Kanton lädt zwei Gemeinderäte zum Gespräch

Hergiswil bei Willisau: Dem dubiosen Arzt auf der Spur

Mit einer in Hergiswil bei Willisau gemeldeten Firma steuerte der deutsche Arzt neun Praxen in der ganzen Schweiz. (Bild: Roland Zumbuehl; Creative Commons)

Thomas Haehner und seine Arztpraxen sorgen schweizweit für Schlagzeilen. Im kleinen Dorf Hergiswil bei Willisau kennen die Einwohner den dubiosen Arzt seit Jahren. Jetzt lädt der Kanton Luzern zum Gespräch.

Ein umstrittener Arzt kauft seit fünf Jahren Arztpraxen in der Schweiz und sorgt seit Wochen für Schlagzeilen. «Thomas Haehner scheint ein System aufgebaut zu haben, das Praxen in Chaos und finanzielle Probleme stürzt», schrieb das Team von «SRF Investigativ». Haehner betreibt im Moment 18 Praxen in 8 Kantonen. Einer seiner Wirkungsorte ist Hergiswil bei Willisau im Kanton Luzern.

Dort laufen zwei Firmen auf den Namen des Deutschen. Die Medium Salutis GmbH und das Ärztezentrum Napf. Mit der ersten Firma betreibt er neun Zweigniederlassungen in der ganzen Schweiz: von Speicher im Appenzell bis nach Matzendorf im Kanton Solothurn. Im Ärztezentrum Napf dagegen versorgen Haehners Hausärzte die Hergiswiler.

Keiner weiss, wann die Praxis aufmacht

In der 1’900-Einwohner-Gemeinde gibt es nur eine Arztpraxis. Bei Haehners Vorgänger waren fast alle Hergiswiler Patienten, erzählt der Gemeindeammann Pius Hodel (Mitte) auf Anfrage. Doch immer mehr Personen wechseln nach Menznau oder Willisau. Denn das Ärztezentrum Napf hat einen zweifelhaften Ruf.

«Für Menschen, die auf Medikamente angewiesen sind, war das ziemlich schwierig.»

Pius Hodel, Gemeindeammann von Hergiswil bei Willisau

Pius Hodel beobachtet die chaotischen Zustände in der Praxis seit Jahren. «Die Praxis ist nicht offen und es steht nicht an der Tür, wann sie wieder aufgeht», erzählt er. Auch die Angestellten der Praxis hätten keine Auskunft erteilen können und seien häufig überfordert gewesen.

Besonders prekär sei die Situation für Ältere und Erkrankte gewesen. «Für Menschen, die auf Medikamente angewiesen sind, war das ziemlich schwierig», meint der Gemeinderat. In der Praxis hätten sie ihre Medizin nicht bekommen und ohne Verschreibung ihres Hausarztes auch in keiner Apotheke.

Ehemaliger Arzt ist kein Unbekannter

Pius Hodel erzählt, er sei selbst Patient in der Praxis von Thomas Haehner gewesen, habe mit dem ehemaligen Arzt Bernhard Bickel aber gute Erfahrungen gemacht. Dieser habe ihn in einer Notfallsituation vernünftig betreut, sei aber dann nach Neuenkirch gewechselt. Bickel ist kein Unbekannter.

Jüngst sorgte der Arzt für Schlagzeilen, da er «abgetaucht» sei. Patienten in seiner neuen Praxis in Neuenkirch hätten ihn über Wochen nicht erreicht, berichtete die «Luzerner Zeitung». Auch dort arbeitete Bernhard Bickel in einer von Thomas Haehners Praxen. Und auch dort sorgte die Unzuverlässigkeit für Ärger unter den Patienten.

Thomas Haehner hat sich gegenüber der «Luzerner Zeitung» für die Situation in Neuenkirch entschuldigt und angekündigt, die Praxis per 1. Mai zu schliessen. Was geschehen ist, sei «inakzeptabel». Die Vorwürfe, die «SRF Investigativ» gegen ihn erhoben hat, streitet er teilweise ab. Er sieht sich als Opfer von Wirtschaftskriminalität. Konkurrenten würden mit der Kampagne den Konkurs seiner Kette provozieren, schrieb er in einer Medienmitteilung, aus der die «Thurgauer Zeitung» Ende April zitierte.

zentralplus hat verschiedene Praxen von Thomas Haehner versucht zu erreichen, um mit Haehner über die Situation in Hergiswil bei Willisau zu sprechen, jedoch ohne Erfolg.

Beschwerden im Dorf

In Hergiswil hätten die Bürger irgendwann angefangen, ihn als Gemeinderat auf der Strasse anzusprechen, erzählt Pius Hodel. An 15 von Haehners Patienten erinnert er sich aus dem Stand: Sie alle hätten über ähnliche Probleme mit dem Ärztezentrum Napf geklagt.

«Sie können ihm die Praxis nicht einfach kündigen, wenn er Miete zahlt.»

Pius Hodel

Doch den umstrittenen Arzt loszuwerden, sei nicht möglich gewesen. Die Räumlichkeiten der Praxis gehören einer Genossenschaft und seien an Haehner per mehrjährigen Vertrag vermietet, sagt Hodel. «Sie können ihm die Praxis nicht einfach kündigen, wenn er Miete zahlt.»

Einige Patienten hätten sich direkt an die Ombudsstelle des Kantons gewandt. Auch der Gemeinderat selbst habe den Luzerner Kantonsarzt mehrfach über die Zustände informiert. Doch der Kanton habe kaum Auskunft erteilen wollen. Für ihn und die Gemeinde Hergiswil blieben die wichtigsten Fragen daher offen. «Was mache ich, wenn ich meine Akten nicht bekomme? Wer ist die richtige Ansprechperson? Und wer kontrolliert die Praxen in Luzern?», fragt Pius Hodel.

Der Kanton lädt zum Gespräch

Der Kanton erteilte kaum Auskunft – bisher. Denn am Freitag hat die Dienstelle Gesundheit Pius Hodel und die Hergiswiler Gesundheitsvorsteherin Monika Kurmann (Mitte) zum Gespräch nach Luzern eingeladen.

«Wir haben uns ernst genommen gefühlt.»

Monika Kurmann, Gesundheitsvorsteherin Hergiswil bei Willisau

Das Gespräch sei rund eine Stunde lang gewesen. Der Dienstellenleiter habe ihnen versichert, dass der Kanton die Sache bearbeite, meint Pius Hodel. «Wir haben uns ernst genommen gefühlt», ergänzt Monika Kurmann. Aus datenschutzrechtlichen Gründen dürfte die Dienstelle aber nicht mehr über das Verfahren mitteilen. Ausserdem habe der Kanton von den beiden Gemeinderäten weitere Informationen über Haehners Praxis eingeholt. «Es war eine Art Gedankenaustausch», so Hodel.

Lange fehlte der Praxis die Bewilligung

Bei dem Gespräch sei es auch um fehlende Bewilligungen gegangen. Recherchen von «SRF Investigativ» zeigen, dass dem Ärztezentrum Napf bis vor kurzem die Betriebsbewilligung fehlte. Auch in seinen anderen Luzerner Praxen in Triengen und Oberkirch habe der deutsche Arzt sie nicht vorweisen können. In der Zwischenzeit soll er sie laut den Behörden nachgereicht haben.

Auf Anfrage von zentralplus schreibt das Gesundheits- und Sozialdepartement, es dürfe zu «konkreten Einzelfällen» keine Stellung nehmen. Der Kanton überprüfe aber die Berufsausübungsbewilligungen der Luzerner Ärztinnen. «Es ist also sichergestellt, dass die Ärzteschaft fachlich qualifiziert ist.»

Die Berufsausübungsbewilligungen sei von der Betriebsbewilligung – welche dem Ärztezentrum Napf fehlte – streng zu unterscheiden. Inwiefern genau und was das bedeutet, lässt der Kanton an dieser Stelle offen.

Verwendete Quellen
  • Artikel in der «Luzerner Zeitung»
  • Telefonischer Austausch mit Pius Hodel, Gemeinderat von Hergiswil bei Willisau
  • Schriftlicher Austausch mit dem Gesundheits- und Sozialdepartement, Kanton Luzern
  • Eintrag im Luzerner Handelsregister
  • Artikel bei SRF
  • Artikel in der «Thurgauer Zeitung»
  • Artikel in der «Luzerner Zeitung» zu Haehners Entschuldigung
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5 Kommentare
  • Profilfoto von Heidi Kabel
    Heidi Kabel, 08.06.2023, 12:53 Uhr

    Nachdem mein Hausarzt sich nach 27 Jahren in Turbenthal einfach verkrümelt hat, ohne die Patienten zu informieren, hat Haehner die Praxis übernommen. Ab dann gab es nur noch Probleme und Theater und ich habe schnell gemerkt, dass da was nicht stimmt. Monate später habe ich dann vom Kassensturzbericht erfahren und sofort meine, zum Glück vollständigen, Patientenakten abgeholt. Die Mitarbeiter und Patienten tun mir leid. Es kann doch nicht sein, dass so einer schalten und walten kann, wie er will.

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  • Profilfoto von A Steffen
    A Steffen, 13.05.2023, 09:52 Uhr

    Dieser Dr Haner macht genau das Richtige. So lange die Aufsichtsbehörde die Arbeit nicht macht, weil zu faul oder inkompetent wird sich nichts ändern.

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  • Profilfoto von Wupi
    Wupi, 12.05.2023, 07:28 Uhr

    Im Kanton sind sämtliche Ärzte qualifiziert, solange kein Strafverfahren vorliegt. Beurteilt ein Arzt etwas falsch, wird das beim Kanton nicht registriert! Dafür gebe es keine Meldestelle.

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    • Profilfoto von Christian Scherrer
      Christian Scherrer, 12.05.2023, 09:59 Uhr

      Natürlich gibt es eine Meldestelle. Problem: Diese wird von den Ärzte selbst betrieben. Systemfehler? Eher nicht, Ärzte sind es gewohnt, sich selber eine Diagnose zu stellen.

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      • Profilfoto von camaro
        camaro, 12.05.2023, 10:27 Uhr

        Genau so ist es.

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