Letzte Chilbi-Saison für Luzerner Schausteller-Urgestein

Seppi Moser: «Eine schöne, aber gopferteli harte Zeit»

Josef «Seppi» Moser bereitet in diesem Jahr ein letztes Mal gebrannte Mandeln in seinem Confiserie-Stand zu. (Bild: mik)

Der Luzerner Schausteller Seppi Moser stellt heuer zum 50. Mal an der Chilbi Reussbühl seine Geschäfte auf. Das Jubiläum hat einen bittersüssen Nachgeschmack: Danach tritt er in den Ruhestand.

Noch riecht es nicht nach Magenbrot. Ein Rasenmährer zieht neben dem Kiesplatz seine Runden. Es riecht nach gemähtem Gras. Denn bevor sich Jung und Alt an der Chilbi Reussbühl vergnügen können, müssen die Schausteller am Donnerstag «a d'Seck». Um 14 Uhr stehen aber bereits ein Autoscooter, eine Kinderbahn, ein Süssigkeitenstand und der Confiserie-Stand von Josef «Seppi» Moser parat.

In letzterem verteilt er dieses Jahr zum letzten Mal Softeis und gebrannte Mandeln an Chilbi-Besucherinnen. Der gebürtige Luzerner – oder Reussbühler im Herzen, wie er sagen würde – ist Anfang September 65 Jahre alt geworden. Ein Alter, um die Schürze an den Nagel zu hängen. «Es war eine schöne Zeit. Ich würde es wieder machen. Aber eine gopferteli harte.» Während andere den An- und Abbau jeweils delegierten, habe er immer selbst Hand angelegt. «Das war vielleicht mein Fehler», fügt Moser nachdenklich an. Denn die Arbeit habe vor allem sein Körper gespürt. «Ich bin so manchmal im Spital gelegen.» Kaputte Zehen, gebrochene Hand, Darmkrebs, Schwarzer Hautkrebs, Herzprobleme … Bei der Aufzählung mag man es ihm nicht verdenken, wenn er nun kürzertreten will.

Seinen Rücktritt hat Seppi Moser bereits letztes Jahr gegenüber zentralplus angekündigt.

In seinem Abschiedsjahr ist er nur noch an der Lozärner Määs anzutreffen – und eben auf der Chilbi Reussbühl. Denn mit dem Luzerner Stadtteil verbindet ihn viel: Sein Magazin stehe seit 55 Jahren hier. Er sei hier aufgewachsen, und habe den hiesigen Kindergarten besucht. Er habe hier Stammbeizen, kenne die Vereine und ist nicht zuletzt durch sein ehemaliges Amt als Zunftmeister der Mättli-Zunft mit dem Ort verbunden. «Es ist sehr schwierig, eine so kleine Chilbi zu unterhalten.» Dass es trotzdem klappe, sei vor allem der Pfadi zu verdanken. Und der Stadt, die dem OK mit den Platzgebühren entgegenkomme.

Die Chilbi in die Wiege gelegt

Moser ist auf den Chilbis bekannt, die Schaustellerei wurde im quasi in die Wiege gelegt. Chilbi-Luft schnupperte seine Familie erstmals 1957 an der Lozärner Määs. Seine Mutter Frieda arbeitete da an einem Los-Stand. Als seine Mutter mit dem Lösli-Verkauf am Wochenende mehr verdiente als sein Vater die ganze Woche in der Garage, kam den Mosers der Gedanke: Das können wir auch. Gesagt, getan. Sein Vater entwickelte daraufhin Stände und Fahrgeschäfte. Moser war bereits früh dabei, worunter auch seine Schulnoten litten, wie er mit Zwinkern hinzufügt. «Ich hatte im Jahr über 40 Absenzen, da ich montags immer beim Abbau geholfen habe.»

1974 ging er von der Schule und stieg bei seinem Vater im Geschäft ein. Acht, neun Monate pro Jahr «tourten» sie durch die Schweiz und stellten ihre Fahrgeschäfte an Chilbis, Märkten, Grümpelturnieren und Festen wie dem Weggiser Rosenfest auf. Auf die Frage nach seinem liebsten Ort antwortet er ohne zu Zögern: «Natürlich die Lozärner Määs». Aber auch in Sarnen, Emmen und Reussbühl stellte er sehr gerne auf. Und in Kerns – dort habe er seine Frau kennengelernt.

«Wenn ich jetzt so da sitze, denke ich Gott sei Dank. Aber wenn ich später an meinen ehemaligen Geschäften vorbeilaufe, wird mein Herz schon etwas pöpperle.»

Josef Moser über das Gefühl, zum letzten Mal seine Geschäfte aufzustellen

Wenn er nicht auf Festen und Messen Zuckerwatte verkaufte, verdiente Moser sein Geld mit Gelegenheitsjobs. Mal auf dem Bau, mal als Chauffeur, mal als Maler. «Alles, was man selbst für seine Fahrgeschäfte brauchen konnte», fasst Moser zusammen. Bereits früh schaffte er sich eigene Geschäfte an. Als Erstes kaufte er sich einen eigenen Popcorn- und Zuckerwattestand, danach eine Schiessbude. Mit 20 Jahren hatte er sein erstes eigenes Schausteller-Patent für den «Hau den Lukas», wie er mit Stolz erzählt. Es folgten Karussells, ein Autoscooter, der Freefall-Tower und der Fliegende Teppich – oder Scheibenwischer, wie Moser ihn nennt.

Früher familiärer, aber körperlich anstrengender

In diesen 50 Jahren Chilbi-Leben habe sich einiges geändert, wie Moser erzählt. Zum Beispiel bei den Fahrgeschäften selbst. Vieles sei moderner geworden. Musste sein Autoscooter früher noch mit fünf Anhänger transportiert und von Hand zusammengesetzt werden, klappe das heute mit zwei Anhängern und könne ausgefahren werden.

Doch auch die Stimmung an Chilbis sei anders, so Moser. «Damals bist du in einem Dorf wie in einer Familie empfangen worden.» Kinder warteten auf dem Trottoir, um beim Aufstellen zu helfen, Eltern brachten Kuchen vorbei. «Ich habe den Leuten immer zweimal eine Freude bereitet. Beim Kommen und beim Gehen. Weil irgendwann wollten sie auch wieder ihre Ruhe», fügt er mit einem Schmunzeln an. Er kannte in den Dörfern alle – vom Dorfpolizisten über das Wirtenpaar bis zum Pfarrer. «Das ist meine Stärke: Mit allen gut auskommen.»

Die Schaustellerei an sich sei ebenfalls weniger familiär. Früher hätten die Schaustellerinnen noch mit Wohnwagen auf dem Chilbiplatz selbst übernachtet und zusammen aufgestellt, erinnert sich Moser. Heute gingen die meisten Schausteller dazwischen nach Hause oder wechseln die Plätze, da sie an mehreren Orten gleichzeitig präsent sind. Während früher das Personal wie eine zweite Familie war, sei es heute schwer, überhaupt welches zu finden.

Nebst Problemen mit dem Personal sei auch der Betrieb kostspieliger geworden. Heute seien neue Bahnen sehr teuer, weshalb sie grösstenteils geleast oder gemietet würden. Doch auch das Aufstellen an sich koste mehr: «Ob Wasser, Diesel, Strom, Platz oder Reparaturen – alles ist teurer.»

Nachfolgerin gefunden

Nach all diesen Jahren in der Schaustellerei – wie fühlt es sich an, seine Wagen zum letzten Mal aufzustellen? «Wenn ich jetzt so da sitze, denke ich Gott sei Dank. Aber wenn ich später an meinen ehemaligen Geschäften vorbeilaufe, wird mein Herz schon etwas pöpperle.» Im Gegensatz zu anderen Schaustellern hat er aber sein Geschäft nicht innerhalb der Familie weitergegeben. Denn diese hätten eigene Pläne und Hobbys.

Er habe aber Glück gehabt, dass er all seine Fahrgeschäfte trotzdem an Personen verkaufen konnte, die sie gut pflegten und hegten. Auch für diesen letzten Wagen. Just diese Woche konnte er eine Nachfolgerin dafür finden. Die 34-jährige Tamara Harder aus Solothurn. Sie stammt ebenfalls aus einer Schaustellerfamilie. Im Winter arbeitet sie in der Pflege, vom März bis November tingelt sie mit dieser durch verschiedene Chilbis.

