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Vom Krieg auf Umwegen ins Hotel Schweizerhof

Zurück aus Napoleons Krieg in den Gasthof: Katharina Morel

Fotografie Katharina Peyer Morel, um 1850-1860 (Bild: Unbekannter Fotograf, Sammlung Museum Luzern)

Gerade 20 Jahre alt war Katharina Morel, als sie einen der grausamsten Feldzüge der Geschichte Europas überlebte. Nur wenige Jahre danach führte sie den renommierten Gasthof «Engel» Luzern, den Gasthof auf Rigi Kaltbad und war als Hausdame des Hotels Schweizerhof tätig. Ihr inspirierendes Leben war geprägt von Leid, Hoffnung und Mut.

An einem Frühlingsnachmittag des Jahres 1790 kam in Horw Katharina Morel, geboren als Katharina Kaufmann, auf die Welt. Schon in der frühen Jugend half sie im Gasthof ihres Vaters. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter verkaufte der Vater den Gasthof und gab Katharina an ihre Tante ab. Danach arbeitete sie in vielen verschiedenen Gasthöfen in der Stadt Luzern. Während ihrer Arbeit lernte sie den aus hohem Hause stammende Heinrich Peyer kennen.

Dieser war Amtsschreiber sowie Grossrat in Willisau und betrieb eine Sattlerei. Bereits mit 16 Jahren heiratete ihn Katharina zog mit ihm nach Willisau.

Der Krieg ruft

Währenddessen hatte in Frankreich Napoleon die Macht an sich gerissen und machte sich daran, ganz Europa einzunehmen. Es war eine Phase politischer Neuordnung, welche die Abtretung von 16'000 Schweizer Söldnern an die französische Armee im sogenannten «Söldnervertrag» einschloss. Obwohl der Dienst in Napoleons Armee gefürchtet war und die riesigen Verluste in den Schlachten bekannt waren, warb Heinrich bei der Armee an.

In Marseille stationiert und weit weg von seiner Ehefrau, fühlte er sich alleine. Schon nach wenigen Wochen schrieb er Briefe an Katharina, in denen er sie bat, ebenfalls nach Marseille zu kommen, um mit ihm zu leben. Mit Wehmut, aber zur Treue verpflichtet, verliess sie Luzern und folgte ihm in den Süden Frankreichs.

Die Wochen vor dem grossen Elend

1812, als Katharina erst 22 Jahre alt war, rief Napoleon die «Grande Armée» zusammen, um den grossen Russlandfeldzug anzutreten. Darunter auch vier Schweizer Regimente. Im zweiten dienten Katharina und Heinrich. Heinrich als Stabstrompeter, Katharina in der Küche. Immer wieder stiessen die Soldaten auf dem Feldzug auf regen Widerstand. Katharina beschreibt in einem Tagebucheintrag das Elend: «Das Geschrei der vielen Blessierten (Verletzten) machte mich wehmütig, ich wurde noch trauriger, als ich einen Toten sah, der Briefe neben sich liegen hatte.»

Katharina Morel überlebte Napoleons Russlandfeldzug.
Katharina Morel überlebte Napoleons Russlandfeldzug. (Bild: Adobe Stock)

Die Schreiben waren an seine Eltern und seine Geliebte gerichtet. Nach fünf Monaten war das Ziel, Moskau, immer noch 600 Kilometer entfernt, als ein grosser Teil des Regiments das Leben schon verloren hatte. Es wurde geplündert, geraubt und getötet. Je weiter das Heer zog, desto kälter wurde es und desto verheerender wurde die Situation auf den Schlachtfeldern. Katharina beschreibt die Grauen: «Das Brot ist grau ...», «das Wasser ist dick und riecht wie die Pest», «ich bin mager und schwarz geworden», «ja, jetzt weiss ich, was Krieg ist». Inmitten dieser üblen Kriegswirren versuchte sie zu helfen, wo sie konnte. Das Kämpfen war ihr als Frau verboten.

Je weiter sich das Heer Russland näherte, desto öfter fanden sie keinen Widerstand mehr, sondern niedergebrannte Dörfer, gerodete Wälder und zerstörte Felder vor. Die Russen überliessen dem eiskalten russischen Winter die Arbeit. Tausende erfroren, starben an Hunger und Krankheit.

