Staatsanwaltschaft fordert lebenslänglich

Jetzt steht der mutmassliche Täter des Emmenbrücker Mordes vor Gericht

Am Montag beginnt am Kriminalgericht Luzern der Prozess gegen einen mutmasslichen Mörder. (Bild: sah)

Der Mann, der in Emmenbrücke die Mutter dreier Kinder ermordet haben soll, muss sich ab heute vor dem Luzerner Kriminalgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft beantragt eine lebenslange Gefängnisstrafe, der Beschuldigte dürfte sich auf Schuldunfähigkeit berufen – wegen Corona.  

Der Fall ging als «Femizid von Emmenbrücke» durch die Medien: Im Sommer 2021 fand die Polizei die Leiche einer 29-jährigen Tessinerin in der Wohnung ihres damaligen Freundes, eines mittlerweile 36-jährigen Schweizers (zentralplus berichtete). Dieser steht ab heute vor dem Luzerner Kriminalgericht, wo er sich gegen den Vorwurf wehren muss, die Mutter dreier Kinder ermordet zu haben.

Mit Prozessbeginn wird die Anklageschrift öffentlich, die Staatsanwaltschaft fordert eine lebenslange Gefängnisstrafe. Laut den Strafverfolgern soll der Schweizer 60-mal mit einem Messer auf sein Opfer eingestochen und dabei die linke Halsschlagader verletzt haben, was letztlich zum Tod führte.

Auslöser war offenbar Streit um Reise

Auf 27 Seiten zeichnet die Staatsanwaltschaft die Beziehung der beiden nach, die von einer grossen Besessenheit des mutmasslichen Mörders geprägt gewesen sein soll. Das Paar hatte sich 2020 kennengelernt, seit August jenes Jahres miteinander geschrieben und bis zur Tat im Juli 2021 über 13'000 Nachrichten ausgetauscht – «jeweils von frühmorgens bis spätnachts», wie die Staatsanwaltschaft schreibt.

Wie es in der Anklage heisst, hatte das Paar für Sommer 2021 eine Reise nach Südamerika geplant, ins Heimatland des späteren Opfers. Jedoch habe der mutmassliche Täter seit Längerem geplant, seine Freundin nicht zu begleiten. Weil ihm das Geld für die Reise gefehlt habe und weil er unter den Folgen von Long-Covid gelitten habe.

Am Reisetag hätten sich die Hinweise verdichtet, dass die Frau ohne ihren Freund verreisen würde. Die Anklage verweist auf ein Gutachten, dass dem mutmasslichen Mörder ein «gesteigertes Kontrollbedürfnis» und «gesteigerte Egozentrik» attestiere. Als er realisiert habe, dass seine Freundin allein verreisen werde, habe der Mann befürchtet, seine Partnerin nicht mehr kontrollieren zu können: «Ihr Entscheid trat für ihn überraschend ein. Er hatte bis dahin geglaubt, dies verhindern zu können.» Daraufhin sei der Mann «überproportional» aggressiv geworden, habe aus dem Nachttisch ein Messer mit 9 Zentimeter langer Klinge genommen und sei auf sein Opfer losgegangen.

Opfer versuchte sich zu wehren

Der Prozessbeginn am Montag ändert nichts an der Tatsache, dass das Verfahren gegen den 36-Jährigen nach wie vor läuft. Damit gilt für ihn die Unschuldsvermutung. Das heisst, er ist unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist. Doch wenn die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft stimmen, muss das Opfer in den anschliessenden Minuten die Hölle durchlebt haben.

Der mutmassliche Täter soll auf das Opfer eingestochen haben, die Frau habe sich versucht zu schützen, das Messer abzuwehren. Alleine an rechtem Arm und Hand zählten die Gerichtsmediziner 22 Schnitt- und Stichverletzungen. Das Opfer habe vom Schlafzimmer in den Gang flüchten können, aber nicht weiter zur Tür, da der mutmassliche Täter diese gemäss der Staatsanwaltschaft verschloss. Nach einem Gerangel soll der Mann die Frau von hinten gepackt, mit dem Rücken an seine Brust gepresst und mehrmals in den Hals gestochen haben, was letztlich zum Tod geführt habe.

Polizei findet Leiche – und stellt den Mann wenige Stunden später

Erst, als die Frau kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben habe, habe der Mann von ihr abgelassen, sich neben sie, später auf eine Hantelbank gesetzt. Wie lange diese Schockstarre dauerte, wissen die Strafverfolger nicht. Einen Tag nach dem Blutbad soll der Täter begonnen haben, die Spuren zu verwischen. Er habe die Wohnung geputzt, eine gefälschte Nachricht an seine Freundin geschrieben, um den Verdacht von sich zu lenken und das Messer in den Abfalleimer geworfen. Die Leiche habe der Mann in eine Kartonschachtel verpackt, mit Klebeband umwickelt und im WC deponiert, wo sie die Polizei am 11. Juli, drei Tage nach der Tat, fand.

Keine drei Stunden später nahmen Einsatzkräfte den Mann im Kanton Nidwalden fest, nachdem er auf dem Bürgenstock gewesen war und sich in Ennetbürgen ein Fussballspiel angeschaut hatte. Offenbar ahnte er, dass er den Strafverfolgern nicht entkommen können würde.

Die Behörden wurden auf den Fall aufmerksam, nachdem der Ex-Mann und Vater der gemeinsamen Kinder eine Vermisstmeldung bei der Tessiner Polizei aufgegeben hatte. Besonders tragisch: Der Mann wurde zwei Jahre nach dem gewaltsamen Tod seiner Ex-Frau selber Opfer eines Gewaltverbrechens, als er im Mai 2023 vom früheren Partner seiner neuen Partnerin erschossen wurde.  

Beschuldigter soll sich auf Notwehr und Schuldunfähigkeit berufen

Nebst der lebenslangen Gefängnisstrafe beantragt die Staatsanwaltschaft eine ambulante Therapie für den Beschuldigten, der seit über zwei Jahren in Untersuchungs- und Sicherheitshaft sitzt. Laut der Anklage gesteht er zwar ein, am in seinen Worten «tragischen Vorfall» beteiligt gewesen zu sein.

Allerdings sage dieser, er habe in Notwehr gehandelt, könne sich nicht mehr an alles erinnern und sei wegen der Auswirkungen von Long-Covid nicht schuldfähig. Was genau darunter zu verstehen ist, bleibt unklar. Auf Anfrage schreibt Verteidiger Ronny Scruzzi, er könne sich erst zum Fall äussern, wenn ein begründetes Urteil vorliegt und verweist auf sein Plädoyer an der Verhandlung, das auch die Anträge der Verteidigung beinhalten wird.

Das Plädoyer dürfte am Dienstag zu erwarten sein. Der Prozess ist auf zwei Tage angesetzt, zentralplus wird an beiden Tagen von der Verhandlung berichten.  

Verwendete Quellen
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
    Marie-Françoise Arouet, 23.10.2023, 08:00 Uhr

    Kommt das jetzt noch mehr mit der Berufung auf „Long Covid“, das es mittlerweile sogar laut NZZ nicht gibt und nie gegeben hat?

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