Haustierblog
Blog
Gesundheit der Tiere dem Aussehen geopfert

Kurzköpfige Hunde – Jöö-Effekt zu einem hohen Preis

Besonders an heissen Tagen ist kurzköpfigen Hunden nicht immer nach Rennen zumute. (Bild: Unsplash Clint Bustrillos)

Tagtäglich behandeln wir in der Ennetseeklinik in Hünenberg kurzköpfige Hunde, meiner Ansicht nach viel zu viele. Wieso das so ist und was man dagegen machen kann, das erfahrt ihr in meinem Gespräch mit Tante Marie und Onkel Sepp.

Mutz, der Hund von Sepp und Marie, half im Sommer regelmässig mit, die Kühe von den Alpwiesen zurück zum Stall zu treiben. «Das würden viele Familienhunde nicht mehr schaffen» rief mir Onkel Sepp dabei augenzwinkernd zu.

«Wie recht er hat», dachte ich mir. Später beim Znacht brachte ich das Thema nochmals auf den Tisch: «Die meisten der populären kurzköpfigen Hunde zum Beispiel schaffen diese Leistung nie und nimmer. Wegen ihrer engen Nasenlöcher, deformierten Nasenmuscheln und zu langen und dicken Gaumensegeln müssen sich einige von ihnen nur schon anstrengen, um genügend Luft für den normalen Alltag zu bekommen, geschweige denn fürs Rennen und Spielen. Im Extremfall müssen sie sogar lernen, im Sitzen oder Stehen zu schlafen, denn im Liegen kriegen sie erst recht nicht mehr genügend Luft.

Hecheln statt schwitzen

Weil Hunde nicht schwitzen können, geben sie ihre Körperwärme durch Hecheln ab. Dabei spielen die Nasenmuscheln eine zentrale Rolle. Weil diese bei kurzköpfigen Hunden jedoch meistens deformiert sind, können die Hunde ihre Körperwärme nicht abgeben und sind deshalb sehr hitzeempfindlich, bei warmen Temperaturen droht sogar bei Ruhe ein Hitzschlag oder Kollaps.

Und durch das viele Schnarchen und Röcheln werden die engen Atemwege noch enger – es entsteht ein Teufelskreis, aus dem diese Hunde ohne therapeutische Massnahmen nicht mehr herauskommen.»

«Das gibt’s doch nicht …», flüsterte Marie kopfschüttelnd.

«Das ist noch nicht alles», fuhr ich fort. «Häufig leiden sie an allergischen Haut- und Ohrenentzündungen und wegen ihrer vorstehenden Augen auch an Augenproblemen. Bei Aufregung können die Augäpfel im schlimmsten Fall sogar aus der Augenhöhle vorfallen.

Ein Problem kommt selten allein

Und wegen ihren Gebissanomalien können sie sich bei einer Beisserei nicht immer wehren, und dies, obwohl andere Hunde ihr Röcheln als Drohgebärde fehlinterpretieren und angreifen könnten.

Und stellt euch vor: Die Hunde können sich teilweise gar nicht mehr paaren und müssen deshalb künstlich gezeugt werden. Auch können die Welpen wegen ihrer Kopfform und -grösse häufig nicht mehr natürlich geboren werden und müssen durch einen Kaiserschnitt auf die Welt gebracht werden.»

Meine Verwandten schauten einander erstaunt an und Sepp sagte: «Du meinst, diese Rassen könnten sich natürlich und ohne die Eingriffe des Menschen vielleicht gar nicht mehr vermehren?»

«Aber wie konnte es so weit kommen?», fuhr Tante Marie dazwischen.

«Weil diese Hunde in den letzten Jahrzehnten auf Aussehen und nicht mehr wie früher auf Gesundheit gezüchtet wurden», antwortete ich. «Zuchtziel war fatalerweise das sogenannte «Kindchenschema», dafür nahm man sogar Schädeltransformationen in Kauf und opferte gleichzeitig auch die Gesundheit der Tiere.»

Schon mal was vom Kindchenschema gehört?

«Und wieso sind diese kurzköpfigen Hunderassen trotzdem so beliebt?», wollte Marie wissen.

