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Tamara Funiciello hat das Oben-ohne-Baden schweizweit zum Politikum gemacht. Warum es dabei um weit mehr als das Brüstezeigen geht – und ob Badis in Luzern und Zug bereit sind für die «Free Your Boobies»-Bewegung.
«Es ist kein Menschenrecht, blutt mit Brüsten durch die Welt zu spazieren.» Dieser Spruch meines Freundes, neulich bei einem Kaffee, der sass. Und er hakte nach, wie ich denn zu dieser Free-Your-Boobies-Bewegung stünde.
Nun. Vielleicht ist es kein Menschenrecht. Doch wo genau liegt denn eigentlich das Problem bei diesem Busen? Warum gelten unterschiedliche Regeln? Uns allen ist doch klar: Es geht per se nicht ums Auspacken der Brust. Das blosse Entblössen. Sondern um die Gleichbehandlung nackter Körper.
Alle Menschen haben Brüste, sie sind nun mal Teil eines Körpers. Nur gelten für Frau und Mann andere Regeln. Die einen dürfen ihre Brüste offen zeigen, während die anderen die ihrigen gefälligst verhüllen. Zu anstössig, zu sittenwidrig, heisst es. Ein weiblicher Busen erregt öffentliches Ärgernis, er erregt Triebe.
Packt um Himmels willen euren Busen ein
Es ist kein Zufall, dass SP-Nationalrätin Tamara Funiciello jetzt einen Oben-ohne-Freipass für Frauen und non-binäre Personen in Schweizer Badis fordert. Auslöser war ein Fall in Göttingen (Deutschland), der für Schlagzeilen sorgte. Nachdem eine non-binäre Person – jemand, der sich weder als Frau noch als Mann definiert – in einer Badi ihr Bikini-Top ausgezogen hatte, wurde sie mit Hausverbot sanktioniert.
«Bei uns ist oben ohne erlaubt.»
Bruno Milesi, Seebad Luzern
Die Badi pochte auf ihre Badeordnung. Diese soll «dem Schutz der Intimsphäre» der Gäste dienen, wie die «Berliner Zeitung» berichtete. Und weiter: «[…] als nämlich bei allgemeinem Badebetrieb das eine Geschlecht vor sexuell motivierten Verhaltensweisen und Blicken des anderen Geschlechts (oder sonstiger anderer Geschlechter) besser geschützt werden soll durch die Bedeckung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale.»
Klarer formuliert: Liebe Frauen, verhüllt um Himmels Willen euren Busen, wie sollen sich denn sonst die armen Männer im Griff haben!
Es liegt wieder mal an den Frauen …
Einmal mehr werden also Frauen Vorschriften gemacht, wie sie sich zu kleiden und zu verhalten haben – anstatt die geiernden Blicke der anderen zu hinterfragen.
Jedenfalls gibt es jetzt eine kleine Revolution in Göttingen: Oben-ohne-Baden ist erlaubt! Ein bisschen Auslauf für den Busen. Zumindest an den Wochenenden. Und zumindest «versuchsweise».
In Luzern wird das Bikini-Oberteil ausgezogen – und das ist okay so
In der Schweiz können Badis selber festlegen, ob «oben ohne» erlaubt ist oder eben nicht. Prüderie sucht man in Luzern vergebens. Aus «oben ohne» wird hier kein grosses Tamtam gemacht.
Beispielsweise im Seebad Luzern, der charmanten Holzbadi am Nationalquai. «Bei uns ist oben ohne erlaubt», sagt Bruno Milesi, Betreiber der Badi. «Es hat bei uns schon immer Frauen gegeben, die oben ohne gebadet haben.» Und man staune: Es hat sich auch noch nie jemand darüber gestört, in den 24 Jahren, in denen Milesi nun beim Seebad ist.
Auch auf der anderen Seite des Vierwaldstättersees ist der Sprung ins kühle Nass topless erlaubt. Beispielsweise im Strandbad Tribschen. «Unserer Meinung nach sollte dies heutzutage kein Thema mehr sein», sagt Medienverantwortliche Patricia Furger. «Jeder sollte selbst entscheiden dürfen, ob man oben ohne Sonnenbaden und/oder Baden möchte oder lieber mit Bikini-Oberteil.» Das gilt übrigens auch für das Waldschwimmbad Zimmeregg und das Hallenbad Allmend, welche wie das Strandbad Tribschen von der Hallenbad Luzern AG geführt werden.
