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Liberaler und beliebter Politiker

Der Luzerner Bundesrat, den fast niemand kennt

Josef Martin Knüsel war der erste Zentralschweizer Bundesrat. Der Luzerner setzte sich stark für den Bau der Gotthardbahn ein.

Vor über 150 Jahren sass Josef Martin Knüsel als erster Luzerner im Bundesrat. Obwohl er heute aus dem öffentlichen Geschichtsgedächtnis verschwunden ist, lohnt sich eine nähere Betrachtung seines Lebens. Während vieler krisengeprägter Jahrzehnte betrieb er eine souveräne Politik, hatte massgeblichen Anteil am Bau des Gotthardtunnels und genoss grosse Beliebtheit in der Zentralschweiz.

Der Historiker Alois Steiner verfasste 2015 ein Buch mit dem Titel «Der vergessene Luzerner Bundesrat». Darin beschreibt er das Leben, die Entscheidungen und den Werdegang des ersten Bundesrates aus der Zentralschweiz. Josef Martin Knüsels Geschichte beginnt in der Stadt Luzern, noch einige Jahrzehnte vor der Gründung des Schweizer Bundesstaats. Er wurde 1813 in Luzern geboren, wo er auch zur Schule ging. Für die wohlhabenden Eltern Josefs war es ein Anliegen, dass dieser eine schulische Ausbildung und ein Studium absolvierte. Nach der Schulzeit besuchte er also das Gymnasium und schon bald darauf begann er das Jusstudium.

Während es für andere in seinem Alter nur ein Traum war, seinen Geburtsort zu verlassen, um zu studieren, genoss Knüsel ein Studium an den beiden Universitäten Göttingen und Heidelberg. Nach erfolgreichem Abschluss kehrte er nach Luzern zurück und begann in seinen späten Zwanzigern seine berufliche Karriere als Oberschreiber und Kriminalrichter am Luzerner Gericht. Nach nur einem Jahr wurde er zum Staatsanwalt des Kantons Luzern gewählt und lebte während dieser Zeit in einem grosszügigen Anwesen im Felsberg, im Wesemlin.

Staatsanwalt während des Sonderbundeskrieges

Sein beruflicher Aufstieg drohte eine Pause einzulegen, denn der obligatorische Militärdienst erwartete ihn. Allerdings konnte er sich davon ganz einfach freikaufen. Aus heutiger Sicht lässt einen die Summe durchaus schmunzeln. 80 Franken verlangte Luzern, um der militärischen Pflicht zu entkommen. Heute entspräche dies etwa 2000 Franken. Über zehn Jahre amtete Knüsel schliesslich als Staatsanwalt in Luzern. Er sprach zahlreiche Urteile und wurde langsam auch in politischen Kreisen bekannt.

Gerade einmal 34 Jahre alt war Knüsel, als der Sonderbundskrieg die Schweiz erfasste und komplett umkrempelte. Die Schweiz wurde Zeuge des Kampfs zwischen den konservativen «Urkantonen» und dem Rest der Eidgenossenschaft. Das Bündnis der Konservativen hatte das Nachsehen und verlor den Krieg. Viele führende Köpfe sahen sich also vor Knüsel im Luzerner Gericht wieder. Der eher liberale Knüsel musste sich im jungen Alter beweisen und verurteilte in einem grossen Prozess acht katholische Pfarrer, welche man während des Krieges verhaftet hatte. Weiter setzte er sich aber dafür ein, dass die Geistlichen nicht en gros abgesetzt werden würden.

Der politische Aufstieg zum Bundesrat

Sein Wirken während dieser Krisenjahre beeindruckte einflussreiche Kreise und so wurde er noch im selben Jahr (1848) in den «Grossrath» Luzerns gewählt. Im weiteren Verlauf der «Friedensverhandlungen» trat er bestimmt gegen die Bestrafung der Konservativen auf und bemühte sich um eine friedliche Fortsetzung und Zusammenleben zwischen den Konservativen und Freisinnigen. Seine Politik fand in der Zentralschweiz grossen Gefallen und sorgte dafür, dass er 1852 in den Kantonalen Rat gewählt wurde. Auch dort machte er sich einen Namen und so wählte man ihn schon zwei Jahre später, 1855, in das eidgenössische Parlament.

Nach zwei Jahren im Nationalrat verstarb der damalige Bundesrat Josef Munzinger unerwartet. So kam es 1857 zu Neuwahlen. In dieser Wahl um den frei gewordenen Platz gab es zwei Favoriten. Jedoch war zunächst keiner davon Josef Martin Knüsel. Beste Aussichten hatte Kasimir Pfyffer, der ebenfalls Luzerner war. Er verpasste jedoch das absolute Mehr. Der zweite allfällige Kandidat war Johann Jakob Stehlin aus Basel. Dieser erreichte zwar das Mehr im zweiten Wahlgang, entschied sich aber dazu, das Amt abzulehnen, da er sich für zu wenig erfahren hielt.

