Menschenhandel

Über sechs Jahre Gefängnis für Luzerner Bordellbetreiberin

Das Luzerner Kriminalgericht verurteilt die ehemalige Betreiberin eines Bordells unter anderem wegen Menschenhandels. (Bild: Adobe Stock)

Sie stehen immer auf Abruf, haben so gut wie nie frei: Jahrelang werden an der Baselstrasse in Luzern thailändische Prostituierte ausgebeutet. Und sie arbeiten nur, um ihre Schulden abzuzahlen. Jetzt verurteilt das Luzerner Kriminalgericht die Inhaberin des Bordells zu sechs Jahren und zwei Monaten Gefängnis. Allerdings ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Hinter der hellen Fassade haben ihre Namen keine Bedeutung. Aus ihnen werden Pseudonyme, einfache, verniedlichende Spitznamen, so austauschbar und wertlos als wollte man ihren Trägerinnen zu verstehen geben: Das Gleiche gilt für sie.

Doch hinter den 19 Spitznamen, die sich in einer Anklageschrift der Luzerner Staatsanwaltschaft finden, stehen die Geschichten von 19 Menschen. Frauen und Transpersonen aus Thailand, die zwischen 2012 und 2014 in einem Luzerner Bordell – sechs Stockwerke, helle Fassade an der Baselstrasse – gearbeitet hatten. Und dort systematisch ausgebeutet worden sind.

Menschenhandel, Förderung der Prostitution, Geldwäscherei

Am 13. Juni stand die damalige Bordellinhaberin, eine 55-jährige, gebürtige Thailänderin mit Schweizer Pass, vor dem Luzerner Kriminalgericht. Dieses hat ein Urteil gefällt, seit heute ist es öffentlich (im Dispositiv und ohne Begründung).

Unter anderem wegen gewerbsmässigen Menschenhandels, Förderung der Prostitution und Geld­wäscherei verurteilt das Gericht die Frau zu sechs Jahren und zwei Monaten Gefängnis. Hinzu kommt eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen à 30 Franken bedingt. Die Staatsanwaltschaft hatte sechseinhalb Jahre Gefängnis und eine bedingte Geldstrafe von 120 Tagessätzen beantragt (zentralplus berichtete).

Sechs Ex-Angestellten muss die frühere Bordellinhaberin zusammen 55’000 Franken Genugtuung zahlen. Hinzu kommen mehrere Zehntausend Franken Schadenersatz, fast 100’000 Franken für das Verfahren. Und 350’000 Franken als Ersatzforderung an den Staat, weil die Frau mit ihren Geschäften so viel verdient hat und sich Kriminalität nicht lohnen soll.

Gericht bestätigt: Berufung angemeldet

Das allerdings ist nicht sakrosankt. Wie der Verteidiger auf Anfrage sagt, hat die Beschuldigte Berufung angemeldet. Auch die Luzerner Gerichte bestätigen: Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Der Fall wird die Luzerner Justizbehörden also weiter beschäftigen. Und damit auch die Geschichten der 19 Frauen und Transpersonen, die sich gleich ähneln wie die Spitznamen, die man ihnen in der Schweiz verpasst hat.

In ihrer Anklageschrift hatte die Staatsanwaltschaft festgehalten, wie die Prostituierten in den Fängen eines Menschenhändlerrings gelandet waren, der in Thailand, Luzern und weiteren Schweizer Kantonen aktiv gewesen ist.

Prostituierte mussten bis zu 60’000 Franken Schulden abarbeiten

Die Sexarbeiterinnen hätten in Thailand zu wenig verdient, um sich und ihre Familien zu versorgen. So seien sie anfällig gewesen für die Angebote der Männer und Frauen, die für die Menschen­handels­organisation vor Ort neue Ware beschafften: Man versprach den Prostituierten Arbeit im Ausland, die Möglichkeit, die Familie in der Heimat zu unterstützen. Die gefälschten Unterlagen für Reise und Aufenthalt in der Schweiz organisierten die Menschenhändler. Das aber hatte seinen Preis.

«Die Beschuldigte war sich dieser (...) Hilflosigkeit ihrer Mitarbeiterinnen bewusst. Auch über deren hohe Verschuldung (...) war sie durchaus im Bilde. Diese Verletzlichkeit und Zwangslage ihrer Mitarbeiterinnen machte sie sich skrupellos zunutze.»

Aus der Anklageschrift der Luzerner Staatsanwaltschaft

Mit 20’000 bis zu 60’000 Franken verschuldeten sich die Prostituierten bei der Organisation, zu der auch die Betreiberin des Luzerner Bordells gehörte. Dort hatten die Frauen und Transpersonen ihre Schulden abzuarbeiten. An sieben Tagen in der Woche, wenn nötig 24 Stunden lang. Obwohl die Gegenleistung des Menschenhändlerrings laut den Strafverfolgern höchstens 2000 Franken wert gewesen sei.

Keine Ferien, kein eigenes Bett, kein Lohn

Ferien gab es laut der Anklage nicht, freie Tage nur ausnahmsweise. Schlafen mussten die Frauen laut der Staatsanwaltschaft im gleichen Bett, in dem sie ihre Kunden bedienten. Und: Verdient hätten die Sexarbeiterinnen in den ersten Monaten nichts. Die Hälfte ihrer Einnahmen mussten sie der Bordellbetreiberin abgeben, die andere den Menschenhändlern, die sie in die Schweiz gebracht hatten.

«Indem die Täter die Angst vor den Behörden weiter schüren, steigern sie das Abhängigkeitsgefühl der Opfer zusätzlich.»

Doro Winkler, Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration

«Die Beschuldigte gab ihren Mitarbeiterinnen vor, wie sie sich bei allfälligen Polizeikontrollen zu verhalten hatten. So wies sie ihre Sexarbeiterinnen insbesondere an, sich in das Versteck im Keller, das sich hinter einer schwarzen Wand befand, zu begeben», heisst es weiter in der Anklage. Dadurch habe die Bordellbetreiberin bei den Prostituierten die Angst geschürt, von der Polizei aufgegriffen zu werden, da sich diese illegal in der Schweiz befanden.

Expertin spricht von typischem Muster

Für Doro Winkler von der Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) in Zürich ein typisches Bild, wenn es um Menschenhandel geht. Auf Anfrage sagt sie: «Opfer von Menschenhandel sind in einem fremden Land, können die Sprache nicht und haben hier kein oder nur ein schlechtes soziales Netzwerk. Indem die Täter die Angst vor den Behörden weiter schüren, steigern sie das Abhängigkeitsgefühl der Opfer zusätzlich.» Mitunter deshalb dauere es meist sehr lange, bis sich Opfer von Menschenhandel öffneten und über Erlebnisse sprächen.

Vergangenes Jahr begleitete die FIZ 375 Opfer und mutmassliche Opfer von Menschenhandel oder Förderung der Prostitution aus der ganzen Deutschschweiz. Am meisten neue Fälle meldete 2022 der Kanton Zürich dem FIZ. 45 waren es dort, während aus dem Kanton Luzern 5, den Kantonen Zug und Schwyz lediglich ein Fall gemeldet wurden.

Dass wenige Fälle aus der Zentralschweiz (in Uri, Ob- und Nidwalden verzeichnete das FIZ 2022 gar keine neuen Fälle) bekannt würden, heisst laut Winkler nicht, dass es in der Region keinen Menschenhandel gibt. Womöglich aber werde er nicht entdeckt. Deshalb sei es wichtig, dass bei den Polizeikorps spezialisierte Beamte arbeiteten, die auf die Anzeichen von Menschenhandel sensibilisiert seien und wüssten, wie zu handeln sei.

Bei der Luzerner Polizei verfügten sicher bis Ende 2022 vier Personen über eine Zusatzausbildung im Bereich Menschenhandel, diese arbeiteten aber nicht ausschliesslich, sondern nur punktuell im Bereich, wie Simon Steger, Chef der Fachgruppe Sexualdelikte, gegenüber der «Luzerner Zeitung» sagte. Um effektiv gegen den Menschenhandel auf dem Platz Luzern vorzugehen, müssten ihm zufolge mindestens sechs Polizistinnen und Polizisten vollumfänglich zu dessen Bekämpfung eingesetzt werden (zentralplus berichtete).

Verteidiger hatte Freispruch gefordert

Zurück zum Fall der Luzerner Bordellbetreiberin: Alles in allem bezeichnete die Staatsanwaltschaft die Beschuldigte als eine Frau, welche sich die «Verletzlichkeit und Zwangslage skrupellos zunutze» machte.

Demgegenüber hatte der Verteidiger der Bordellbetreiberin an der Verhandlung einen Freispruch vom Vorwurf des Menschenhandels und der Förderung der Prostitution gefordert. Im Salon habe es Regeln wie überall gegeben, die Frauen seien zu nichts gezwungen worden und hätten jederzeit gehen können, sagte der Verteidiger laut der «Luzerner Zeitung» vor Gericht.

Seine Mandantin sei keine geldgeile Bordellbesitzerin, sondern eine fürsorgliche Arbeitgeberin, die dafür gesorgt habe, dass das Geld ihrer Angestellten bei deren Familien ankam. Der Verteidiger beantragte lediglich eine bedingte Geldstrafe von 80 Tagessätzen für die Beschäftigung von Ausländerinnen ohne Bewilligung.

Nach Bekanntwerden des Urteils wollte der Verteidiger dieses inhaltlich nicht kommentieren. Er beschränkt sich am Mittwoch auf die Mitteilung, er habe Berufung angemeldet.

Verwendete Quellen
  • Urteil 2O6 21 205 des Luzerner Kriminalgerichts
  • Anklageschrift der Luzerner Staatsanwaltschaft
  • Telefonische Anfrage beim Verteidiger der Beschuldigten
  • Schriftliche Anfrage bei der Medienabteilung der Luzerner Gerichte
  • Gespräch mit Doro Winkler, FIZ
  • Artikel in der «Luzerner Zeitung»
  • Weiterer Artikel in der «Luzerner Zeitung»
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