Was sagen Tarot-Karten über unsere Zukunft aus?

«Hast du unter der psychischen Instabilität deiner Mutter gelitten?»

Das Gericht und der Ritter der Schwerter.

 

(Bild: lih)

zentralplus liess sich im Räucherstäbchenrauch in Hünenberg die Karten legen. Wir staunten nicht schlecht, als die Zukunft plötzlich unverhüllt auf dem Salontisch lag.

Auf der Treppe zur Homöopathie-Praxis in Hünenberg, wo gleich mittelalterliche Tarot-Spielkarten meine Zukunft aufklären werden, wabbert mir dicker Räucherstäbchenrauch entgegen. Wer Klischees bedient, habe die treusten Stammgäste, riet der deutsche Werber Karius einst seinen Kunden. Da hatte er wohl recht. Obwohl es für die Erleuchtung des Werbers eigentlich keine hellseherischen Fähigkeiten gebraucht hätte: Schliesslich fängt man seit Jahrhunderten Fliegen mit Honig. «Komm nur rauf, die anderen sind schon da», lädt mich ein freundlicher Mann mit blütenweissem Hemd ein.

Die Klischees rund um Zukunftsvorhersagen mithilfe von Tarot-Karten muss man nicht erst suchen gehen. Wie die Karten liegen sie gewissermassen auf dem Tisch: Halbseidene Zigeuner reden in verrauchten Zelten über Schicksal, Tod und die anzunehmende Anzahl Kinder, falls man ein unglücklicher Junggeselle ist.

Ich persönlich bin ledig und ganz zufrieden damit. Und über Tod und Schicksal denke ich eigentlich nur an verkaterten Sonntagmorgen nach. Ein perfektes Versuchskaninchen also, um mich einmal in die moderne Version des zugerauchten Zeltes zu setzen und zu sehen, was die Tarot-Karten über mich und meine Zukunft offenbaren.

Tarotkartenlegen wird schnell persönlich.

Tarot-Karten-Legen wird schnell persönlich.

Wie man den Zauberbesen legt

Ungefähr ein Dutzend Frauen und ein Mann sitzen in einem hellen Raum rund um Salontischchen und trinken Wasser mit Ingwer oder Zitrone. «Heute legen wir den Zauberbesen», offenbart die Leiterin und lächelt mich an. «Damit wir unserem Gast heute auch etwas bieten.» Ich lächle zurück und schäme mich ein bisschen, dass meine Vorurteile so einfach zu erraten sind. Aber «Zauberbesen» trifft wahrscheinlich ziemlich genau das, was ich erwartet habe. Nach einem lockeren Gespräch über den Tag teilt sich die Gruppe in Dreiergruppen auf, um sich gegenseitig den Zauberbesen zu legen.

«Nimm’s als ein Spiel», rät mir der Mann in meiner Gruppe zu. Ein Spiel? Das klingt ganz anders als Tod, Schicksal und Vorsehung. Doch eigentlich liegt es nahe: Tarot sind die wahrscheinlich ältesten Spielkarten der europäischen Kultur. Die Leiterin des Abends erzählt mir später, dass die Wurzeln der Tarot-Symbole bis ins elfte Jahrhundert zurückreichen. Seither wurden sie mehrere Male verboten und während der Hexenverfolgung wohl auch manchmal mit den beschuldigten Frauen zusammen verbrannt.

Hier können Sie meine Zukunft lesen. Was sehen sie?

Hier können Sie meine Zukunft lesen. Was sehen Sie?

(Bild: lih)

Die nackte Zukunft auf dem Salontisch

Ich nehme das Ganze also als Spiel und das Spiel beginnt, als die Dritte in meiner Gruppe die Karten verdeckt vor mir ausbreitet. Ich soll diejenige ziehen, die mich anspricht, nach einem Muster, indem ich dreimal zwei Karten ziehe. «Eine für die jetzige Situation und eine zweite, die zeigt wohin du willst. Eine, die sagt, was du dafür tun sollst, und eine weitere für die Konsequenz darauf. Eine fünfte Karte als Alternative zur Dritten und nochmals eine für die Konsequenz davon», leitet sie mich an. Und dann die entscheidende, siebte Karte: Die Spitze des Zauberbesens bildet diejenige, durch welche das Tarot spricht. Die Karten liegen verdeckt auf dem Tisch. Ja, es ist ein Spiel. Aber das hat schon was. Was, wenn nun gleich vor wildfremden Leuten meine nackte Zukunft glasklar auf diesem weissen Salontisch liegt? Ich schwitze ein wenig, vielleicht auch bloss wegen der Frühlingstemperaturen draussen, als ich die erste Karte umdrehe.

«Hast du unter der psychischen Instabilität deiner Mutter gelitten?»

Tarot-Kursleiterin

Der Mond. Er steht für Wechselhaftigkeit und die Tiefe der menschlichen Natur. Und, als ob das noch nicht genug wäre, auch noch für die Mutter. Die Leiterin des Abends taucht hinter meiner Kartenlegerin auf. «Hast du unter der psychischen Instabilität deiner Mutter gelitten?», fragt sie mit tiefer Empathie in den Augen. Ich vergleiche meine Mutter mit sehr liebevollen Sturmeichen und verständnisvollen Felsen in der Brandung, um klarzumachen, dass sich das Tarot hier wohl verhaspelt haben muss. Die Gruppe nickt nachdenklich. «Dann fiel es dir schwer, die Empathielosigkeit deiner Mutter gegenüber der Instabilität deines Vaters zu akzeptieren?» Langweiligerweise ist Stabilität sowas wie der heimliche Zweitname meiner Eltern. Das Tarot lallte offensichtlich ein wenig. Wobei Missverständnisse beim Kartenlegen dazugehören, wie ich noch lernen werde.

Die Kraftkarte soll Gefühl und Verstand in Einklang bringen.

Die Kraftkarte soll Gefühl und Verstand in Einklang bringen.

(Bild: lih)

Nur in meinem Kopf

Tarot-Karten sind mit verwirrend mehrdeutigen Symbolen bemalt, die einen schier unendlichen Spielraum an Assoziationen ermöglichen. Zusammen mit der bedeutungsvollen Position, an der die Karte liegt, ergibt sich nach etwas Zeit und Spekulation eine Geschichte. Ich entdecke atemberaubende Details aus meinem Leben und meinen Plänen. Der Tod: Damit muss wohl ein radikaler Schnitt gemeint sein. Warte! Genau das steht mir doch bevor? Nach dem Praktikum brauche ich schliesslich was Neues … Und der Wagen sagt mir klar, ich soll die Zügel endlich selbst in die Hand nehmen.

Ich staune, wie diese Papierchen so viel über mich wissen können – bis ich die noch immer ratlosen Gesichter meiner zwei Kartenleger sehe. Für sie bleiben die Karten ein Rätsel. Die Geschichte ist in meinem Kopf und sonst nirgends. Uff.

Freie Assoziationen? Gezielte Fragen und metaphorische Vergleiche mit uralten Symbolen? War das nicht der gute Freud, der damit schon mal Erfolge feierte? Mag sein. Mit Karten macht’s jedenfalls bedeutend mehr Spass als nur mit Notizblock und Couch. Jedenfalls solange es für alle ein Spiel bleibt. Karten können nämlich nicht sprechen, egal ob sie im Zauberbesen liegen oder am Fliegenfänger kleben.

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