Stadt Luzern will das Oben-ohne-Baden nicht verbieten
Und wie offen steht die Stadt dem Busen gegenüber, wenn es ums Sonnenbaden an öffentlichen Badeanstalten wie in der Ufschötti geht? Sicherheitsmanager Christian Wandeler schaltet sich ein. «In der Vergangenheit wurden ‹Oben-ohne-Badende› toleriert.» Ihm seien auch keine negativen Vorfälle bekannt, in denen sich jemand darüber beklagt hat. Die Stadt hat deswegen auch nicht vor, eine Oben-mit-Pflicht einzuführen.
Stadt Zug toleriert «oben ohne» – wünscht es sich aber nicht unbedingt
Blicken wir über die Kantonsgrenze. Für die städtischen Badis in Zug wie das Seebad Seeliken, das Strandbad, Trubikon, Tellenörtli, Siehbach und Brüggli gibt’s eine Badeordnung. Die neueste Version stammt aus dem Jahr 2019. In dieser hält die Stadt Zug fest: Badende der beaufsichtigten Badeanlagen haben alles zu unterlassen, «was die anderen Benutzerinnen und Benutzer in deren Wohlbefinden stören könnte». Unter anderem: «der nackte Aufenthalt ausserhalb der Umkleideanlagen und das Nacktbaden». Ausnahme ist die westlichste der drei Buchten im Choller, wo FKK offiziell erlaubt ist (zentralplus berichtete).
«Wir machen ja auch nicht aktiv Werbung fürs Oben-ohne-Baden.»
Thomas Felber, Leiter Sport Stadt Zug
Thomas Felber, Leiter Sport der Stadt Zug, präzisiert auf Anfrage: Das Oben-ohne-Baden ist per se in den anderen Badis nicht verboten. «Es wird in den öffentlichen Badeanstalten toleriert. Jedoch kommt es – zumindest in den beaufsichtigten Badis – kaum vor. Wir machen ja auch nicht aktiv Werbung fürs Oben-ohne-Baden.» Das Baden ohne Bikini-Oberteil war bis anhin kein Thema. Felber vermutet, weil mit dem FKK-Strand im Choller eine Alternative besteht. Und deswegen habe die Stadt auch keinen «Grundsatzentscheid» gefällt.
Auch in der Badeordnung des Freibads Lättich in Baar suchen wir vergebens nach einer Klausel, ob die Oben-mit-Pflicht herrscht. Demnach ist es auch nicht verboten, sich topfrei zu sonnen. «Wir kommunizieren aber auch nicht aktiv, dass das Oben-ohne-Baden erlaubt oder gar erwünscht ist», schreibt Betriebsleiter Marco Weber. Vereinzelt ziehen Frauen beim Sonnen draussen ihr Bikini-Oberteil aus. Meistens aber eher «diskret».
In der Stadt Zürich ist man prüder
Ein wenig prüder zeigt man sich übrigens in der Stadt Zürich. Brüste sind da nicht überall so gern gesehen.
Die Stadt hält in der Badeordnung fest, dass Badekleidung getragen werden muss. Dies, um «das sittliche Empfinden» anderer Badender nicht zu verletzen, wie der «Tages-Anzeiger» berichtete. Zumindest gibt es in einigen Badis Zonen, in denen man auch topless sein darf.
Busen bleibt Busen
Funiciello geht es um mehr als diskretes Blankziehen. «Frauen sollten herumlaufen, baden und sich sonnen können, wie sie wollen», sagt sie gegenüber «20 Minuten». «Es ist problematisch, dass die weibliche Brust bis heute dermassen sexualisiert wird.»
Schön war's, als der weibliche Busen noch Symbol der Freiheit und des Wandels war. Wie bei Marianne, der barbusigen Frau, die während der französischen Revolution zur Nationalfigur mutierte. Marianne –fürsorglich, emanzipiert, freiheitskämpferisch. Und auch der Busen galt als Symbol der Freiheit und des Wandels.
Wir leben im 21. Jahrhundert. Dass die Brust des Mannes gezeigt werden darf, die Brust der Frau jedoch etwas Anzügliches, ja sittenwidriges hat, geht verständlicherweise vielen gegen den Strich. Dabei sind Brüste einfach nur Brüste. Punkt.
Dazu passt:
- Schriftlicher Austausch und Telefonate mit Bruno Milesi (Seebad Luzern), Patricia Furger (Hallenbad Luzern AG), Christian Wandeler (Stadt Luzern), Thomas Felber (Stadt Zug), Manuela Käch (Oberägeri), Marco Weber (Freibad Lättich Baar)
- Benützungsordnung für die Seebäder der Stadt Zug
- Aktuelle Medienberichte von «20 Minuten»und vom «Tages-Anzeiger»
- Medienbericht «Berliner Zeitung» vom Oktober 2021