So kam es zu einem dritten Wahlgang, wo nun plötzlich der ruhige und bestimmte Josef Martin Knüsel mit einer grossen Mehrheit in den Bundesrat gewählt wurde – der erste Luzerner Bundesrat. Menschenmassen strömten regelrecht vor sein Anwesen im Felsberg und veranstalten mit Siegesliedern und Tanzeinlagen ein grosses Fest. Ein Sprecher aus Luzern berichtete, dass nach den Feierlichkeiten aber auch die Trauer einsetzte. Mit Knüsel verliess ein wichtiger und langjähriger Luzerner Politiker die Zentralschweiz, der sich ein grosses Ansehen verschafft hatte und in der Bevölkerung grosse Beliebtheit genoss.

Die Eisenbahn erobert Europa

20 Jahre lang sollte Knüsel sein Amt als Bundesrat ausüben. Dabei hatte er zahlreiche schwierige Entscheidungen zu treffen und war für alle Departemente ausser dem Militär- und dem Postdepartement, mindestens einmal zuständig. Hervorheben lässt sich vor allem sein Wirken rund um den Bau der Gotthardbahn.

Im Eiltempo hatte die Erfindung der Eisenbahn im 19. Jahrhundert ganz Europa eingeholt und brachte die Moderne in die Schweiz. Natürlich hatte der Bundesrat eine essenzielle Stellung in den grossen politischen und wirtschaftlichen Fragen rund um Gleisbau in der Schweiz. Ab den 1850er- und 60er-Jahren wurde vor allem diskutiert, wo genau und aus welchen Gründen Gleise und somit Anschlüsse gebaut werden sollten.

Der Zug brachte riesige wirtschaftliche Vorteile mit sich und sorgte für ordentlichen Diskussionsstoff. Die Entscheidungen von damals wirken bis heute nach. In der Schweiz war es die Frage aller Fragen, wie und wo genau der Anschluss an Italien gebaut werden sollte. Zahlreiche interessante Vorschläge und Gesuche aus ganz Europa kamen in die Schweiz, denn die Tragweite einer Verbindung über die Alpen war von unschätzbarem Wert für ganz Europa.

Die Frage nach der Gotthardbahn

So standen Optionen wie die Route Splügenpass, die Route San Bernardino, via den Grimsel oder Lukmanier zur Debatte. Doch gab es eine kleine Mehrheit, die alle diese Optionen mit allen Mitteln verhindern wollten. Für die Zentral- und Nordschweizer war klar, dass es nur eine Lösung geben konnte: der Bau der Gotthardbahn. Nicht die Alternativen westlich und östlich des Gotthardpasses. Es gab also ein grosses Gewirr an Ideen, Vorschlägen, Bedürfnissen und Interessen. Natürlich hatte hier auch Josef Knüsel, zu dem Zeitpunkt zuständig für das Handels- und Zolldepartement im Bundesrat, einiges mitzuentscheiden. 1860 verfasste er eine Stellungnahme des Bundes, welche dessen Meinung repräsentieren sollte.

Die Schweiz stünde unter Zeitdruck, es gäbe bereits Pläne aus dem Ausland, die Schweiz ganz zu umfahren, sei es in Richtung Mont Cenis im Westen oder in Richtung Brennerpass im Osten. Dies wäre für die Schweizer Wirtschaft natürlich fatal, denn sowohl die Schweiz als auch Europa brauchten eine möglichst effiziente Verbindung von Genua nach Norddeutschland. Dies könne man mit einer ausgebauten Verbindung von Basel nach Mailand gewährleisten, da von Mailand bereits sehr gute Verbindungen nach Venedig und Genua bestanden. Auch sei es von essenzieller Bedeutung, einen möglichst nahen Anschluss an das kornreiche Norditalien zu gewährleisten – kurzum, die Gotthardbahn sei die Beste aller Lösungen.

Knüsels Anteil am Bau der Gotthardbahn

Diese Stellungnahme hatte wesentlichen Anteil daran, dass sich nach den jahrelangen politischen Debatten schliesslich die heute bekannte Variante durch den Gotthard durchsetzen konnte und der Anschluss an Italien durch die Zentralschweiz erfolgte. In der «Vereinigung zur Anstrebung der Gotthardbahn» waren 16 Kantone sowie die Schweizerische Centralbahn und die Nordostbahn vertreten. Auch mit Italien wurde schliesslich der Gotthardvertrag unterzeichnet, der die Anbindung der Schweizer und italienischer Züge gewährleisten sollte.

Der Luzerner Josef Knüsel hatte also massgeblichen Anteil daran, die Schweizer Politiker «ins Boot zu holen», hinter das Projekt zu bringen und alle Seiten in durchaus überzeugender Weise davon überzeugen, dass die 1882 fertiggestellte Gotthardbahn die beste Lösung sei. Nach der Vollendung des Baus amtete der Luzerner noch zwei weitere Jahre als Bundesrat, bevor er abtrat. Danach war er nochmal einige Jahre in der Regionalpolitik Luzerns tätig, ehe er schliesslich in den Ruhestand trat.

Verwendete Quellen
  • Alois Steiner, Josef Martin Knüsel, Der vergessene Luzerner Bundesrat, Gemeinnützige Gesellschaft der Stadt Luzern, Luzern, 2015.
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