«Weil die Nachfrage so gross ist! Die kindlichen Gesichtszüge (Kindchenschema) dieser Hunde sprechen den natürlichen Pflegeinstinkt des Menschen direkt an («Jöö, ist der süss») und machen die Tiere für potenzielle Käufer so viel attraktiver.

Und dann sind diese Hunde im Moment halt «in Mode» wegen ihren prominenten Besitzerinnen oder ihrer Präsenz in Werbungen, Filmen und in den Medien, besonders den sozialen Medien. Einige sind selbst schon Social-Media-Stars und haben zig-Millionen Follower.»

Mops mit Kindchenschema. Dieses soll eigentlich als Schlüsselreiz wirken und so das Brutpflegeverhalten auslösen.
Welpe mit Kindchenschema. Dieses soll eigentlich als Schlüsselreiz wirken und so das Brutpflegeverhalten auslösen. (Bild: Flickr as Alert)

Sepp schüttelte den Kopf. «Aber wenn die Nachfrage so gross ist, muss ja auch das Angebot dementsprechend gross sein», folgerte er richtig.

«Die Schweizerische Kynologische Gesellschaft SKG bemüht sich sehr, die Gesundheit der kurzköpfigen Rassen zu verbessern und führte vor kurzem einen wissenschaftlich anerkannten Leistungstest zur objektiven Beurteilung der getesteten Hunde ein. Nur Elterntiere ohne klinische Symptome dürfen zur Zucht eingesetzt werden. Die in der Schweiz gezüchteten Hunde decken die ungebrochen hohe Nachfrage nach kurzköpfigen Hunden jedoch bei weitem nicht. Deshalb werden die meisten dieser Hunde aus dem Ausland importiert, auch aus äusserst fragwürdigen (Qual-)Zuchten und Vermehrer-Stationen in Osteuropa, und bei uns in der Schweiz zu überrissenen Preisen verkauft.»

«Dann muss man halt den Import solcher Hunde stoppen – oder die Nachfrage!», resümierte Tante Marie korrekt.

«Ja, der Import solcher Hunderassen müsste gesetzlich geregelt werden. Und die Nachfrage versucht man schon seit ein paar Jahren zu bremsen, indem man die Öffentlichkeit und (zukünftige) Hundehalter durch gezielte Kampagnen in Zeitungen, Online-Portalen oder den sozialen Medien sensibilisiert und aufklärt (und gleichzeitig auf solche Hunde in der Werbung verzichtet).

Rennen statt Kollabieren

Im Jahre 2018 startete die Schweizerische Vereinigung für Kleintiermedizin SVK zusammen mit anderen Interessenvertretern die Kampagne «Gemeinsam gegen extreme Kurzköpfigkeit bei Hunden».

Die Kampagne «Gemeinsam gegen extreme Kurzköpfigkeit bei Hunden» des SVK aus dem Jahr 2018.
Die Kampagne «Gemeinsam gegen extreme Kurzköpfigkeit bei Hunden» des SVK aus dem Jahr 2018. (Bild: zvg)

Zukünftigen Hundehaltern muss beim Kauf eines Hundes seine Gesundheit viel wichtiger sein als sein Aussehen. Idealerweise lassen sie sich schon vor dem Kauf von einem Tierarzt beraten oder konsultieren zumindest eine Checkliste mit den wichtigsten Fragen, etwa muss es ein kurzköpfiger Hund sein? Und falls ja: Stammt er aus einer zertifizierten Zucht mit getesteten (und deshalb klinisch gesunden) Elterntieren? Tierhalter müssen verstehen, dass gewisse Merkmale wie eine kurze Nase, Schnarchen und Röcheln eben nicht normal und auch nicht «typisch für eine Rasse» sind, sondern ernste gesundheitliche Probleme für die betroffenen Tiere darstellen.

Wo keine Nachfrage, da kein Angebot

Wir Tierärzte müssen uns überlegen, ob wir kurzköpfige Hunde, die wir wegen ihrer Atemnot operieren müssen (oder Hündinnen mit einem Kaiserschnitt), auch gleich kastrieren, damit sie ihre Kurzköpfigkeit nicht weitervererben – oder sie wenigstens in einem nationalen Register eintragen. Dies gilt übrigens auch für Hunde, die (nur) eine medizinische Behandlung benötigen.

