«Unkontrollierte, enthemmte Wut»

Zuger Obergericht verhängt «kleine Verwahrung» für Schläger

Ein heute 32jähriger Schweizer hat im Februar 2021 einen anderen Mann auf offener Strasse zusammengeschlagen. (Bild: Adobe Stock)

Ein 32-jähriger Schweizer verprügelt einen langjährigen Feind. Nur mit Glück verliert dieser kein Auge. Gleich wie das Straf- verurteilt auch das Zuger Obergericht den Schläger zu dreieinhalb Jahren Gefängnis. Trotzdem bleibt er wohl länger hinter Gittern.

Als Davide Berger* die Tat begeht, die ihn für Jahre die Freiheit kosten wird, kommt er mehr oder weniger direkt aus dem Gefängnis. Unter anderem wegen Körperverletzung und mehrfacher Tätlichkeiten hatte ihn das Zuger Strafgericht im April 2020 zu 14 Monaten Gefängnis verurteilt. Erst an Weihnachten war er bedingt entlassen worden.

Jetzt, an diesem späten Sonntagnachmittag im Februar 2021, spaziert Berger durch Zug – und sieht von weitem den Mann, dem er die Schuld dafür gibt, dass er hinter Gitter gekommen war. Berger und den Mann auf der anderen Strassenseite verbindet eine innige Feindschaft. Bereits 2018 hatte sie ihren damaligen Höhepunkt erreicht, als Berger auf offener Strasse seinen Feind erst von hinten anfiel, ihm danach in die Brust kickte und sich die 14 Monate Gefängnis unter anderem deshalb einfing.

Gebrochene Nase, Hirnerschütterung, beinahe ein Auge verloren

Der 32jährige Schweizer sinnt auf Rache. Jetzt ist der Moment da, sie zu nehmen: Berger, 1,86 Meter gross und 90 Kilo schwer, hetzt zu seinem Feind, schlägt ihm mit der Faust zweimal ins Gesicht. Das Opfer geht zu Boden, Berger prügelt mindestens noch zweimal auf den Mann ein, ehe er das Weite sucht. Nur wenige Sekunden dauert der Angriff; genug, um dem Opfer die Nase zu brechen, eine Gehirnerschütterung zuzufügen und ihm eine vier Zentimeter lange Wunde zu verpassen, wo die Brille auf der Nasenwurzel aufliegt. In ihrer Anklage wird die Zuger Staatsanwaltschaft später schreiben, es sei «reiner Zufall» gewesen, dass sich das Opfer nicht schwer am Auge verletzte.

Wegen versuchter schwerer Körperverletzung verurteilte das Strafgericht den Schweizer im Juni 2022 zu dreieinhalb Jahren Gefängnis. Zudem musste der Beschuldigte eine ambulante Therapie absolvieren: Ein Gutachter hatte bei ihm eine dissoziale Persönlichkeitsstörung festgestellt.

Gegen dieses Urteil ging der Beschuldigte gleich wie die Staatsanwaltschaft in Berufung. Jetzt liegt der Entscheid des Zuger Obergerichts vor. Quintessenz: Auch in zweiter Instanz bleibt es bei den dreieinhalb Jahren Gefängnis, mitunter, weil Berger aus «unkontrollierter, enthemmter Wut» gehandelt habe.

Kleine Verwahrung ausgesprochen

Doch statt nur eine ambulante Therapie zu verhängen, sprechen die drei Oberrichter unter der Verfahrensführung von Andreas Sidler eine stationäre therapeutische Massnahme aus – auch bekannt als «kleine Verwahrung». Diese kann ein Gericht anordnen, wenn ein Täter «psychisch schwer gestört» ist. Anders als die Strafe, mit der das begangene Unrecht gesühnt werden soll, bezweckt die Massnahme, einen Täter von der Begehung weiterer Taten abzuhalten. Laut Gesetz dauert eine stationäre Massnahme «in der Regel» höchstens fünf Jahre. Der Staat kann sie bei Bedarf allerdings um bis zu fünf Jahre verlängern – auch mehrmals.

Das Strafgericht hatte von einer stationären Massnahme noch abgesehen, da «nicht nachvollziehbar» sei, «inwiefern eine stationäre Massnahme gegen den Willen des Beschuldigten (…) erfolgversprechender sein sollte als eine vollzugsbegleitende ambulante Massnahme». Anderer Ansicht ist nun das Obergericht, das die Verhältnismässigkeit einer kleinen Verwahrung nun bejaht. Mit Verweis auf das erwähnte Gutachten sei die stationäre Massnahme geeignet, um das Rückfallrisiko des Beschuldigten für weitere Gewalttaten zu senken. Zudem sei sie das mildeste erfolgversprechende Mittel und «angesichts des Bedrohungspotentials» auch angemessen. So stuft der Gutachter die Wahrscheinlichkeit als «sehr hoch» ein, dass Davide Berger, der mehrmals einschlägig vorbestraft ist, weitere Gewalttaten begeht.

Fall wird Sache fürs Bundesgericht

Mit dem Urteil bekommt die Staatsanwaltschaft nun endgültig recht, hatte diese im Berufungsprozess doch die kleine Verwahrung beantragt. Demgegenüber erlitten Berger und sein Anwalt eine weitere Niederlage. Dieser hatte einen Freispruch in allen Punkten gefordert und zweifelte unter anderem die Verwertbarkeit von Zeugenaussagen sowie die Unbefangenheit des Gutachters an. Erfolglos.

Die Zeit im Massnahmenvollzug würde an die Gefängnisstrafe angerechnet. Doch das Urteil ist nicht rechtskräftig. Wie eine Nachfrage auf der Gerichtskanzlei zeigt, geht der Fall ans Bundesgericht.

* Name geändert

Verwendete Quellen
  • Urteil S 2022 27-28 des Zuger Obergerichts
  • Telefonische Auskunft der Gerichtskanzlei
  • Artikel 59 des Strafgesetzbuchs
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon