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Zuerst waren es die «Gfröörlis», jetzt schwitzen wir

Das Gedankenexperiment einer Klimaerkältung

Es geht nicht nur um die Schweiz; in Süditalien und Nordafrika ist die Klimaverschiebung noch viel mehr spürbar. (Bild: Adobe Stock)

Auf allen Kanälen wurde es vermeldet: Endlich erreichte das Wasser im Vierwaldstättersee wieder einmal die 20 Grad Marke. Die Leute posteten wie wild Bilder von ihrem Bad im See und der ausgelassenen Stimmung.

Seit Jahren hatten die Leute dies nicht mehr erlebt und die Badestrände rund um den See wurden nur an wenigen Tagen im Jahr genutzt. Die meisten Freibäder waren geschlossen, weil die Gemeinden die horrenden Defizite nicht mehr tragen wollten.

Zuerst hatte sich die Temperaturabnahme nur unmerklich gezeigt, doch in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurde es offensichtlich: Ein paar Sommer waren sehr kühl und richtig heisses Wetter vermisste man komplett. Dann sanken die Temperaturen noch stärker, im Winter fror der Rotsee immer häufiger zu und als Ende der 90er-Jahre auch das Luzerner Seebecken zufror, war das ein grosses Ereignis.

Ein historisches Ereignis, den gefrorenen Rotsee zu überqueren. Im Winter 1985/1986 und Februar 2012 war es zuletzt möglich.
Ein historisches Ereignis, den gefrorenen Rotsee zu überqueren. Im Winter 1985/1986 und Februar 2012 war es zuletzt möglich. (Bild: Emanuel Ammon)

«Seegfröörni» und schlechte Ernten

Dabei kündigte es nur an, was Wissenschaftlerinnen bereits seit langem vorausgesagt hatten: Die Klimaerkältung wurde recht exakt berechnet und das Phänomen war seit langem bekannt. 2003 wurde es noch extremer: Der Sommer war ein kompletter Ausfall. Zum ersten Mal fielen nicht nur die Getreideernten schlecht aus, sondern auch ein grosser Teil des Obstes wurde gar nicht mehr reif. Wochenlang lagen die Höchstwerte im Juni und August unter 20 Grad und in der Nacht blieben die Temperaturen meist unter 10 Grad.

So etwas hatten die Wetterchroniken seit Jahrhunderten nicht beschrieben. 2003 blieb ein Ausnahmejahr, aber die Temperaturen erholten sich nicht mehr und lagen im Schnitt zwei Grad tiefer als 1890, weshalb der Vierwaldstättersee alle drei oder vier Jahre zufror. Die Stadt Luzern hatte inzwischen ein Reglement zur Nutzung der Eisfläche verabschiedet, mit den üblichen Querelen, wie die Ausschreibungen zu erfolgen hatten.

Gewinner waren die Skiorte: Von Anfang November bis Mitte Mai konnte selbst in Sörenberg und auf der Klewenalp Ski gefahren werden. Die Schneetage im Flachland hatten sich von 60 auf 120 Tage verdoppelt, manchmal waren es auch 150 Tage. Ende September konnte es zum ersten Mal schneien und es gab kaum einen Monat, wo der Pilatus nicht weiss wurde. Viele hoch gelegene Alpen wurden schon gar nicht mehr beschossen und die Weinbauern kämpften mit der Klimaerkältung. Weinbau im Mittelland wurde fast unmöglich, die Trauben reiften nicht mehr, die Stöcke erfroren und selbst in den Wäldern entstanden durch harte Frostperioden Schäden.

«Ein bisschen wärmer» ist leicht untertrieben

Sie fragen sich vielleicht: Wozu diese Umkehrung? Ich finde dieses Gedankenexperiment lohnenswert. Wäre die Reaktion der Politik und Gesellschaft gleich wie bei unserer Klimaerhitzung? Wäre sie rascher und klarer, weil die Folgen von vielen als stärker sicht- und spürbar empfunden würden? Weil man vielleicht das skandinavische Klima letztlich weniger toll findet als das der Toskana, dem wir uns annähern? Oder würde man auch sagen: Es gab schon immer Eiszeiten, auch wenn diese sich viel langsamer angekündigt hatten.

Ich habe dieses Beispiel aufgeschrieben, weil ich in den letzten Wochen zum Klimagesetz und zu Wortmeldungen zur diesjährigen Hitze unglaublich viele Kommentare erhielt, die einerseits die Klimaerwärmung nach wie vor schlicht negieren (die ich dann auch ignoriere) oder aber mindestens die laufend steigenden Extremwerte und -rekorde verniedlichen, ganz gemäss dem Stichwort: «Jetzt ist grad einmal etwas warm» oder «der Sommer ist sonst schon so kurz», was eine komplette Ausblendung der langjährigen mitteleuropäischen Sommerwerte darstellt.

Es geht nicht nur ums Inland

Glücklicherweise zählen diese Kommentare zu einer Minderheit, die aber laut ist. Das Klimaschutzgesetz wurde klar angenommen und die Dringlichkeit zum Handeln anerkannt. Das zeigt auch das Sorgenbarometer immer wieder: Die Klimafrage ist ganz zuoberst.

In dem Sinne gilt: Geniessen Sie den Sommer, freuen Sie sich über warme Tage und längere Perioden zum Baden, aber helfen Sie auch mit, dass wir in der Schweiz nicht bald süditalienische Temperaturen haben. Das tut nicht nur uns und der Natur nicht gut, es ist vor allem für die Menschen in wärmeren Regionen im Ausland unerträglich, weil für sie die Klimaverschiebung noch viel brutaler ist.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag wurde fälschlicherweise erst in einer leicht anderen Form publiziert. Wir entschuldigen uns für das Missverständnis.

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Dieser Blog soll den Politikerinnen und Politikern aus den Kantonen Zug und Luzern Gelegenheit geben, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Es wird wöchentlich Bezug genommen zur aktuellen politischen Landschaft Zentralschweiz. Die Meinung von Bloggern und Gastautoren muss nicht mit jener der Redaktion übereinstimmen.
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Richard Ephraim Scholl
    Richard Ephraim Scholl, 21.07.2023, 17:45 Uhr

    Herrlich, das Kurzzeitgedächtnis ist für Journialisten obligatorisch. Wie auch immer das Wetter sich aufführt, für sie ist immer der Klimawandel, der Mensch, der Auto- und Flugzeugfahrer schuld. Ganz nach Greta Du—-bergs Prämisse. Dies ist das Programm der Grünen und ihrer Gefolgschaft ( in der Schweiz zwei weitere Parteien, macht locker eine Mehrheit Ende Oktober, nicht wahr?)

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    • Profilfoto von Hanswurst
      Hanswurst, 22.07.2023, 18:40 Uhr

      Erstaunlich, dass es immer noch Leute gibt, die absolut resistent gegenüber eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen sind. Diese sind aber irgendwie das Gegenstück grüner Fundis, die ebenfalls erkenntnisresistent sind, aber nicht in gleichen Sachgebieten.

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