Malen am Luzerner Fumetto

Schule stoppt Kunstwerk – wegen nackter Frau und Kreuz

Eigentlich hätte die Frau auf eine Wand gemalt werden sollen. Nun müssen die Künstlerinnen mit einer Holztafel, die dann wegtransportiert wird, vorliebnehmen. (Bild: ida)

Zwei Künstlerinnen wollten im Rahmen des Comic-Festivals Fumetto in Luzern eine nackte, schwarze Frau an die Wand eines Pausenhofes malen. Die Schule stoppte sie.

Die schwarzen Latzhosen, welche die beiden Frauen tragen, sind voll mit Farbe. Neonrot, Rosa, Fliederfarbe und Violett – all jene Farben, die sie auch mit ihren Pinseln auf die Holztafel, die zwischen den beiden Künstlerinnen steht, auftragen.

Darauf zu sehen ist eine nackte, schwarze Frau, die unaufgeregt daliegt und in Richtung der Betrachterin schaut. Mit ihren Armen scheint sie sich selbst zu umarmen, umgeben ist sie von einem fliederfarbigen Band, das sich sanft um sie schmiegt. Kreis und Kreuz an den beiden Enden des Bandes (in Violett) lassen erahnen, dass es sich um ein Venussymbol handeln könnte.

Eine nackte Frau. (Bild: ida)

Schule lehnt Entwurf für Wandbild ab

Die beiden Malerinnen bilden gemeinsam das Künstlerinnenduo «Vaaf». Sie sind Teil des Fumetto-Festivals, das die Stadt Luzern jährlich in eine Comic-Hochburg verwandelt – auch dieser Tage wieder.

Eigentlich hätten die beiden am Weltfrauentag vom vergangenen Freitag eine Wand bemalen sollen. Eine Wand in der Rössligasse 12, im Innenhof der Geschäftsstelle des Fumetto, wo auch eine kantonale Einrichtung untergebracht ist: das Zentrum für Brückenangebote. Doch daraus wurde nichts. So schildert der Stadtluzerner Bruno Blume, der im Vorstand der städtischen Grünen ist und Kenntnis des Vorfalls hat, die Geschehnisse gegenüber zentralplus.

Die Schule habe ihr Veto eingelegt. Scheinbar stosse sich diese daran, dass eine nackte Frau die Wand für immer geziert hätte. Der Maltermin sei verschoben worden, die Künstlerinnen, die zuvor einen Entwurf vorgelegt hätten, hätten sich daraufhin an einen zweiten Entwurf gemacht. Innert eines Tages sei dieser gestanden. Doch auch dieser – er zeigt das Bild einer schwarzen und weissen Hand, die sich und ein Venussymbol gegenseitig halten – sei nicht gut angekommen. Wegen des «Kreuzes».

Der zweite Entwurf: Venussymbol nit Händen. (Bild: ida)

Schliesslich hätten sich die involvierten Parteien geeinigt: Die Künstlerinnen malen die beiden Bilder am Wochenende nicht an die Wand, sondern auf Holztafeln. Diese werden dann vor der Kornschütte ausgestellt.

So kommt es, dass die nackte Frau und die Hände mit dem Venuszeichen am Montag dem freien Himmel entzogen und zur Kornschütte abtransportiert wurden. Da, wo sie den Blicken der Schüler der Schule an der Rössligasse – die zwischen 16 und 19 Jahre alt sind – verwehrt bleiben.

Stadtluzerner spricht von «sexistischer Zensurverfügung»

Bruno Blume ist erbost. Er wirft dem Kanton eine «sexistische Zensurverfügung» vor. «Ich auf jeden Fall möchte diese rigide, rückwärtsgewandte, sexistische, kunstfeindliche Haltung der kantonalen Verwaltung weder mittragen noch mitfinanzieren.» Die beiden Künstlerinnen wollen sich bei einem Augenschein vor Ort nicht äussern. Sie wollen einfach in Ruhe ihre Kunst malen.

Die gemalte Frau, so sagt Bruno Blume, sei weder sexualisiert noch im Zusammenhang mit einer politischen Aussage oder einem Gewaltakt dargestellt. «Es ist schlicht eine Frau.» Zumal Nacktheit im öffentlichen Raum omnipräsent sei. In der Tat: Läuft man von der Schule an der Rössligasse rund 100 Schritte weiter die Gasse hoch, erblickt man Schaufensterpuppen mit Spitzendessous, noch ein paar Meter weiter – zugegebenermassen ein wenig diskreter in einer Seitengasse – werden Sextoys und Peitschen angepriesen.

Füdliblutte Kunst

Auch Kunst «blüttelt» oft. So gibt es in der Stadt mehrere Skulpturen mit entblössten Brüsten. Am Carl-Spitteler-Quai etwa ist es «Die Liegende» von Roland Duss. Diese liegt seit 1940 splitterfasernackt am Quai und blickt in Richtung Vierwaldstättersee. In den ersten Jahren wurde diese mit Farbe eingeschmiert oder gar eingekleidet (zentralplus berichtete).