Viel nachhaltiger als die Behandlung von Einzeltieren sind aber die oben erwähnten Leistungstests zur Zuchtzulassung, Anpassungen der Rassestandards oder Rückzüchtungen auf Hunde, bei denen es um Gesundheit und nicht um Aussehen oder Gefallen für den Menschen geht.

Zusammenfassend kann man sagen: Es braucht eine langfristige und nachhaltige Lösung, um wieder gesunde Hunde zu züchten und zu halten. Dafür sind eine gute Kommunikation und Zusammenarbeit aller Interessenvertreter (Tierhalter, Züchter, Tierärzte bzw. tierärztliche Organisationen, Universitäten, Tierschutz, Behörden, Politik, etc.) nötig.»

Ich glaube, Onkel Sepp hatte genug gehört, er sagte «Gut Ding will Weile haben» und ging schlafen – Marie und ich mussten schmunzeln, denn kurz später schnarchte er schon – wie ein kurzköpfiger Hund.

Themen
Haustierblog
Blog
Im Haustierblog schreiben Tierärzte über spannende medizinische Fälle, tierische Patienten und ihren Alltag in der Tierarztpraxis.
Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


3 Kommentare
  • Profilfoto von Hohler Erica
    Hohler Erica, 12.05.2023, 11:08 Uhr

    Das trifft sich gerade sehr gut. An diesem Tag, 9. Mai 2023 war ich mit meinem «kurzköpfigen» Hund Vito, franz. Bulldogge, zur Behandlung seiner Ohren wegen Ohrmilben / Parasiten zur Behandlung. Und ja, man wird schon sehr unfreundlich mit Vorurteilen (Vor-Urteilen im wahrsten Sinne des Wortes) empfangen. Wieder so eine mit ihrem Mode-Hündchen. Mein Hund ist aus einer guten Schweizer Zucht, 5 Jahre alt, ist freiatmend, er schnarcht nicht einmal, ja ja das gibt’s ! Es ist mein 3. Bully, alle aus Schweizer Zuchten, früher hatte ich einen Boxer. Ich habe einige Jahre Erfahrungen mit Molossern, es gibt weissgott viele gesunde Hunde. Das Elend diesen Modehunde wird im Ausland gemacht, mit Vermehrer-Hündinnen oder dann die gen-veränderten Modefarben blau, grau, crème und dann mit blauen Augen. Ja, da sollten Sie mal recherchieren. Diese Züchtungen sind vom Schweiz. Bulldoggen-Club nicht zugelassen. Ich wurde in der Ennetseeklinik gleich in den «Topf» geworden, alle Bulldoggen haben Allergien und können nicht frei atmen, dabei war ich wegen seinen verschmutzten Ohren mit Milben und Parasiten extra aus dem Tessin nach Hünenberg gefahren, weil ich bis anhin sehr gute Erfahrungen gemacht hatte in der Ennetseeklinik. Im Juli 2019 bin ich mit meinem vergifteten und fast kollabierten Hund in der Nacht durch den Gotthard gerast, und in Hünenberg wurde Vito gerettet. Ihr Artikel Herr Gerold ist sehr einseitig und wird dieser wunderbaren Hunderasse leider nicht gerecht. Mfg – Erica Hohler

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Roli Greter
    Roli Greter, 09.05.2023, 20:53 Uhr

    Zuchthunde sind ein Abbild der Gesellschaft; Optik vs. Gesundheit. Schön ist anders 😞

    👍1Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von M. Moser
    M. Moser, 09.05.2023, 16:17 Uhr

    Am besten wenn man einen Mops als Haushund halten möchte empfiehlt sich die Nachfrage nach der Zuchtlinie des sogenannten «altdeutschen Mopses». Diese Zuchtlinie hat das Ziel das die durch Zucht verkürzte Nase des Mopses wieder in eine anatomisch richtige Länge zu bringen. Wer also gerne einen Mops als Begleiter möchte der sollte sich einen altdeutschen Mops zulegen.

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon