Informatikexperte hat Bedenken

Zuger können jetzt online ein Patientendossier eröffnen

Schluss mit Papier: In Zug kann man sich nun komplett online ein elektronisches Patientendossier organisieren. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

Das elektronische Patientendossier soll nun ins Rollen kommen. Sechs Kantone, darunter Zug, übernehmen eine Vorreiterrolle und ermöglichen es, online ein solches Dossier zu eröffnen. Doch essenzielle Fragen sind noch ungeklärt.

Eine Zugerin stattet ihrer Ohrenärztin einen Besuch ab. Dies, nachdem sie seit Wochen von einem Tinnitus geplagt wird. Die Ärztin wirft einen längeren Blick auf den Bildschirm und sagt: «Frau Häberli, ich sehe gerade in Ihrer Akte, dass Ihnen Ihre Dermatologin vor vier Wochen Neomycin verschrieben hat gegen einen Hautausschlag. Es ist gut möglich, dass der Tinnitus, den Sie mir beschrieben haben, eine Nebenwirkung davon ist.»

Die eben geschilderte Szene könnte für viele Zuger bald durchaus realistisch werden. Jedenfalls wenn diese, wie besagte Frau Häberli, über ein elektronisches Patientendossier verfügen.

Dabei handelt es sich um ein virtuelles Dossier, über das behandlungsrelevante medizinische Daten wie Röntgenbilder, Spitalaustrittsberichte, Labordaten, Medikationslisten oder Pflegedokumentationen elektronisch abgerufen werden können. Heisst: Eine Hausärztin sieht nicht nur Frau Häberlis Informationen aus ihrer Praxis, sondern auch die Akten anderer Gesundheitsdienstleister.

Bund und Kanton möchten vorwärtsmachen

Der Bund sähe es gerne, dass solche elektronischen Patientendossiers (EPD) flächendeckend zur Anwendung kämen. Auch der Kanton Zug rührt aktuell die Werbetrommel dafür, dass möglichst viele Zugerinnen ein solches Dossier anlegen. Seit Montag ist es in sechs Kantonen, darunter auch in Zug, möglich, dieses komplett digital zu eröffnen. Dies mithilfe der Post, die einen entsprechenden Eröffnungsservice anbietet.

Doch was bringt den Bürgern ein elektronisches Patientendossier? In einer Mitteilung beschreibt es die Zuger Gesundheitsdirektion wie folgt: «Ziel des EPD ist, die Qualität der medizinischen Behandlung zu stärken, die Patientensicherheit zu erhöhen, die Effizienz des Gesundheitssystems zu steigern sowie die Gesundheitskompetenz der Patienten zu fördern.»

«Das erste Gesetz über das elektronische Patientendossier ist völlig missglückt.»

Martin Pfister, Zuger Gesundheitsdirektor

Gesundheitsdirektor Martin Pfister lässt zudem verlauten: «Das EPD vereinfacht den Informationsaustausch zwischen Leistungserbringern sowie Patientinnen. Ich wünsche mir, dass wir nun endlich in dieser Thematik einen Schritt weiterkommen.»

Denn tatsächlich dümpelt die Sache schon einige Jahre vor sich hin. «Das erste Gesetz über das elektronische Patientendossier ist völlig missglückt. Die Hürden für alle, die daran gearbeitet haben, waren so hoch, dass eine Umsetzung fast unmöglich wurde», sagt Pfister gegenüber zentralplus.

«Bisher galt eine doppelte Freiwilligkeit. Sowohl für ambulante Leistungserbringer, also etwa Hausarztpraxen, sowie für Patienten war die Sache nicht verpflichtend. Das soll sich mit der Revision des Gesetzes ändern», sagt Pfister, der diesen Schritt begrüsst. Die Gesetzesrevision befindet sich auf Bundesebene aktuell in der Vernehmlassung.

Viel Aufwand und wenig bisheriger Nutzen für Spitäler

Spitäler und Pflegeheime sind schon seit drei Jahren verpflichtet, sich dem Projekt anzuschliessen. Zunächst mussten sie einen Vertrag mit einer der sogenannten Stammgemeinschaften abschliessen. «Dann geht es darum, die digitale Patientenakte mit dem Patientendossier zu verknüpfen. Kommt ein Patient mit einem EPD, muss das Spital fähig sein, dieses anzuschauen und selber mit Patientendaten zu ergänzen», erklärt Pfister. Dies bedinge eine technische Umrüstung seitens der Spitäler.

Die Krux: Der Aufwand ist beträchtlich. Der Nutzen für die Leistungserbringer hingegen noch minimal. Denn bisher verfügt noch kaum eine Privatperson über ein elektronisches Patientendossier. Auch wenn Pfister hofft, dass sich das bald ändern möge.

