Zuger Kantonsrat mit Hörbehinderung

«Besonders Pfadi-Nachtübungen waren eine Herausforderung»

Unternehmer und Kantonsrat Patrick Röösli kam mit einer Hörberhinderung auf die Welt. (Bild: wia)

Am 3. März wird nicht nur über brisante Themen abgestimmt. Es ist auch Welttag des Hörens. Was es bedeutet, wenn etwas für die meisten Selbstverständliches fehlt, erzählt der hörgeschädigte Zuger Kantonsrat Patrick Röösli im Interview.

Patrick Röösli bewegt sich mitten in der Gesellschaft. Der 49-jährige Zuger führt sein eigenes Architekturbüro, sitzt als Vertreter der Mitte-Partei im Kantonsrat, hat eine Familie. Er engagiert sich in Vereinen und erklimmt in seiner Freizeit Berge. Alles ganz unspektakulär? Nicht wirklich. Denn Röösli kam mit einer Hörbehinderung auf die Welt.

Im Hinblick auf den Tag des Hörens am 3. März erzählt er im Interview, was die Beeinträchtigung für seinen Alltag bedeutet.

zentralplus: Patrick Röösli, Sie kamen mit einer Hörbeeinträchtigung auf die Welt. Was bedeutete das für Sie als Kind?

Patrick Röösli: Das war sehr schwierig. Denn eine solche Beeinträchtigung führt dazu, dass die allgemeine Entwicklung langsamer verläuft. Dazu muss man Folgendes erklären: Ich kam 1974 auf die Welt. Erst zehn Jahre zuvor kamen die ersten technischen Hörgeräte auf den Markt. Ich selber hatte ein Taschengerät, das grösser war als die heutigen Handys und mit zwei Kabeln versehen war. Dieses trug ich stets an der Brust. Es handelte sich damals um das bestmögliche Hörgerät.

zentralplus: Wie wurde Ihre Hörbeeinträchtigung von Ihrem Umfeld aufgenommen?

Röösli: Als Kind musste ich von Anfang an Hochdeutsch reden, und auch mein Umfeld sprach mit mir Hochdeutsch. Dies mit dem Ziel, dass ich es später einfacher hätte bei der Einschulung. Ausserdem gibt es im Schweizerdeutschen kein einheitliches Schriftbild. Allein der Umstand, dass jemand Schriftdeutsch und nicht Schweizerdeutsch sprach, war zu jener Zeit jedoch unerhört. Das führte zu einer gewissen sozialen Ausgrenzung.

zentralplus: Wie gelang Ihnen die Einschulung?

Röösli: Noch vor dem Kindergarten wurde ich in der «Schule für hörgeschädigte Kinder», einer Privatschule in Meggen, eingeschult. Diese war wenige Jahre zuvor von der bekannten Audiopädagogin Susann Schmid-Giovannini mitbegründet worden. Diese Schule war explizit darauf ausgerichtet, den verbalen Sprachgebrauch hörgeschädigter Kinder zu fördern. Der frühe Unterricht war so konzipiert, dass die betroffenen Kinder beim Eintritt in die erste Klasse bereits lesen konnten. Ich konnte also ab dem Kindergarten die Regelklasse in Baar besuchen, wurde jedoch an den Mittwochnachmittagen zusätzlich in Meggen unterrichtet. Einem Grossteil der Kinder, die bei Susann Schmid in der Schule waren, gelang die Integration.

zentralplus: Ihnen offenkundig auch. Sie waren schon früh Mitglied beim Schweizerischen Alpenclub (SAC) Rossberg, auch waren Sie lange bei der Pfadi Baar aktiv. Dort scheinen Sie Anschluss gefunden zu haben.

Röösli: Das stimmt, in der Pfadi fand ich ein supergutes Umfeld und tolle Kollegen.

zentralplus: Doch auch dort dürfte es nicht immer leicht gewesen sein.

Röösli: Das stimmt. Gerade Nachtübungen waren sehr herausfordernd. Da gab es immer wieder Missverständnisse, weil ich im Dunkeln nicht von den Lippen lesen konnte. Mit den Spannungen, die dort manchmal entstanden, musste nicht nur ich umgehen, sondern auch die anderen. Und doch meinte es niemand böse mit dem anderen.

Welttag des Hörens

Der Verein Pro Audito Zug veranstaltet am Samstag, 2. März 2024, im reformierten Kirchenzentrum in Zug eine Erlebnis- und Informationsveranstaltung. Dies im Hinblick auf den Welttag des Hörens, der am 3. März stattfindet. Fachleute gehen etwa der Frage nach, wie man mit Tinnitus umgehen kann, wie das Gehör überhaupt funktioniert und was Betroffene tun können, deren Gehör eben nicht mehr einwandfrei funktioniert. Dazu werden mehrere kurze Impulsvorträge gehalten.

zentralplus: Wie ging das beim Klettern? Oft kommunizieren Seilschaften, indem sie sich Begriffe zurufen, damit der Seilpartner entsprechend reagieren kann.

Röösli: Beim Sportklettern muss eine Seilpartnerschaft auch übers Seil kommunizieren können. Je nachdem, wie sich dieses bewegt, also wenn der Partner etwa Kletterzüge ausführt, weiss der andere, was zu tun ist. Er spürt also an den Seilbewegungen, ob der Kletterer oben Stand hat und der untere nachkommen kann. Diese Kommunikation ist wichtig, gerade in einem Klettergarten, wo viele Leute unterwegs sind. Da kann man sich nicht allein auf die Zurufe des anderen verlassen, sonst kommt es schnell zu Missverständnissen. Anspruchsvoller wird es, wenn ein Seil über einen Felsüberhang geht – oder wenn es windet. So breiten sich die Signale weniger stark aus. Dann braucht es viel Vertrauen in den Seilpartner, und es gilt, auch diese schwächeren Signale verstehen zu lernen.

zentralplus: Als Sie älter wurden, veränderten sich die technischen Möglichkeiten für Menschen mit einer Hörbehinderung. Ich nehme an, als Sie ein Kind waren, existierte die Möglichkeit einer Operation noch nicht.

Röösli: Nein, die ersten Cochlea-Implantate kamen erst in den 1980ern auf. Mit diesem operativen Eingriff erreicht man, dass durch das Implantat ein künstlicher Stromimpuls erzeugt wird, mit dem der Hörnerv stimuliert wird. Diese Technik etablierte sich insbesondere nach 1997, also nach dem Aufkommen gängiger Mobiltelefone. Durch deren rasche Entwicklung wurde es möglich, immer kleinere Chips zu produzieren.

zentralplus: Auch Sie haben sich einer solchen Operation unterzogen. Mit welchem Effekt?

Röösli: Richtig, seit 2001 habe ich ein solches Implantat. Bei mir war das erfolgreich, da ich schon als Kind Hörgeräte getragen hatte und sprechen konnte. Mein Gehirn konnte also Hörimpulse bereits davor einordnen. Ich bereue diesen operativen Eingriff keineswegs. Denn die Möglichkeit, Sprache aufzunehmen, hat sich dadurch gewaltig verbessert. Auch Telefonieren geht seither viel besser. Der Sprachbereich von Menschen liegt im Allgemeinen zwischen 30 und 60 Dezibel. Meine Hörschwelle liegt nun bei 20 Dezibel, dort beginnt also meine Wahrnehmung. Bei der Musik sieht es anders aus.

zentralplus: Das heisst?

Röösli: Die feinen Töne, welche die Musik ausmachen, kann ich nicht wahrnehmen. Entsprechend höre ich selbst aktiv auch keine Musik. Ich besitze hier kein brillantes «Farbenbild».

zentralplus: Sie sind seit Sommer 2020 Teil der Mitte-Fraktion im Zuger Kantonsrat. Wie folgen Sie dort der Debatte?

Röösli: Seit 2021 verfügt der Kantonsratssaal über eine induktive Höranlage, welche ich damals initiiert habe und welche den Vorgaben des Behindertengleichstellungsgesetzes entspricht. Mittels einer App kann ich mein Cochlea-Implantat auf den induktiven Empfang einstellen, sodass ich nur höre, was der Referent am Rednerpult sagt. Alle Störgeräusche rundum fallen weg. Das ist eine enorme Hörqualität. Davon kann übrigens nicht nur ich profitieren, sondern auch andere Politiker, welche ein Hörgerät tragen und ihre induktive Feldspule nutzen.

zentralplus: Haben Sie durch Ihre Hörbeeinträchtigung dennoch Nachteile im politischen Umfeld?

Röösli: Es ist schon so, dass jene einen Vorteil haben, die gut reden können. Dabei kommt es nicht unbedingt auf die inhaltliche Qualität der Voten an. Auch bin ich im Nachteil, wenn es Konflikte gibt und mehrere Leute untereinander diskutieren. Ich brauche etwas länger, um das Gesprochene zu verarbeiten. Dann kann es sein, dass ich nicht rechtzeitig das Wort ergreifen kann und «überfahren» werde.

zentralplus: In welchen Situationen spüren Sie sonst Nachteile?

Röösli: Ich glaube, hörgeschädigte Menschen erleben oft, dass sie Aussagen nicht richtig verstehen und entsprechend falsche Antworten geben. Irgendwann werden sie für ihr Gegenüber sozial uninteressant. Das führt zum einen zu einer gewissen Isolation, zum anderen aber auch dazu, dass es Diskussionen an Tiefgründigkeit fehlt. Denn oft fehlt die Spontanität, das Feinstoffliche.

zentralplus: Was würden Sie sich wünschen?

Röösli: Wichtig ist im Umgang mit Hörbeeinträchtigten, dass man deren Behinderung nicht blossstellt. Etwa, indem man extra «falsch» beziehungsweise in reduzierter, vereinfachter Sprache spricht. Ein Beispiel ereignete sich in der Privatschule, an der ich unterrichtet wurde. Dort sprach eine Audiopädagogin, die in unserer Schule zu Besuch war, ein Mädchen mit «Du heissen wie?» an. Das Mädchen fragte daraufhin die Schulleiterin, ob diese Person selber gehörlos sei. Es ist für uns wichtig, dass die korrekte Sprache deutlich, in klarer Artikulation und in einem angemessenen Tempo vermittelt wird. Doch ist es ebenso wenig nötig, zu schreien, nur weil jemand hörbehindert ist.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Patrick Röösli
  • Wikipedia-Eintrag über Susann Schmid-Giovannini
  • Informationen von Pro Audito Zug zum Tag des Hörens
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