Wegen Bargeldverzicht: Trinkgeld in der Gastronomie nimmt ab
Das Trinkgeld ist bedroht: Das zeigt eine neue Umfrage. Zwei Zentralschweizer Gastronomen schildern gegenüber zentralplus ihre Erfahrungen.
Wenn auch freiwillig, bezahlen viele Gäste nach einem gelungenen Restaurantbesuch ein Trinkgeld. Gemäss einer neuen Studie der Bank Cler steht es aber nicht gut um die Zukunft des Zustupfs. «Die Kultur droht schleichend abzunehmen», schreibt die Bank.
Aus der Mitteilung lassen sich zwei Kernaussagen herauslesen: Einerseits bedrohen Kartenzahlungen die Trinkgelder, andererseits seien die Jungen weniger grosszügig als ältere Generationen.
Wer bar zahlt, rundet eher auf
Wer bar zahlt, rundet eher auf den nächsthöheren runden Betrag auf. Etwa, indem man dem Servicepersonal Banknoten in die Hand drückt und sagt «das passt so». Die Umfrage hebt zudem einen weiteren Punkt hervor: Viele Gäste befürchten bei Kartenzahlungen, dass das Geld nicht bei der «richtigen Person» ankommt. 70 Prozent der Befragten geben das Trinkgeld daher lieber in bar.
Zu bedenken ist aber: Die Umfrage ist nur eine Momentaufnahme. Sie gibt etwa keine Auskunft darüber, weswegen jüngere Personen weniger Trinkgeld geben. Möglicherweise sind sie nur weniger grosszügig, weil sie weniger Geld zur Verfügung haben als ältere Personen. Wäre das der Fall, würden die Jungen bei steigendem Alter später wohl auch mehr Trinkgeld geben. Ein Generationenwandel lässt sich aus den Resultaten also nicht ablesen.
Gesichert ist aber, dass immer mehr Personen ihre Rechnung mit elektrischen Zahlungsmitteln begleichen. Und damit kommt gemäss Umfrage auch das Trinkgeld unter Druck. Das könnte das Servicepersonal empfindlich treffen, ist die Branche nicht gerade für hohe Löhne bekannt – das Trinkgeld für viele ein wesentlicher Anteil des Einkommens.
Restaurant Zur Werkstatt in Luzern beklagt sinkende Trinkgeldsummen
Fragt man bei lokalen Gastronomen an, zeigt sich ein gemischtes Bild. Einige bestätigen die Umfrageergebnisse, andere sehen mehr Vorteile als Nachteile im Plastikgeld. Wiederum andere können keine Auskunft geben, da das Trinkgeld bei den Mitarbeitern bleibe.
«Wir stellen fest, dass die Gäste weniger Trinkgeld geben als früher», sagt Jasmin Platzer, Gastgeberin des Restaurants Zur Werkstatt in der Luzerner Neustadt. Sie spricht von einer Abnahme um 10 bis 20 Prozent.
Platzer bestätigt ein wichtiges Umfrageresultat: «Bei den Kartenzahlungen merken wir, dass die Gäste weniger Trinkgeld geben. Dort hält man schneller mal einfach die Uhr oder das Handy hin», sagt sie. Bei Barzahlungen hingegen runden Gäste eher auf den nächsthöheren Betrag auf.
Ob mit Bargeld oder Karte bezahlt: Trinkgeld wird immer gleich verteilt
Die Umfrage zeigt: Viele befürchten, dass bei elektronischer Trinkgeldzahlung nicht die richtige Person belohnt wird. Das stellt Platzer in ihrem Lokal ebenfalls fest. Dabei habe die Art der Zahlung gar keinen Einfluss auf die Verteilung des Trinkgelds. «Bei uns teilen wir das Trinkgeld gleichmässig unter allen Angestellten auf», sagt die Gastgeberin Zur Werkstatt.
Die Umfrage bietet ein weiteres Indiz, dass Gäste gerne die «richtige Person» mit einem Zustupf belohnen wollen: Wenn dieselbe Person, die den Gast zuvor bedient hat, auch die Zahlung abwickelt, sind die Leute eher bereit, Trinkgeld zu geben.
«Die Jüngeren gaben schon immer weniger Trinkgeld als Ältere»
Neben den zunehmenden Kartenzahlungen vermutet Platzer, dass auch die gestiegenen Lebenshaltungskosten für die Abnahme der Trinkgeldzahlungen in ihrem Betrieb mit ein Grund sind. «Die Gäste gönnen sich immer noch einen Restaurantbesuch, geben dann aber hinterher weniger Trinkgeld», resümiert sie.
Nicht feststellen kann Platzer hingegen, dass die jüngere Generation knausriger sei als früher: «Wir stellen zwischen den Generationen keinen Unterschied fest. Die Jüngeren gaben schon immer weniger Trinkgeld als Ältere.»
Bargeldloser Betrieb hat keine Angst um Trinkgeldeinnahmen
Das Trinkgeld nicht unter Druck sieht das Gastrounternehmen Familie Wiesner Gastronomie, und zwar unabhängig vom Alter der Gäste. Das Unternehmen stand kürzlich in der Presse, weil es bis im Herbst 2023 in seinen Restaurants das Bargeld abschafft (zentralplus berichtete). Zur Kette gehören etwa die Negishi Sushi Bars in Luzern und Zug.
Sollte das Unternehmen aufgrund der bevorstehenden Abschaffung des Bargelds in seinen Betrieben nicht besonders besorgt sein wegen der Umfrageresultate? «Wir beobachten, dass mit Kreditkarte eher ein Prozentsatz bezahlt und bei Bargeld eher aufgerundet wird», schreibt eine Sprecherin des Unternehmens. «Wirkliche Unterschiede merken wir nicht.»
Trinkgeld via Kreditkarte schaffe Transparenz
Weiter heisst es, dass die Höhe des Trinkgelds sehr vom Betrieb abhänge. Da gibt es einerseits den kleinen Take-away-Betrieb und andererseits das Grossrestaurant mit teils über 20 Mitarbeitern. Das Unternehmen hat in seinen Betrieben auch noch eine andere Entwicklung festgestellt: «Heute erwarten Gäste auch andere Fähigkeiten im Service, als es noch vor ein paar Jahren der Fall war.» So werde «Storytelling im Service» mit mehr Trinkgeld belohnt als lediglich «Essen an den Platz bringen».
Auch die Familie Wiesner Gastronomie sieht nicht ein, weshalb Gäste bei elektrischen Trinkgeldzahlungen befürchten sollen, dass das Geld nicht «bei der richtigen Person» ankommt. «Mit unserer Umstellung auf bargeldlosen Betrieb bis Ende Herbst 2023 können wir auch hier zukünftig analog der Lohntransparenz die volle Transparenz beim Trinkgeld gewährleisten.» Die Umstellung auf den bargeldlosen Betrieb ermögliche mehr Kontrolle bei der Auszahlung des Trinkgelds. «So können wir einem grossen Anliegen der Mitarbeitenden gerecht werden und schaffen Vertrauen und Motivation bei unseren Mitarbeitenden.»
- Medienmitteilung der Bank Cler
- Umfrageresultate der Bank Cler
- Schriftlicher Austausch mit der Medienstelle der Familie Wiesner Gastronomie AG
- Telefonat mit Jasmin Platzer, Gastgeberin Zur Werkstatt