«Ich weiss nicht, ob ich das meinen Enkelkindern empfehlen würde. Sie müssten überzeugt davon sein, dass ihr Dossier für die nächsten 70 Jahre sicher ist.»

Bernhard Hämmerli, Studiengangsleiter Bachelor Information & Cyber Security an der HSLU

Wer wichtige persönliche Informationen digital aufbewahrt, der geht immer auch ein Risiko ein. Dazu sagt Martin Pfister: «Die hundertprozentige Sicherheit gibt es nirgends im Leben. Doch im Fall der EPD sind die Sicherheitsvorschriften und -standards rigoros. Die vielen Vorschriften sind es denn auch, die das ganze System so kompliziert machen.»

Die Anmeldung ist aufwendig

So etwa ist eine Anmeldung für ein eigenes elektronisches Dossier ziemlich aufwendig. Es gilt, mehrere Dokumente vorzuweisen, ausserdem braucht man eine zertifizierte elektronische Identität, also etwa eine Swiss ID. Pfister darauf: «Der Erfolg des Systems hängt davon ab, ob ihm die Bevölkerung vertraut. Doch letztlich lässt sich die Digitalisierung nicht aufhalten.»

Heute müssen Patienten aktiv ein EPD eröffnen. Künftig soll dies der Staat grundsätzlich für die ganze Bevölkerung tun. Pfister betont: «Wer das nicht will, kann jedoch aktiv darauf verzichten oder die Nutzungsrechte einschränken. Will man, dass etwa nur der Hausarzt Einblick in die Akten hat oder diese nur im Notfall eingesehen werden dürfen, kann man das festlegen.»

Informatikexperte ist skeptisch

Bernhard Hämmerli ist der Studiengangsleiter des Bachelors Information & Cyber Security an der Hochschule Luzern. Er betrachtet das Geschehen rund um das elektronische Patientendossier mit kritischem Blick. «Eine unfallfreie Informatik gibt es nicht. Das haben Hackerangriffe auf verschiedene Institutionen gezeigt», so Hämmerli. «Man kann zwar im Bereich der Sicherheit sehr viel unternehmen und es den Hackern schwer machen, aber ein Restrisiko bleibt.»

Hämmerli weiter: «Die Gesellschaft ist auf dem Weg in eine Hyperdigitalisierung, was wiederum gigantische Risiken mit sich bringt. Ein Stromausfall hätte beispielsweise verheerende Folgen.»

«Man muss damit rechnen, dass es in den nächsten 50 Jahren zu einem Wechsel der legalen Gesetzgebung kommt.»

Bernhard Hämmerli, Professor für Cyber Security an der HSLU

Auch einen weiteren Aspekt gelte es zu beachten, wenn es um die Digitalisierung persönlicher Daten geht. «Es ist wichtig, dass man über einen Zeithorizont von rund 50 Jahren denkt, nicht nur an die nächsten zwei, drei.»

Hämmerli mahnt: «Man muss damit rechnen, dass es in dieser Zeit zu einem Wechsel der legalen Gesetzgebung kommt, die freiheitliche Ordnung durch etwas neues ersetzt wird, oder die angewandten Sicherheitsmechanismen gebrochen sind.» Der Professor weiter: «Die Hightech von vor 50 Jahren, der Data Encryption Standard (DES), ist heute für Geheimdienste zu lesen wie Klartext. Was wird in 50 Jahren sein mit unserer heutigen Technologie?»

Auf die Frage, ob für ihn persönlich ein elektronisches Patientendossier infrage käme, sagt er: «Ich denke schon. Ich bin nicht mehr 20 und habe keine ganz so lange Lebenszeit vor mir. In meinem Fall glaube ich, dass die Vorteile die Risiken überwiegen.» Aber: «Ich weiss nicht, ob ich das meinen Enkelkindern empfehlen würde. Sie müssten überzeugt davon sein, dass ihr Dossier für die nächsten 70 Jahre sicher ist. In dieser Zeit kann viel passieren.»

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Martin Pfister
  • Medienanfragen Zuger Spitäler (bis zur Veröffentlichung ausstehend)
  • Telefongespräch mit Cyber-Security-Professor Bernhard Hämmerli
  • Artikel «SRF» zum Thema
  • Website elektronisches Patientendossier
  • Artikel «Aargauer Zeitung» zur Schwierigkeit der Umsetzung
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1 Kommentar
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    Trudi, 23.08.2023, 07:07 Uhr

    Eine sehr gute Ansicht und das in der heutigen Zeit von einem Experten. Ich bin überrascht. Danke

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