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Internierung fremder Soldaten im Zweiten Weltkrieg

Privilegierte deutsche Offiziere im Hotel Gütsch

Das Hotel Gütsch diente im Zweiten Weltkrieg als Internierungslager. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Vor 75 Jahren war sie ein Dauerbrenner: die Internierung von insgesamt über 100'000 fremden Militärangehörigen in der Schweiz. Auch im Kanton Luzern wurden während des Zweiten Weltkrieges fremde Soldaten untergebracht. So zum Beispiel im Hotel Gütsch, wo im Frühling 1945 deutsche Offiziere interniert wurden.

Derzeit schreibe ich meine Masterarbeit und möchte diesen Anlass dazu nutzen, um meine Forschungsresultate, spannenden Entdeckungen und Zwischenergebnisse in einer neuen Themenreihe zu verpacken: die Internierung von fremden Militärpersonen in Luzern und Zug während des Zweiten Weltkrieges.

Ausländische Soldaten und Offiziere waren während der Jahre 1940 bis 1946 in grosser Zahl über die gesamte Schweiz verteilt interniert und prägten über diesen Zeitraum hinweg den Alltag der Schweizer Bevölkerung. Vieles davon ist heute in Vergessenheit geraten und droht in den Archiven in einen Märchenschlaf zu versinken. Dem möchte ich entgegenwirken und die Aufmerksamkeit auf einzelne Ortschaften und lokalhistorische Ereignisse lenken und den Leser zu eigenen Recherchen anleiten.

Den Grundstein für die Reihe legte der Beitrag über die Internierung der algerischen Soldaten im Dorf Triengen im Jahr 1940.

In diesem habe ich über die Ankunft, Einquartierung und Stimmung der französischen und algerischen Soldaten im Dorf geschrieben und dabei den grösseren Rahmen ausgeblendet: die Internierung von insgesamt 104'000 fremden Militärpersonen in der Schweiz zwischen 1939 und 1946.

Internierung

Mit der Internierung fremder Militärpersonen sind alle Militärangehörigen ausländischer Staaten gemeint, die ihren Weg zwischen 1939 und 1945 in die Schweiz fanden. Dazu gehörten erstens Militärangehörige, die freiwillig in die Schweiz übertraten, um der Kriegsgefangenschaft zu entgehen, zweitens entwichene Kriegsgefangene, die aus den Kriegsgefangenenlagern der Achsenmächte in die Schweiz flohen, drittens Deserteure kriegsführender Mächte und viertens Hospitalisierte, die in der Schweiz gepflegt wurden.

Anlässlich des Grossübertritts von über 40'000 französischen, polnischen und britischen Soldaten an der Schweizer Westgrenze Mitte Juni 1940 mussten die Schweizer Behörden handeln: Eiligst wurde eine neue Behörde ins Leben gerufen, das Eidgenössische Kommissariat für Internierung und Hospitalisierung (EKIH).

Während der nächsten fünfeinhalb Jahre war das EKIH die zentrale Anlaufstelle für alles, was die fremden Militärpersonen in der Schweiz betraf: deren Status, Unterkunft, Arbeitsbeschaffung, Hospitalisierung, Bestrafung und letztlich auch deren Heimschaffung. Ende 1941 wurde die Organisation des Kommissariats erneut geändert: Die Stadt und der Kanton Luzern wurden Teil des Interniertenabschnittes Reuss, mit Kommandoposten in Küssnacht am Rigi.

Luzern im Zentrum globaler Ereignisse

Dabei war Luzern häufig ein Ort, an dem Fremdes und Exotisches auf Einheimisches traf, globale Ereignisse auf lokale. Zwei Beispiele dafür sind der Ausbruch des deutsch-französischen Krieges 1870, der die Eröffnung des «Hotel National» beeinträchtigte (zentralplus berichtete) oder der Zionistenkongress, der 1935 in Luzern stattfand (zentralplus berichtete). Luzern war häufig Zentrum solcher weltgeschichtlicher Verknüpfungen, das gilt auch für das Internierungswesen im Zweiten Weltkrieg.

Der Zusammenbruch des Dritten Reichs im Frühjahr 1945 hatte nämlich direkte Auswirkungen auf die Stadt Luzern: Ab April 1945 wurden in der Stadt Wehrmachtsangehörige an einem Ort interniert, den wir heute keineswegs mehr damit verbinden: dem Hotel Château Gütsch.