«Die Kauernde» von Otto Charles Bänninger beim Ufer am Inseli sorgte ebenfalls im Jahr 1946 für Proteste. Und im Konsipark blütteln Rudolf Blättlers «Mann und Weib». Allesamt sorgten sie mit ihren entblössten Brüsten für erzürnte Gemüter.

Doch das war wie erwähnt vor Jahrzehnten. Was hatte die Schule nun also gegen die nackte Frau? Stellung nimmt Michael Bürgler, Rektor und Co-Leiter des Zentrums für Brückenangebote. Er äussert sich im Namen der Schulleitung.

«Die Frau ist dunkelhäutig, sie ist liegend, sie ist umgeben von einem Band. Der Interpretationsspielraum ist gross.»

Michael Bürgler, im Namen der Schulleitung

Er betont, dass man offen gewesen sei, im Rahmen des Fumettos das grosse Wandbild im Pausenhof neu bemalen zu lassen, «sofern sich das Bild mit unserem Auftrag als Schule und unseren Haltungen vereinbaren lässt». Die Schulleitung habe frühzeitig in den Prozess involviert werden wollen. Letzte Woche habe sie dann das Bild der nackten Frau als Vorschlag erhalten.

Das sei «nicht stimmig» gewesen. «Beim vorgeschlagenen Wandbild handelt es sich nicht nur ‹schlicht› um eine nackte Frau», so Bürgler. «Die Frau ist dunkelhäutig, sie ist liegend, sie ist umgeben von einem Band. Der Interpretationsspielraum ist gross.»

Zentrum für Brückenangebote: Auch Geflüchtete werden unterrichtet

Er führt aus, dass an der Schule nicht nur Jugendliche seien, die den Einstieg von der Volksschule in die Berufsbildung nicht schafften. Sondern auch geflüchtete Menschen, die sie in Integrationsangeboten fördern. Viele von ihnen hätten schreckliche und teilweise traumatische Erfahrungen auf ihrer Flucht gemacht. Und: «Viele Lernende sind junge Männer mit einem völlig anderen kulturellen Hintergrund, gerade auch, was die Stellung der Frau betrifft.»

«Wenn Kunst Fragen aufwirft und zu gesellschaftlicher Veränderung beitragen kann, hat sie viel erreicht.»

Bruno Blume

Wie das Bild wirke, entwickle sich in den Augen des Betrachters. Das Bild könne «Reaktionen auslösen oder verletzend wirken», führt er aus. Deswegen solle das Kunstwerk am besten gleich erklärt anstatt betrachtet werden. «Ein solches Bild bedarf für viele unserer Lernenden eine angeleitete Interpretation. Sie kennen teilweise unsere Symbolik für Frauen nicht», so die Antwort des Rektors.

Kunst soll ja gerade zur Diskussion anregen

Dabei soll ein Kunstwerk ja gerade zum Betrachten, Diskutieren und zum Verändern des eigenen Blickwinkels einladen. Ode, wie Aristoteles einst so schön sagte: «Das Ziel der Kunst ist es nicht, die äussere Erscheinung der Dinge darzustellen, sondern ihre innere Bedeutung.»

Ein Wandgemälde im Pausenhof einer Schule könnte Türöffner für Gespräche sein. Das findet auch Bruno Blume. Für die Haltung der Schulleitung habe er nur bedingt Verständnis. «Auch eine dunkelhäutige Frau ist zuallererst eine Frau. Und der grosse Interpretations- und Assoziationsspielraum ist ja gerade das Grossartige an Kunst. Wenn sie Fragen aufwirft und zu gesellschaftlicher Veränderung beitragen kann, hat sie viel erreicht.»

Er hätte im Kunstwerk, das die Künstlerinnen an die Wand hätten pinseln können, eine Chance gesehen. «Der Anlass zu Diskussionen und zum Hinterfragen von Ansichten und Haltungen, den dieses Bild hätte bieten können, hätte die Schule wunderbar in den Unterricht einbinden können.»

Venussymbol als Kreuz gedeutet

Die Schulleitung sagt, dass sie im Unterricht solche Themen besprechen würden. Im neuen Schuljahr würden jedoch viele Personen den Pausenhof zum ersten Mal betreten. «Für diese Personen kann diese ‹Übersetzung› nicht geleistet werden», so Bürgler.

Den zweiten Entwurf – die Hände, die einander und das Venussymbol halten – habe man «insgesamt als weniger problematisch betrachtet». Viele Schüler hätten das Zeichen jedoch als «Kreuz» interpretiert, als man sie bei einer kleinen Umfrage befragt habe. Deswegen hätte auch dieses Bild «zu grossen Interpretationsspielraum» gegeben, zumal es dem Grundsatz einer konfessionslosen Schule widerspräche.

