My First Plant

Zug: Schall und Rauch um CBD-Anbieter?

Die My First Plant GmbH verspricht hohe Gewinne bei der Investition in CBD-Hanf. (Bild: Adobe Stock)

Wer bei My First Plant in Hanfpflanzen investiert, soll einfach Geld verdienen. Doch seit Monaten warten Anleger auf Auszahlungen, in Österreich ermitteln die Strafverfolger. Dort fürchtet man, der Geschäftsführer sei abgetaucht. Eine Spur führt in den Kanton Zug.

Das Quartier ist so neu, bei der Einfahrt in die Querstrasse passiert man Baugrube und Maschinenpark. Die Dächer sind flach, die Rasen getrimmt in dieser Siedlung irgendwo im Kanton Zug, wo in einem vierstöckigen Haus der Name eines Mannes am Briefkasten steht, der in Wahrheit anders, in dieser Geschichte Lukasz Martins heisst.

Lukasz Martins ist ein Mensch, der von «Thematiken» spricht, wenn er Themen meint und «Problematiken» sagt, wenn er Probleme hat. Und davon hat der Österreicher Anfang 30 einige. «Aufgrund (…) der Problematiken unserer Auszahlungen möchte ich nun mit diesem Videostatement etwas näher auf die Thematiken eingehen und vor allem auch ein paar nähere Einblicke liefern», sagte der Geschäftsführer der My First Plant GmbH Mitte Februar, als er per Videobotschaft seine «Community» zu beruhigen versuchte; also jene Leute, die in Martins Firma investiert hatten.

Und die ziemlich wütend sind.

Wenn die Pflanze dein Geld verdient

Seit Monaten häufen sich die Meldungen, dass viele von dem Geld nichts gesehen haben, das ihnen die My First Plant GmbH schuldet. Immerhin hat die Firma ein Versprechen abgegeben, das sich in drei Worte zusammenfassen lässt und bis jetzt nicht eingelöst wurde: Geld ohne Arbeit.

«Es gab immer wieder Versprechen, dass die Auszahlungen demnächst stattfinden. Aber passiert ist nichts.»

Heinz Berchtold, Investor bei der My First Plant GmbH

Möglich machen soll das ein Stoff, den viele nur unter seiner Abkürzung kennen. CBD, Cannabidiol, kommt in Hanfpflanzen vor, soll beruhigen und Ängste lösen und wirkt, anders als THC, nicht psychoaktiv.

CBD ist also legal und wird deshalb industriell verarbeitet: zu Ölen, Handcrèmes, Tee. Von einem «Milliardenmarkt mit enormem Potential», schreibt My First Plant und wirbt auf ihrer Website: «Stell dir vor, du hättest eine Pflanze, die Geld für dich verdient. Und müsstest sie nicht einmal giessen.»

Mehrere Schweizer sind betroffen

Für 900 Euro verkauft die Firma Hanfpflanzen und das Versprechen, sich um Anbau und Aufzucht zu kümmern. Anschliessend ernte My First Plant Stängel oder Blüten und verkaufe diese an die Industrie. Die Erträge sollen zurück an die Anleger fliessen: bis zu 100 Euro pro Pflanze, und das drei Mal im Jahr. Zusätzlich winkt Investoren Geld, wenn sie ein eigenes Vertriebsteam aufbauen, also neue Anleger an My First Plant vermitteln.

«Alle vier Monate hätte ich 500 Euro verdienen sollen», sagt Heinz Berchtold, einer von mehreren Schweizern, die in My First Plant investiert haben. Für zehn Hanfpflanzen samt Betreuung über fünf Jahre habe er 6000 Euro ins österreichische Klagenfurt überwiesen, wo die Firma ihren Sitz hat. Jetzt wartet Berchtold auf sein Geld. Und zwar seit Februar: «Es gab immer wieder Versprechen, dass die Auszahlungen demnächst stattfinden. Aber passiert ist nichts.»

Dieses Problem haben viele der rund 20’000 Personen, die laut Angaben der Firma Hanfpflanzen bei My First Plant gekauft haben. Teilweise warten Investorinnen seit Dezember auf ihr Geld, wie Chatnachrichten auf Telegram zeigen. Immer wieder stellten Kunden im letzten halben Jahr Fragen, immer wieder hatte das Unternehmen Erklärungen parat, wieso es sie nicht auszahlen konnte.

«Dabei traf uns die Absage genauso überraschend wie euch; haben wir doch genauso wie viele andere aus der Community aus den Medien von der Entscheidung (…) erfahren müssen.»

Aus einem Newsletter der My First Plant GmbH

Einmal gab es Probleme mit der Buchhaltung, dann blieb Ware fünf Monate am Schweizer Zoll hängen, zuletzt kommunizierte die Firma eine gescheiterte Übernahme durch einen Kaufinteressenten: «Dabei traf uns die Absage genauso überraschend wie euch; haben wir doch genauso wie viele andere aus der Community aus den Medien von der Entscheidung (…) erfahren müssen», heisst es in einem Newsletter vom 15. Mai.

Die Geschäftsführung suche jetzt nach einer «zeitnahen Lösung». Man müsse «einmal mehr» um Verständnis bitten, erst wieder informieren zu können, wenn man selber mehr wisse.

Die Stiftung Warentest warnt vor der My First Plant GmbH, auch die Strafverfolgungsbehörden sind aufmerksam geworden. Bereits Ende März bestätigte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt Betrugsermittlungen gegen Lukasz Martins. Die Landespolizeidirektion Kärnten schreibt, es bestehe ein Anfangsverdacht für eine «strafbare Handlung», nachdem sich mehrere Privatpersonen gemeldet hätten. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Geschäftsführer bewegte sich im Umfeld von umstrittener Krypto-Firma

Ehe die My First Plant GmbH im Sommer 2020 gegründet wurde, trat Lukasz Martins als Kadermitarbeiter von EXW Wallet in Erscheinung. Die Plattform hatte mit hohen Renditen beim Verkauf von Kryptowährungen geworben und Investoren Geld in Aussicht gestellt, wenn sie weitere Kunden ins Unternehmen holten. Laut Medienberichten kam im Fall von EXW Wallet der Verdacht eines illegalen Schneeballsystems auf. Auf Anfrage bestätigt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft Österreichs einen Bericht des «Beobachters», wonach gegen zehn Personen Ermittlungen laufen. Ob Martins darunter ist, sagt die Behörde nicht. Man gebe grundsätzlich keine Auskunft zu Verfahrensparteien, heisst es aus Wien. Nebst dem mutmasslichen Aufbau eines Schneeball- oder Pyramidensystems stehen der Verdacht auf schweren Betrug und Geldwäscherei im Raum. Erst am Freitag machte der «Beobachter» zudem die Verhaftung eines weiteren EXW-Führungsmitglieds publik.

Ermittlung in Österreich, Unterschlupf in Zug?

Die Behörden bestätigen damit einen Bericht des Wiener «Kurier», der die Frage nach einem Millionenbetrug aufwarf und schrieb, mancher Investor fürchte, Geschäftsführer Lukasz Martins sei abgetaucht.

Dienstag nach Pfingsten, irgendwo im Kanton Zug. Um kurz nach 8 Uhr verstummt das Klingeln ein zweites Mal. Wieder nichts.

Vielleicht ist noch niemand wach, womöglich keiner mehr da in der Wohnung, an deren dazugehörigem Briefkasten Lukasz Martins richtiger Name steht. Ein Schildchen oberhalb verrät, dass die «MFP My First Plant GmbH» hier ihre Post empfängt, auch wenn im Zuger Handelsregister keine Firma mit diesem Namen registriert und im österreichischen Firmenbuch nur die Adresse in Klagenfurt hinterlegt ist.

Offene Fragen

Auch ein zweiter Versuch, Lukasz Martins in dem Wohnhaus anzutreffen, bleibt erfolglos. Und so muss sich per Telefon, E-Mail und Brief an die My First Plant GmbH wenden, wer Fragen hat. Etwa: Was sagt Lukasz Martins zur Befürchtung, er könnte sich vor Ermittlern und Gläubigern verstecken?

Wieso verfügt er über eine Postanschrift im Kanton Zug, wo doch weder Gemeinde noch das kantonale Amt für Migration Kenntnis von ihm haben, er sich in Zug also nicht angemeldet hat?

Was entgegnet er auf die Aussagen eines Vertreters der überschaubaren Schweizer Hanfbranche, der noch nie etwas von einer Indoor-Anlage gehört hat, die My First Plant laut Eigenangaben im Kanton Aargau betreibt?

Wie kann es sein, dass eine Lieferung fünf Monate am Schweizer Zoll aufgehalten worden sein soll, das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit aber schreibt, sichergestellte Sendungen freizugeben, sobald ein Drogen-Schnelltest Klarheit geschaffen habe, was «relativ schnell» gehe.

Und vor allem: Wann bekommen Kunden wie Heinz Berchtold ihr Geld?

Laut Eigenangaben betreibt My First Plant eine Hanf-Indoor-Anlage im Kanton Aargau. Symbolbild: Adobe Stock

Betriebsleiter ist in Luzern wegen Millionenbetrugs vorbestraft

In jüngster Vergangenheit trat ein 66‑jähriger Deutscher als Vertriebsleiter der My First Plant GmbH auf. Dieser ist der Luzerner Justiz bekannt: 2015 musste er sich vor dem Kriminalgericht verantworten, da er Hunderte Geschädigte mit fiktiven Goldgeschäften um ihr Geld gebracht hatte. Die Staatsanwaltschaft bezifferte den Schaden auf rund 10 Millionen Franken (zentralplus berichtete). Das Kantonsgericht verurteilte den Mann 2018 zu fünf Jahren und drei Monaten Gefängnis – wegen Betrugs, Urkundenfälschung und ungetreuer Geschäftsführung. Zudem hat ihm das Gericht für fünf Jahre verboten, in der Schweiz in «irgendeiner Form» im Finanzbereich tätig zu sein. 

My First Plant spricht von Verwechslung

Nach zwei Tagen trifft die Antwort aus Klagenfurt ein. Im Auftrag von Lukasz Martins schreibt eine Mitarbeiterin, weder My First Plant noch der Geschäftsführer hätten eine Postanschrift im Kanton Zug. Obwohl der Briefkasten etwas anderes sagt. Und obwohl dort auch der Name eines Mannes steht, der mit Martins bis vor Kurzem im Verwaltungsrat einer Zuger Firma zum Vertrieb von Pflanzenprodukten sass. «Es muss sich hierbei um eine Verwechslung handeln, möglicherweise aufgrund des Standortes der Schweizer Indoor-Halle», schreibt My First Plant.

Die Adresse der Indoor-Anlage will die Firma aus Sicherheitsgründen nicht nennen und entgegnet auf die Aussage des Schweizer CBD-Kenners, dieser sei offenbar nicht über alle grösseren Hallen der Schweiz im Bild. Die Verzögerung am Zoll habe es gegeben, weil die «zuständige Sachbearbeiterin aufgrund von Urlaub und Krankheit» nicht verfügbar gewesen sei. Und die Probleme mit den Auszahlungen seien mitunter entstanden, weil «mehrere Vertragspartner» ihre Zusagen nicht eingehalten hätten.

Das Unternehmen betont: «Es handelt sich lediglich um eine Zahlungsstockung, nicht um eine absolute Zahlungsunfähigkeit.» Schliesslich heisst es, von Ermittlungen der Strafverfolger habe man «keine Wahrnehmung», weise Betrugsanschuldigungen aber gleich zurück wie die Behauptung, Lukasz Martins könnte untergetaucht sein. Der Geschäftsführer befinde sich in Klagenfurt, dem Hauptsitz der Firma und seinem Wohnort: «Es werden regelmässig Online- und Offlinemeetings durchgeführt, weshalb es uns tatsächlich ein Rätsel ist, wie man auf diese Behauptung kommt.»

Die Strafverfolger in Österreich sagen aus ermittlungstaktischen Gründen nicht, ob sie Martins in der Schweiz vermuten. Derweil hat das Bundesamt für Justiz kein Rechtshilfeersuchen in der Sache erhalten, auch die Zuger Staatsanwaltschaft ermittelt nicht gegen Martins.

Firma will an Videokonferenz Klarheit schaffen

Ein nächstes Onlinemeeting hat My First Plant für den kommenden Mittwoch angesagt. An einer Videokonferenz werde Lukasz Martins über die Zukunft von My First Plant orientieren und Stellung nehmen zu den jüngsten Presseartikeln, die teilweise falsche Aussagen wiedergegeben hätten. Gut möglich also, dass Martins erneut «Thematiken» anspricht und auf aktuelle «Problematiken» eingeht.

Auch Heinz Berchtold will an dieser Konferenz teilnehmen. Vielleicht erfährt er dann, wann er sein Geld bekommt. Denn während er auf die Auszahlung vom Februar wartet, sollte ihm in zwei Wochen schon der Erlös aus der nächsten Ernte überwiesen werden. Viel Hoffnungen macht er sich nicht. «Vielleicht», sagt Berchtold, «war alles von Anfang an ein Schwindel.»

Verwendete Quellen
  • Mehrmaliger Augenschein vor Ort im Kanton Zug
  • Videobotschaft der My First Plant GmbH
  • Telegramkanal von Betroffenen zum Austausch über die Entwicklungen um My First Plant
  • Website von My First Plant
  • Schriftlicher Austausch mit Heinz Berchtold
  • Nachrichten des Vertriebsleiters im Telegramkanal von Betroffenen
  • Newsletter der My First Plant GmbH
  • Artikel der Stiftung Warentest
  • Schriftliche Anfrage an die Staatsanwaltschaft Klagenfurt
  • Schriftliche Anfrage an die Landespolizeidirektion Kärnten
  • Artikel im «Kurier»
  • Angaben aus dem Zuger Handelsregister
  • Angaben aus dem Firmenbuch Österreich
  • Mehrfache schriftliche und telefonische Anfragen an die My First Plant GmbH und Lukasz Martins
  • Telefonische Anfrage an das Einwohneramt der Zuger Gemeinde
  • Schriftliche Anfrage an das Amt für Migration des Kantons Zug
  • Telefonischer Austausch mit einem Vertreter der Schweizer CBD-Branche
  • Schriftliche Anfrage an das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit
  • Schriftliche Anfrage an das Bundesamt für Justiz
  • Schriftliche Anfrage an die Zuger Staatsanwaltschaft
  • Weiterer Newsletter der My First Plant GmbH
  • Weiterer Artikel der Stiftung Warentest
  • Artikel im «Beobachter»
  • Weiterer Artikel im «Beobachter»
  • Website von EXW Wallet (Archivversion)
  • Schriftliche Anfrage an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft Österreichs
  • Urteil 4M 18 38 des Kantonsgerichts Luzern vom 5. Dezember 2018
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6 Kommentare
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    Caro, 05.06.2023, 15:27 Uhr

    Das ultimative Hanfgeschäft. Wie bei JUICYFIELDS. SCAM.
    Sie reden über Herr M. Abraham, der auch bei EXW WALLET (als Sales Departement Manager) und bei VIVA Payment Solutions GmbH (als Prokurist) tätig war: beide Firmen von B. Herzog.
    Dort geht es um Verdacht auf Betrug, Korruption, Schneeballsystem, Geldwäscherei. Laufende Ermittlungen und Verhaftungen.

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    Remo, 04.06.2023, 15:49 Uhr

    Wer auf eine solche Firma reinfällt dem ist auch nicht mehr zu helfen. Jeden Tag stehen einige Dumme auf. Man muss sie nur finden.

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    Marie-Françoise Arouet, 04.06.2023, 12:12 Uhr

    Mal bei der deutschen Verbraucherzentrale nachschauen, was es mit diesen Brasi-Beeren und ihren Nährstoffwerten, besonders aber auch mit der Belastung durch die Erntemethoden auf sich hat. Da ist Aloe vera, welches die Wirkung von gewöhnlichem Wasser hat, bedeutend gesünder.

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      Marie-Françoise Arouet, 04.06.2023, 17:08 Uhr

      Bezieht sich auf den Artikel über Brasi-Beeren, nicht auf Marihuana. Macht aber eigentlich auch keinen Unterschied.

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    Marie-Françoise Arouet, 04.06.2023, 10:08 Uhr

    Wer da investiert hat, hat sein lebenslanges Quantum wohl schon vorher aufgeraucht.

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    Philipp Brügger, 04.06.2023, 07:31 Uhr

    Wenn die Behörden schon mal dabei sind, könnten sie gleich mit weiteren Firmen in Zug weitermachen. Die PLC Group AG (Platincoin, mittlerweile viele andere Betrugsmaschen) hat auch ein riesiges Schneeballsystem auf die Beine gestellt und hat ihren Ursprung in Zug. Leider verschliessen die Behörden hier beide Augen und lassen die Täter weiterhin gewähren.

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