Offiziere in Hotels waren keine Seltenheit

Dass fremde Militärpersonen in Hotels interniert waren, war in der Schweiz im Zweiten Weltkrieg keineswegs eine Seltenheit. Es gab zum Beispiel Hotellager in Davos und Adelboden oder ab Ende 1944 ein Straflager für US-Offiziere in Les Diablerets.

Dies ist auf zwei Gründe zurückzuführen: Einerseits waren Offiziere gemäss internationalem Recht als Internierte und Kriegsgefangene besser zu behandeln als reguläre Soldaten oder Unteroffiziere und genossen daher einige Vorzüge. Beispielsweise durften die Offiziere gemäss dem Haager Abkommen von 1907 nicht zur Arbeit verpflichtet werden. Ausserdem sollten die Offiziere von den niedrigeren Dienstgraden getrennt interniert werden.

Andererseits standen die Berghotels sowieso leer und blieben ungenutzt, da der Schweizer Tourismus während den Kriegsjahren fast vollständig zum Erliegen kam.

Wehrmachtsangehörige im Hotel Gütsch

So kam es, dass ab April 1945 deutsche Offiziere durch Luzern zogen und im Hotel Gütsch einquartiert wurden. Das Gütsch war aber kein normales Internierten- oder Arbeitslager, sondern ein Auffang- und Quarantänelager.

Üblicherweise kamen fremde Militärangehörige direkt nach ihrer Ankunft in der Schweiz in ein Sammellager und wurden danach in ein Quarantänelager transferiert, wo sie jeweils für ungefähr zwei Wochen blieben. Das Ziel eines Quarantänelagers war es, die Verbreitung von Krankheiten einzudämmen und den Behörden Zeit zu verschaffen, um den Transfer in reguläre Interniertenlager zu organisieren. Offenbar nahm also das Gütsch im Frühling 1945 die doppelte Funktion eines Auffang- und eines Quarantänelagers ein.

Am 25. April befahlen die eidgenössischen Kommissare, das «Gütsch» zum Interniertenlager für deutsche Offiziere umzufunktionieren. Zeit für die Vorbereitung blieb kaum, denn schon am 29. April kamen die ersten Deutschen in drei Etappen in Luzern an. Daher musste bei der Ankunft noch vieles improvisiert werden, in den ersten Nächten fehlten sogar die Decken.

Die «ruhige», aber «neugierige» Luzerner Bevölkerung

Wie reagierte die Luzerner Bevölkerung auf die Ankunft der Wehrmachtsangehörigen? Der Monatsbericht des Lagerkommandanten Oberleutnant Berger vom 31.5.1945 ist die wichtigste Quelle, die ich im Bundesarchiv in Bern zum «Gütsch» finden konnte.

Berger hält fest, dass sich die Bevölkerung beim Durchmarsch der Deutschen ruhig verhalten habe, aber «wie immer ‹neugierig›» gewesen sei. Es sei hier nochmals erwähnt, dass fremde Militärpersonen mittlerweile fast zum Alltag gehörten, dass es aber dennoch ungewöhnlich war, deutsche, geschlagene Soldaten zu sehen.

Bislang waren die Luzerner meist alliierten Soldaten begegnet, vor allem Franzosen, Polen, Briten und US-Amerikanern, aber kaum Angehörigen der Achsenmächte (wenn man von den 1943 in die Schweiz übergetretenen Italienern absieht). Mehr über den Kontakt mit den Schweizern ist im Bericht leider nicht vermerkt.

Zustand, Stimmung und Heterogenität der internierten Offiziere

Wie kann man sich die körperliche und seelische Verfassung der Wehrmachtsangehörigen vorstellen? Der Bericht des Lagerkommandanten hält fest: «Mit Ausnahme einer Verwundung kamen sämtliche Offiziere in körperlich ziemlich gutem Zustande an, waren aber durch die militärpolitischen Ereignisse seelisch stark mitgenommen.»

Was Berger damit meint, ist der Zusammenbruch des Dritten Reichs und das nahende Kriegsende Ende April 1945. Die Wehrmachtsangehörigen hörten also im Ausland durch die Schweizer Presse erst vom Tod Hitlers am 30. April 1945 und dann von der bedingungslosen Kapitulation des Dritten Reichs.

Hitlers Tod als «gerechte Erlösung»

Wie die einzelnen Offiziere auf diese Ereignisse reagiert haben, ist schwer zu rekonstruieren. Zwar hätten «die Ereignisse in den Konzentrationslagern […] die Internierten ausnahmslos äusserst entrüstet, sodass der Tod Hitlers von den allermeisten direkt als eine gerechte Erlösung empfunden wurde.» Wie «ausnahmslos» die Internierten froh über das Kriegsende waren, ist aber schwierig zu sagen.

