehr sicher. (Bild: Symbolbild: Unsplash/Jp Valery)

Ein 50-Jähriger ist im Oktober 2020 wegen Vergewaltigung und sexuellen Handlungen mit seiner Stieftochter schuldig gesprochen worden. Die Zuger Staatsanwaltschaft wollte den Fall nochmals neu aufrollen, da sie inzwischen an der Glaubwürdigkeit des Opfers zweifelt.

Hat ein heute 50-Jähriger seine Stieftochter vergewaltigt oder nicht? Das Zuger Obergericht war sich dessen im Oktober 2020 sicher. Das Gericht hat den gebürtigen Portugiesen wegen Vergewaltigung, mehrfacher sexueller Nötigung und mehrfachen sexuellen Handlungen mit Abhängigen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verurteilt. Er sitzt seine Strafe derzeit im Wauwilermoos ab, danach wird ein sechs Jahre dauernder Landesverweis vollzogen.

Doch neue Gerichtsfälle des heute 26-jährigen Opfers sowie ein neues psychologisches Gutachten liessen Zweifel bei der Zuger Staatsanwaltschaft aufkommen. Sie stellte darum beim Zuger Obergericht ein Revisionsgesuch – erfolglos.

Er und Partnerin nannten Opfer manipulativ

Aber der Reihe nach: Der Mann sass November 2019 auf der Anklagebank des Zuger Strafgerichts. Seine heute 26-jährige Stieftochter hat ihn im Frühling 2017 angezeigt, weil er über Jahre hinweg sexuelle Handlungen an ihr vorgenommen habe. Er habe sie unsittlich berührt, solle ihre Hand an sein Geschlechtsteil geführt und mit ihr Oral- und Vaginalverkehr gehabt haben.

Er wiederum wollte von den Vorwürfen nichts wissen. Stattdessen stellte er sich auf den Standpunkt, dass seine Stieftochter ihm Avancen gemacht und ihn im Schlaf wiederholt am Geschlechtsteil berührt habe. Er vermutete daher Ärger über seine Rückweisung als Motiv – oder Geld, wie die «Zuger Zeitung» damals schrieb. Denn sie verlangte eine Genugtuung von 45’000 Franken. Auch seine Lebenspartnerin beteuerte, von den vorgeworfenen Handlungen nichts mitbekommen zu haben. Jedoch habe ihre Tochter ihr mit 16 Jahren offenbart, in den Stiefvater verliebt zu sein. Sie leide zwar an Epilepsie und verfüge über eine stark verminderte Intelligenz – sei jedoch hochgradig manipulativ.

Letztlich schenkte das Zuger Strafgericht jedoch der jungen Frau Glauben. Zum Verhängnis wurde dem Beschuldigten dabei auch, dass er mit Vorliebe nach Pornos zwischen jungen Mädchen und älteren Männern oder inzestuösen Beziehungen suchte. Insgesamt 82-mal innert drei Monaten soll er diese geschaut haben, wie im Urteil steht. Der Fall landete schliesslich am Zuger Obergericht, wie das «St. Galler Tagblatt» schrieb. Dieses bestätigte das erstinstanzliche Urteil.

Weitere Männer erfolglos beschuldigt

Zwar ist das Urteil längst rechtskräftig. Doch seither hat sich bei der Stieftochter einiges getan. Im Jahr 2021 zeigte sie zwei weitere Männer wegen Sexualdelikten an – beide Verfahren wurden eingestellt. In einem Verfahren machte die Frau widersprüchliche Aussagen und reichte Beweise ein, die die Staatsanwaltschaft nicht überzeugen konnten. So wurden auf drei eingereichten Unterhosen nicht wie beteuert Spuren von der Tat gefunden.

Im zweiten Verfahren schrieb die heute 26-Jährige ihren Kolleginnen Anweisungen, wie sie bei der Polizei aussagen sollen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sie den Mann aus Enttäuschung angezeigt hat, weil dieser keine Beziehung mit ihr eingehen wollte. Wegen dieser beiden Vorfälle hat die Staatsanwaltschaft nun ein Verfahren wegen mehrfacher falscher Anschuldigungen gegen sie eröffnet. Im Zuge dessen hat eine Psychiaterin die Beschuldigte forensisch-psychiatrisch begutachtet.

«Es war [...] bekannt und anerkannt, dass die minderintelligente Privatklägerin von Zeit zu Zeit in bestimmten Situationen log und ihr Verhalten allgemein von der Norm abwich.»