Deswegen wollte die Schulleitung das Bild nicht als langfristiges Wandgemälde stehenlassen. Man habe jedoch angeboten, dass das Werk an die Wand gemalt werden dürfe – in den Osterferien dann jedoch wieder überstrichen werde. Darauf sei man nicht eingegangen.

Über die Kunstfreiheit

Die Schulleitung erachtet ihren Stopp nicht als Eingriff in die künstlerische Freiheit. Es handle sich um den Pausenplatz der Schule. Schulen sollen ein neutraler Ort sein. Und nicht ein Ort, welcher «für politische, religiöse oder anderweitige Aussagen genutzt» werden solle.

Verständnis zeigt auch das Fumetto. Oliver Kielmayer, der Betriebsleiter, und Lea Willimann, die künstlerische Leiterin, können die Haltung der Schule «absolut verstehen». «Es wurde den Künstlerinnen ja nicht verboten, ihr Werk zu schaffen oder es an einem Ausstellungsort für Kunst auszustellen», schreiben sie in einer gemeinsamen Antwort. «Nur war eben dieser Ort nicht der Ort für dieses Kunstwerk.» Zudem könne es nicht sein, dass das Fumetto anderen Mieterinnen vorschreibe, was in deren Innenhöfen zu hängen habe. «Das muss schon für beide stimmen.»

Die beiden Künstlerinnen an der Arbeit. (Bild: ida)
Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch und Telefonat mit Bruno Blume
  • Schriftlicher Austausch mit Oliver Kielmayer (Betriebsleiter Fumetto) und Lea Willimann (künstlerische Leiterin Fumetto)
  • Schriftlicher Austausch mit Michael Bürgler, Rektor und Co-Leitung Zentrum für Brückenangebote
  • Augenschein vor Ort
  • Website des Zentrums für Brückenangebote
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5 Kommentare
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    LD, 12.03.2024, 22:47 Uhr

    Bald werden Aktdarstellungen aus vergangenen Zeiten in die Lager verschwinden und irgendwann als entartet taxiert. Das ist geistige Mobilmachung. Wer sowas fordert, betreibt Selbstgleichschaltung (von Intellektuellen), die reaktionär auf die Bevölkerung einprasseln. Meine lieben Frauen, LGBTQ ist ein neues Vehikel, das die Position der Weiblichkeit und der erkämpften Freiräume untergräbt, wenn sich Männer nach Gefühlslage entscheiden können Frauen zu sein. In den USA werden bereits Hormone an Männer verabreicht, damit sie den Babys eine Art Milch geben können. Welche Qualität dieser chemische Saft hat, wurde nicht getestet. Der Absurdität des LGBTQ-Wahns muss mit Deutlichkeit entgegengetreten werden. Andernfalls gehören auch wir in die Klappse.

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    • Profilfoto von Lucien
      Lucien, 19.03.2024, 11:50 Uhr

      Der Schulleiter bringt Argumente von Konservativen hervor, der Artikel verweist auf vergleichbare Vorfälle um Kunst, die Konservativen nicht passte. Dann aber das irgendwie einer LGBTQ-Agenda unterjubeln wollen.
      Dieser Kommentar hat wirklich weder Hand noch Fuss. Verschwurbelte Verfolgungsfantasien. Aber Hauptsache man fühlt sich ideologisch rechtschaffen.

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    Tobias Mueller, 12.03.2024, 12:59 Uhr

    Erinnert stark an die Posse um das das Gedicht "Avenidas" von Eugen Gomringer. Die Berliner Alice Salomon Hochschule liess es von einer Wand entfernen: Durch die gänzliche Absenz von Verben überlässt der Text aktive Verbindungen zwischen den Nomen dem Interpretationsspielraum. Das führt bei weniger gefestigten Zeitgenoss*Innen bereits zu "Unwohlsein".

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    Cedric Kunz, 12.03.2024, 11:48 Uhr

    Kunst soll und muss doch provozieren, wenn sie etwas auslösen will. Andernfalls ist es Unterhaltung. Die Schule, die so etwas beauftragt, hat sich wohl mit dem Kunstbegriff nicht auseinandergesetzt…

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    Karl-Heinz Rubin, 12.03.2024, 04:56 Uhr

    Wer die Kunst verbietet, verbietet das freie Denken.
    Von so einer Welt und deren Grundwerten erzählen mir meine Grosseltern die vor so einer Welt in die Schweiz flüchten mussten um frei im Denken zu leben.
    Wir und unsere Kinder werden nun wieder im freien Denken gehindert.
    Es ist Kunst. Kunst wäre frei zu leben und zu denken, nicht sich anzupassen.

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