Schwierig auch deshalb, weil die Internierten keineswegs eine homogene Gruppe bildeten. Erstens waren zwei Kategorien von fremden Militärpersonen im Hotel Gütsch interniert: Einerseits die Internierten, welche in die Schweiz flohen, um sich einer alliierten Kriegsgefangenschaft zu entziehen und andererseits die Deserteure.

Zweitens sollte zwischen Deutschen aus dem «Alt-Reich» und Österreichern unterschieden werden. Und drittens spielte auch die politische und ideologische Gesinnung eines Einzelnen eine Rolle: Es gab Personen, die «die Kriegsschuld Deutschlands eindeutig anerkennen und solche, die dies nicht kompromisslos tun».

Worin sich aber alle Internierten laut der Quelle einig gewesen seien, war die «Anerkennung der guten Dienste der Schweiz.»

Interniertenzahlen im Lager Gütsch

Wie aus der folgenden Darstellung in der kurzen Zeitspanne vom Mai und Juni 1945 ersichtlich ist, schwankte die Zahl der Internierten im Lager stark. Das liegt daran, dass das Lager Gütsch als Quarantänelager konzipiert war und die Aufenthaltsdauer im Hotel deshalb entsprechend kurz war.

Am 12. Mai erreichte das Lager seinen Höchstbestand von total 112 internierten Personen. Die starke Verringerung des Bestandes auf knapp die Hälfte (gesamthaft 54 Personen) am 18. Mai, ist wohl auf die Verschiebung der Offiziere in ein reguläres Internierungslager, wie zum Beispiel Weesen im Kanton St. Gallen, zurückzuführen. Am 8. Juni wurden, abgesehen von einer Person, die restlichen Wehrmachtsoffiziere aus dem Gütsch in ein anderes Lager versetzt.

Anzahl Internierter im Quarantänelager Gütsch. (Bild: Philippe Bucher).

Obwohl das Gütsch als Offizierslager gedacht war, fällt auf, dass über den gesamten Zeitraum auch einige Unteroffiziere, Soldaten und sogar konstant drei Zivilpersonen interniert wurden. Bei diesen handelte es sich laut dem Lager-Bestand um eine Frau und zwei Kinder deutscher Nationalität.

Leider sind die Lagerbestände nur für diesen kurzen Zeitraum verfügbar, weitere Quellen waren nicht auffindbar. Daher ist mir nicht bekannt, wie viele Personen am 29. April im Lager Gütsch eintrafen und wann die letzten Internierten das Lager Gütsch verliessen.

Matratzen und andere Privilegien

Anders als Soldaten und Unteroffiziere, die normalerweise in Barackenlagern auf Strohpritschen schlafen mussten, wurden die Wehrmachtsangehörigen im Gütsch in 2er- oder 3er-Zimmer mit Betten einquartiert.

Trotzdem kann man sich kaum vorzustellen, dass im Château Gütsch der Schlafsaal voll belegt war und aus Platzgründen auch in den angrenzenden Korridoren Matratzen ausgelegt wurden. Das Platzproblem wurde dadurch gelöst, dass im Mai ein Offizierslager in Weesen im Kanton St. Gallen errichtet wurde.

Weitere Privilegien, die die Internierten genossen, waren diverse Unterhaltungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel Zeitungen und Bücher aus der Bibliothek, Kartenspiele, ein Radioapparat, Vorträge und als Highlight: ein Tagesausflug auf die Fräkmüntegg.

Lager als temporäre Zweckeinrichtungen

Das Quarantänelager Gütsch war, wie viele andere Lager (abgesehen von den Straf- und Spitallagern), ein kurzlebiges Lager mit einem temporären Zweck. Nach Erfüllung seiner Aufgabe und der Repatriierung eines Grossteils der fremden Militärpersonen in ihre jeweiligen Heimatländer im Herbst 1945 wurde das Lager Gütsch aufgelöst.

Zur befristeten Funktion des Lagers gibt es aber noch einen weiteren Hinweis: Das Lager Gütsch wurde offenbar mehrmals während dem Zweiten Weltkrieg als Internierungslager genutzt und wieder aufgelöst, wie ein Befehl vom 10. Oktober 1944 zur Aufhebung des Quarantänelagers Gütsch zeigt.

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