Zuger Obergericht zur nachträglichen Diagnose

Sie diagnostizierte bei der jungen Frau eine verminderte Intelligenz und eine Persönlichkeitsstörung. Unter anderem sei sie emotional unreif und tendiere dazu, sich selbst und andere zu täuschen. Gemäss ihren Einschätzungen ziehe die Störung die Zuverlässigkeit ihrer Zeugenaussagen in Zweifel. Diese Störung habe bereits beim Gerichtsfall von 2020 vorgelegen – sei in einem damaligen Gutachten aber nicht diagnostiziert worden. Womit auch ihre Aussagen von damals weniger glaubwürdig erscheinen. Die Zuger Staatsanwaltschaft stellte darum ein Revisionsgesuch an das Zuger Obergericht.

Spätere Lügen haben keinen Einfluss auf Urteil

Jedoch ohne Erfolg: Das Obergericht weist das Revisionsgesuch ab. Denn gemäss Strafprozessordnung dürfen Revisionen nur auf Beweisen und Tatsachen basieren, die bereits vor dem Urteil vorgelegen haben. Sprich: Gerichtsfälle oder allfällige Falschaussagen nach dem damaligen Urteil dürfen nicht verwendet werden. Auch wenn diese allenfalls zu einem anderen Urteil führen würden, so das Gericht.

Das Zuger Obergericht führt dazu im Urteil weiter aus: «So gilt zu beachten, dass es theoretisch nach einem rechtskräftigen Urteil im weiteren Verlauf des Lebens eines Belastungszeugen stets Situationen geben kann, in denen der Belastungszeuge allenfalls nicht die Wahrheit sagt.» Das könne aber nicht nachträglich die Glaubwürdigkeit des Zeugen infrage stellen – da sonst die Rechtssicherheit gefährdet wäre.

Auch die nachträgliche Diagnose überzeugt das Obergericht nicht als Revisionsgrund. Bei einem Gutachten von 2020 sei zwar keine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert worden. Die zugrunde liegenden Verhaltensauffälligkeiten sei den Gutachterinnen jedoch bekannt gewesen. «Es war [...] bekannt und anerkannt, dass die minderintelligente Privatklägerin von Zeit zu Zeit in bestimmten Situationen log und ihr Verhalten allgemein von der Norm abwich.» Trotzdem kamen die Gutachterinnen zum Schluss, dass die Frau zeugentauglich sei und keine Motive für Falschaussagen hätte. Zum gleichen Schluss kam auch eine Psychiaterin, die das damalige Gutachten gegenlas.

Somit bleibt das Zuger Obergericht bei seinem Entscheid vom Oktober 2020, der 50-Jährige verweilt weiter im Gefängnis. Was bleibt, sind gut 2’180 Franken Verfahrenskosten und rund 5’900 Franken Anwaltskosten für die amtliche Verteidigung des Mannes und den unentgeltlichen Rechtsbeistand der Frau. Die insgesamt 8’080 Franken werden aus der Staatskasse bezahlt. Gleichzeitig betont das Gericht, dass die Staatsanwaltschaft ihrem Auftrag, bei Kenntnisnahme möglicher Gründe eine Revision zu beantragen, pflichtgemäss nachgekommen sei.

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Zelle E01
    Zelle E01, 15.06.2023, 09:42 Uhr

    Dass ein Verhalten eines Missbrauchsopfers von «der Norm» abweichen kann, sollte jedem nachvollziehbar sein. Die Folgen des Missbrauchs wird wohl leider ihr ganzes Leben begleiten. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, dass ein rechtskräftig verurteilter Sexualstraftäter, der die Tat abstreitet, im offenen Vollzug mit anderen Sexualstraftätern verkehrt, sie verteidigt und in Schutz nimmt. Über die frauenfeindliche Rhetorik, die weit über die Macho-Kultur eines Gefängnisses geht, fang ich gar nicht erst an. Das selbst gekochte Hühnchen vom «Taxi-Vergewaltiger» (mittlerweile auf freien Fuss), das mehrere Monate zuvor im verschimmelten Kühlschrank lag, muss wohl äussert gut schmecken…

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    • Profilfoto von Hammer
      Hammer, 15.06.2023, 12:50 Uhr

      mer und de italos sagte er trinkt viel und seine Hand sei bei seiner Frau ausgerutscht. Ist klar, 5 Jahre kassiert dafür. Sein Freund ist Reiseunternehmer und hat nie Taxi gefahren. Seine Angestellte hat ihn nur der sexuellen Belästigung angezeigt. 7 Jahre dafür, auch klar! Gruusigi sieche! Wetten von dem werden wir in Zukunft noch was höhren. Gruss ex paviion D

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    Marie-Françoise Arouet, 15.06.2023, 07:40 Uhr

    Dass es hier überhaupt zu einer Verurteilung gekommen ist, erschüttert das Vertrauen in den Rechtsstaat.

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