Mit der 34-jährigen Tamara Harder habe er eine würdige Nachfolgerin für den Confiserie-Stand gefunden, ist Seppi Moser überzeugt. (Bild: mik)

An diesem Donnerstag ist sie ebenfalls vor Ort und hilft Moser beim Aufstellen. «Ich freue mich riesig, die Confiserie zu übernehmen. Seppi hat das immer mit so viel Liebe gemacht. Für mich geht damit ein Traum in Erfüllung.» Seine Nachfolge wollte Harder bereits vor zehn Jahren antreten, als ihr Vater Mosers Autoscooter abkaufte. Nun sei es für sie endlich so weit. An der Mäss und der Chilbi werde sie von Seppi Moser noch eingeführt, ab nächstem Jahr darf sie übernehmen. Sie verspricht: «Ich werde die Confiserie im Sinne von Seppi Moser weiterführen.»

Josef Moser tritt ab – bleibt aber der Chilbi nicht fern

Während des Gesprächs mit Seppi Moser werden wir immer wieder unterbrochen. Mal durch den Gaskontrolleur, mal durch seine Helferinnen, weil er die Mandelmaschine anschalten soll, mal durch zwei Vertreter der Stadt Luzern, die eine Frage zur WC-Situation an der Reussbühler Chilbi haben. Schwer vorstellbar, dass Moser und seine langjährige Erfahrung bald fehlen werden. Doch er beschwichtigt: Nebst ihm gebe es auch noch andere Schausteller mit viel Erfahrung, beispielsweise der Zürcher Alex Rodel.

Zudem werde er seine Nachfolger gut einleiten. Fern bleibe er den Anlässen auch nach der Pensionierung nicht. Als Ehrenmitglied der Interessengemeinschaft Luzerner Herbstmesse und Märkte werde er noch dann und wann anzutreffen sein. «Ich gehe während der Määs sicher nicht in die Ferien.»

Von früh bis spät am Stand stehen, ständig Leute um einen herum – wird er das Gewusel im Ruhestand nicht vermissen? «Ich werde es sicher vermissen. Aber nicht so sehr, dass ich wieder anfangen will.» Als er mit 60 Jahren seine Fahrgeschäfte verkauft habe, habe er sich schon langsam an die Pensionierung gewöhnt. Langweilig werde es ihm nicht: Im Sommer sei er oft bei der Ufschötti, wo sein Neffe inzwischen den Kiosk führt. Dort gehe er schwimmen oder fahre mit dem Schiff raus. Im Winter sei er vor allem mit der Zunft beschäftigt oder fahre in die Ferien. Zum Kuren auf Österreich oder für etwas Sonne nach Gran Canaria. Zur Hauptsaison lasse er es sich aber sicher nicht nehmen, auf den Chilbis und Määs vorbeizuschauen. Nur diesmal mit einer Tüte Magenbrot vor der Theke, statt dahinter.

Wer Seppi Moser nochmal hinter seinem Stand erleben will, hat dazu beispielsweise an der Chilbi Reussbühl Gelegenheit. Sie findet vom Freitag, 22. September, bis Sonntag, 24. September, auf dem Kiesplatz Ruopigen direkt neben dem Schulhaus statt. Eröffnung ist Freitagabend um 19 Uhr. Am Samstag beginnt der Betrieb um 15 Uhr, am Sonntag um 13 Uhr.

Bei zentralplus gibt es den umfassendsten Veranstaltungskalender der Zentralschweiz. Finde jetzt den passenden Event, seien es Ausstellungen, Konzerte, Kunst, Feste, Sport oder Musik, filterbar nach Datum und Ort.

Hinweis: Nach Rücksprache mit Josef Moser sind zwei Ungenauigkeiten bei seinem Hintergrund angepasst worden. Die Wöfli und Pfadi hat er in der Stadt Luzern besucht.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Josef Moser
  • Augenschein vor Ort
  • Medienarchiv zentralplus
  • Website Chilbi Reussbühl
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Josef Matter
    Josef Matter, 25.09.2023, 00:53 Uhr

    Hallo Seppi,
    Dein Lebenslauf ist mir sehr in’s Herz gekommen!
    Bin zwar 70J. & Würde gerne zu Diesen gehören die Kuchen bringen & behilflich sein!
    Viele Grüsse, sepp

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