Verhandlung am Strafgericht Zug

Kindsmissbrauch? Zuger soll vier Jahre ins Gefängnis

Vor dem Zuger Starfgericht musste sich ein Mann wegen sexuellen Handlungen mit einem Kind verantworten. (Bild: ber)

Ein Mann aus dem Kanton Zug soll sich Dutzende Male an der Tochter seiner Lebensgefährtin vergangen haben. Vor dem Strafgericht hat dieser am Mittwoch seine Unschuld beteuert. Für das Gericht stellt sich jetzt eine einzige Frage: Wer lügt?

8.30 Uhr am Mittwochmorgen, im Atrium des Gerichtsgebäudes unweit des Zuger Bahnhofs plaudern zwei Männer im Anzug. Einer ist der Staatsanwalt, der andere der Verteidiger eines dritten Mannes, der im blauen Hemd und mit stoischem Gesichtsausdruck ein wenig abseits steht.

Er macht einen gefassten Eindruck, fast unberührt. Doch was hier passiert, geht ihn wohl mehr an als alle anderen im Foyer. Denn nur Minuten später wird er neben seinem Anwalt und vor dem dreiköpfigen Zuger Strafgericht sitzen und über seine Dolmetscherin ausrichten lassen: «Ich möchte sagen, dass ich unschuldig bin.»

40 bis 50 Übergriffe in zweieinhalb Jahren?

Anders sieht das die Zuger Staatsanwaltschaft. Sie wirft dem Mann vor, sich an der pubertierenden Tochter seiner Lebensgefährtin vergriffen zu haben. Wann das war, bleibt an dieser Stelle unerwähnt – ebenso die Details zu Beruf oder Aussehen des Beschuldigten und das Alter der Tochter, die als Privatklägerin an der Verhandlung teilgenommen hat.

Das Gericht hatte ihren Antrag gutgeheissen, die Öffentlichkeit von der Verhandlung auszuschliessen. Die Presse war zugelassen, erhielt aber die Auflage zur besonderen Zurückhaltung, um Rückschlüsse auf die Identität der Parteien auszuschliessen.

«Mädchen im damaligen Alter des Opfers sind Kinder, die sich in der Erwachsenenwelt nicht auskennen und für Menschen wie den Beschuldigten leichte Beute sind.»

Aus dem Plädoyer des Staatsanwalts

Denn es waren sehr intime Vorwürfe, welche die Anwesenden am Mittwoch vor Gericht zu hören bekamen. Der Staatsanwaltschaft zufolge habe sich der Beschuldigte während zweieinhalb Jahren 40- bis 50-mal an der Tochter seiner Freundin vergangen. Der Beschuldigte soll das Opfer mit Finger oder Zunge an der Vagina berührt haben – und zwar «unter dem Vorwand, ihre Jungfräulichkeit überprüfen zu wollen», wie es in der Anklage heisst. In einem weiteren Fall habe die Tochter den Beschuldigten gerade noch abwehren können, bevor es zum Sex gekommen wäre. Um zu verhindern, dass die Übergriffe ans Licht kommen, habe der Beschuldigte der Tochter gedroht, ihrer Mutter zu erzählen, dass er Zigaretten bei ihr gefunden oder sie deren Unterschrift gefälscht habe.

Beschuldigter soll die Schweiz sieben Jahre verlassen

Wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind und mehrfacher sexueller Nötigung forderten die Strafverfolger vier Jahre Gefängnis und einen siebenjährigen Landesverweis für den Mann. Zusätzlich soll ihm das Gericht verbieten, für den Rest seines Lebens mit Kindern zu arbeiten, sei es beruflich oder in einem Verein.

In seinem Plädoyer sagte der Staatsanwalt, Mädchen im damaligen Alter des Opfers seien verträumt, neugierig, manchmal frech: «Sie sind Kinder, die sich in der Erwachsenenwelt nicht auskennen und für Menschen wie den Beschuldigten leichte Beute sind.»

Wenn die glaubhaften Schilderungen des Opfers falsch wären, würde das bedeuten, dass die Tochter ein komplexes Lügenkonstrukt errichtet hätte. Sie hätte also Übergriffe erfinden müssen, sich Erinnerungen ausgedacht, Familie, Freunde und Schule manipuliert haben müssen: «Und das alles nur, um den Freund ihrer Mutter loszuwerden», so der Staatsanwalt, der bemerkte, das wäre dem pubertierenden Opfer nicht zuzutrauen gewesen. Auch der Anwalt der Tochter, der 10'000 Franken Genugtuung für seine Mandantin forderte, argumentierte, ihre Aussagen seien glaubhaft und konsistent.

Was ist mit «es» gemeint?

Kern der Verhandlung war die Besprechung eines Audioprotokolls, das auf zwei Arten interpretiert werden konnte. Die Tochter hatte ein Gespräch mit dem Beschuldigten aufgezeichnet, in dem es darum ging, dass der Beschuldigte etwas von der Tochter sehen wollte. Die Frage war: Was war dieses «es», das die Tochter zeigen sollte? Ihr Handy, um zu kontrollieren, ob sie mit einem Mann schrieb, wie das der Beschuldigte sagte? Oder ihr Geschlechtsteil, wie dies Staatsanwaltschaft und Privatklägerin behaupteten und dem Beschuldigten gleichzeitig unterstellten, sich in Widersprüchen und Schutzbehauptungen zu verstricken?

Diese Frage hat nun das Gericht zu beantworten, wobei die Verteidigung beantragte, ein Sprachgutachten zu erstellen, das Klarheit über die Aussagen bringen soll.

Verteidiger fordert Freispruch

Nachdem der Mann im blauen Hemd seine Unschuld beteuert hatte, forderte dessen Verteidiger einen Freispruch und 20'000 Franken Genugtuung für die Zeit, die sein Mandant in Untersuchungshaft war: «Es geht heute darum, zu verhindern, dass eine unschuldige Person ins Gefängnis wandert.»

«Sie wissen, dass relativ oft gelogen wird bei Sexualdelikten, gerade von jungen Mädchen, die sich nicht verstanden fühlen oder Aufmerksamkeit wollen.»

Aus dem Plädoyer des Verteidigers

Anders als Strafverfolger und Anwalt der Tochter bewertete der Verteidiger die Tochter als unglaubwürdig. Die Aussagen würden sich etwa bei der Anzahl und Dauer der Übergriffe widersprechen, da diese je nach Vernehmung variiert haben. Zudem habe die Tochter bei den Einvernahmen emotionslos gewirkt, gegähnt und während einer Pause ein Selfie gemacht: «Es ist zugegeben schwierig, anhand der Körpersprache verlässliche Schlüsse zu ziehen, aber man kann sicher sagen, dass das Opfer nicht traumatisiert scheint.» Das aber hatte ihr Anwalt vor Gericht gesagt und unterstrichen, die Tochter leide bis heute unter dem Missbrauch.

Im Kern also sagte der Verteidiger in seinem anderthalbstündigen Plädoyer: Der Tochter kann man nicht trauen. Jedenfalls nicht so sehr, dass keine unüberwindlichen Zweifel an ihrer Version und damit an der Anklage vorliegen, weshalb das Gericht den Angeklagten freizusprechen habe: «Sie wissen, dass relativ oft gelogen wird bei Sexualdelikten, gerade von jungen Mädchen, die sich nicht verstanden fühlen oder Aufmerksamkeit wollen.» Daraufhin entgegnete der Staatsanwalt, er zweifle stark, ob man das so plakativ sagen könne. Gleichzeitig appellierte er ans Gericht, sich nicht «vom Zweifel einlullen zu lassen».

Was das Gericht von den Argumenten hält, ist unklar. Zu einem Urteil kam es nach fast sieben Stunden Verhandlung nicht. Das Gericht kündigte seinen Entscheid für Ende Juni an. Und so endete die Verhandlung, wie sie angefangen hat. Mit dem Beschuldigten, der über seine Dolmetscherin ausrichten liess: «Ich bin unschuldig. Und ich hoffe, das Gericht erkennt meine Unschuld.»

Verwendete Quellen
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