Flucht als einziger Ausweg

Die Lage wurde immer aussichtsloser. Moskau noch immer hunderte Kilometer entfernt, mittlerweile von der Hauptarmee abgeschieden, entschlossen sich Katharina und Heinrich, mit einigen Überlenden zu flüchten. Die Russen hatten die Überhand errungen und begannen, das französische Heer zurückzudrängen. Die Flüchtenden wurden gejagt, getötet oder in Kriegsgefangenschaft genommen. Das erschöpfte Luzerner Ehepaar schleppte sich von Dorf zu Dorf. Wer nicht laufen konnte, wurde in Schlitten von den anderen Überlebenden getragen. «Täglich sterben 30 bis 40 Personen», schrieb Katharina während der Flucht.

Den Jahreswechsel 1812/1813 mussten die beiden in einem masslos überfüllten Spital verbringen. Die Beschwerden waren zu gross geworden. Im Spital, in dem eigentlich 50 Menschen behandelt wurden, verbrachten über 150 Menschen diesen Winter.

Mit allerletzten Kräften rafften sie sich noch einmal zusammen und flüchteten schliesslich weiter. Katharina verkaufte gar ihren Ehering an einen Händler, welcher sie zum nächsten Dorf bringen sollte. Auch ihre restlichen Habseligkeiten verkauften sie, um mit Kutschen, Schlitten oder zu Fuss in die Schweiz zu kommen. Erst im Frühling 1813 hatten sie schliesslich erstmals wieder Schweizer Boden unter den Füssen. An den Körpern hatten sie noch die gleichen Kleider, die sie in Polozk vor 5 Monaten angehabt hatten.

Eine kurze Rückkehr

Trotz des grossen Leides warb Heinrich schon sechs Monate später wieder beim Militär an und wurde dieses Mal in den Niederlanden stationiert. Das Ziel einer Karriere als Soldat überwog das erlebte Leid. Widerwillig folgte ihm Katharina. Trotzdem machte sie das Beste aus der Situation und eröffnete einen kleinen Gasthof, der ihr einigen Wohlstand einbrachte. Dennoch machte ihr das Leben ohne Zuhause zu schaffen und weil sich ihre Gesundheit während der vier Jahre in den Niederlanden zusehends verschlechterte, Katharinas Vater starb und Heinrich in der Armee nicht befördert wurde, kehrten die beiden 1818 wieder nach Luzern zurück.

Nur kurze Zeit nach der Rückkehr starb auch Katharinas Schwägerin und hinterliess eine junge Tochter. Katharina übernahm von diesem Augenblick an die Verantwortung für das Kind und zog es gross. Zeitgleich machte sie sich wieder daran, in der Gastronomiebranche Fuss zu fassen und begann in diversen Gasthöfen Luzerns zu arbeiten. Wo sie auch war, zeichnete sie sich stets durch ihre frohe Art, ihre Gastfreundlichkeit und ihre grossartige Küche aus.

Als 1823 der Besitzer des Gasthofs Engel an der Pfistergasse in der Luzerner Altstadt starb, wurde sie angefragt, diesen zu übernehmen. Sie sagte sofort zu. Nach der Übernahme entwickelte sich der Gasthof zu einem der beliebtesten Lokale für angesehene Politiker, Beamte und Räte, um wichtigen Anliegen der Politik oder Wirtschaft nachzugehen. Über 10 Jahre lang führte sie den Gasthof mit grossem Erfolg, bis in einer warmen Sommernacht im Jahr 1833 das grosse Feuer in der Altstadt ausbrach.

Heute erinnert das «Brandgässli» an das Feuer, das eine ganze Nacht tobte und in der Altstadt neben dem Gasthof auch zahlreiche andere Häuser niederbrannte. Der Neuaufbau war teuer und kostete viel Kraft. Dennoch arbeitete Katharina noch einige Jahre im «Engel», bevor 1837 ihr Ehemann Heinrich starb. Katharina war erst 47 Jahre alt. Sein Tod liess sie traurig und einsam zurück. Weil der Gasthof sie zu fest an ihn erinnerte, schloss sie diesen.

Stetiger Begleiter – der Tod

Nachdem die grosse Trauer überwunden war, heiratete sie zwei Jahre später den Luzerner Tuchhändler Josef Morel. Doch nach nur fünf Jahren Ehe starb auch ihr zweiter Ehemann. Mithilfe ihrer «Tochter» machte sie sich daran, alles zu verkaufen, was im Besitz Josefs und seines Geschäfts war. Danach beschloss sie, wieder in der Gastronomie zu arbeiten.

Ihrem hervorragenden Ruf verdankte sie es, dass sie schon nach kurzer Zeit wieder eine ansprechende Arbeit fand. Sie erhielt von einem Bekannten das Angebot, den ersten Gasthof auf der Rigi mit dem noch heute verwendeten Namen «Rigi Kaltbad» zu eröffnen. Unter ihrer Führung florierte der Gasthof. Doch wer die Geschichte Katharinas kennt, ahnt, dass nach erfolgreichen Geschäften das Leid nicht weit entfernt war. Nur drei Jahre nach der Übernahme, im Jahr 1846, brach im Gasthof auf der Rigi ein Feuer aus und brannte diesen komplett nieder. Darauf gab sie ihr Engagement in den Bergen auf.

Trotz des Brands und der erneuten Arbeitslosigkeit eilte ihr wiederum ihr hervorragender Ruf voraus. So wurde ihr von der Familie Segesser angeboten, die Hausdame des neu eröffneten Hotel Schweizerhof zu werden. Sie war massgeblich am grossen Erfolg des Hotels beteiligt und kümmerte sich um namhafte und mächtige Menschen wie König Leopold I. aus Belgien oder Königin Sophie aus den Niederlanden.

Dieses Haus an der Zinggentorstrasse 8 erhielt sie vom Hotel Schweizerhof für ihre langjährigen Dienste geschenkt.
Dieses Haus an der Zinggentorstrasse 8 erhielt Katharina Morel vom Hotel Schweizerhof für ihre langjährigen Dienste geschenkt. (Bild: Google Street View)

Nach elf Jahren im «Schweizerhof» verkauften die Besitzer das Hotel. Auch für Katharina sollte dies das Ende ihrer Anstellung bedeuten. Mittlerweile war Katharina 70 Jahre alt. Die Familie Segesser vermachten ihr ein wunderschönes Haus am See, in dem sie ihren Lebensabend geniessen sollte (heute Zinggentorstrasse 8, hinter dem Casino).

Ein ruhiger Lebensabend

Das Haus war mit elf Zimmern viel zu gross für die alleinstehende Frau. Doch auch mit dem Alter verliess ihr Geschäftssinn sie nicht. Die leeren Zimmer verwandelte sie in kleine Hotelzimmer und im Nu wurde aus dem Haus eine kleine Pension. Auch ihr letztes Projekt war von Erfolg gekrönt. In nur kurzer Zeit fand die kleine Pension grösste Beliebtheit bei den reichen Touristen.

Über zehn Jahre lang betrieb sie die Pension, in der sie auch lebte und in dem sie in ihren letzten Lebensjahren die wunderbare Aussicht genoss. 1876 starb sie schliesslich. Zahlreiche Zeitungen bekundeten grosses Beileid und zollten dem beachtlichen und turbulenten Leben Katharina Morels Tribut. Ihr Leichnam wurde in der Hofkirche beigesetzt.

In einer Zeit, in der Frauen kaum Rechte zugesprochen wurden und in der sie nur selten einen Platz im öffentlichen Diskurs fanden, verkörperte Katharina die Stärke der Frauen. Über drei Jahrzehnte hinweg trug sie als alleinstehende Frau massgeblich zur Entwicklung des Tourismus in Luzern bei und wurde so zur ersten Frau, die in der Galerie «Merkwürdige Luzerner» der Zentral- und Hochschulbibliothek porträtiert wurde. Ein Zeichen für ihren bedeutenden Beitrag für die Luzerner Kultur und ihr inspirierendes Leben.

Verwendete Quellen
  • Inge Sprenger-Viol, Katharina Morel: «Die Geschichte einer Luzernerin, die auszog, das Fürchten zu lernen», Stadt Luzern, (Hg.), Luzern im Wandel der Zeiten, Heft 2, 1987, Luzern.
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4 Kommentare
  • Profilfoto von Jacques Schiltknecht
    Jacques Schiltknecht, 27.08.2023, 21:17 Uhr

    Sehr gut recherchierter Artikel, eine spannende Lektüre! Vielen Dank dem «lebhaften Geschichtsstudenten» !
    Jacques Schiltknecht, Luzern

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  • Profilfoto von Christina Livas
    Christina Livas, 25.08.2023, 22:31 Uhr

    Sehr spannend zu lesen.

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  • Profilfoto von Mario
    Mario, 25.08.2023, 18:01 Uhr

    Das waren noch Lebensgeschichten! Mehr davon …

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  • Profilfoto von Armando
    Armando, 25.08.2023, 16:35 Uhr

    Super Bericht. Ganz offensichtlich gab es auch schon im 18. Jahrhundert erfolgreiche Frauen, trotz des allgegenwärtigen katholischen Patriarchats.

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