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Afrikanische Soldaten im Kanton Luzern

Als die Weltgeschichte auf ein kleines Luzerner Dorf traf

Ankunft algerischer Spahis in Triengen Juni 1940. (Bild: Privatarchiv von Manuel Menrath, Luzern)

Im Sommer 1940 wurden fast 500 französische Armeeangehörige im luzernischen Triengen interniert. Darunter befand sich eine kleine Gruppe algerischer Soldaten, die Spahis. Ein Luzerner Gemeinderat wandte sich deswegen gar an General Guisan. Eine Geschichte von Exoten, Verboten und Freundschaften.

Wer waren die Spahis? Der Begriff «Spahi» oder «Sipâhi» geht zurück auf das osmanische Reich im 14. Jahrhundert und bedeutet Reiter der Kavallerie. In Algerien wurden die als entschlossene und brutale Kämpfer bekannten Reiter zur persönlichen Garde des Deys, des algerischen Herrschers. Nach der französischen Invasion Algeriens im Jahr 1830 und der Kapitulation des Deys wurden die nun arbeitslosen Spahis als Kavalleriekorps in die französische Armee eingegliedert. Später wurden Sie in Kavallerieregimenter reorganisiert.

Von der Gründung 1834 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs waren die Spahis an zahlreichen Kriegsschauplätzen anzutreffen, auch in Europa. Nebst dem Krimkrieg 1854 und dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 wurden Sie auch im Ersten Weltkrieg 1914/18 eingesetzt.

Der Weg nach Triengen

Der unmittelbare Grund für die Internierung der Spahis in der Schweiz war der Beginn des deutschen Westfeldzugs im Mai 1940. Das 45. Französische Armeekorps, inklusive zwei Spahi-Regimenter, war in der Nähe der Schweizer Grenze im Jura stationiert. Nach der Kapitulation der Hauptstadt Paris am 14. Juni stiess die Wehrmacht gegen Osten vor und schnitt den bedrängten französischen Truppen in der Nähe der Schweiz den Weg ab.

Um der deutschen Kriegsgefangenschaft zu entgehen, entschlossen sich die französischen Generäle zum Übertritt und zur Internierung in der Schweiz. Nach einer Odyssee des Rückzugs kamen am 19. und 20. Juni insgesamt 43'000 französische und polnische Soldaten in die Schweiz, darunter rund 1'100 «algerische» Soldaten des 2. und des 7. Spahi-Regiments. Wobei zu erwähnen ist, dass nicht alle Spahis aus Algerien kamen, sondern auch in Frankreich geborene Männer ihren Militärdienst bei den Spahis absolvierten.

Die Schweizer Behörden waren auf diese Situation gänzlich unvorbereitet und wurden von der Masse von Soldaten buchstäblich überrollt. Überall musste improvisiert werden. Zu berücksichtigen waren auch neutralitätspolitische Überlegungen: Die französischen Soldaten seien keine «Feriengäste», sondern als Internierte einer fremden Armee zu behandeln. Wichtigstes Element aus Sicht der Schweizer Armee war deshalb die Abschottung der Militär-Internierten von der Zivilbevölkerung. Wie wir später sehen werden, scheiterte dieser Versuch der Trennung in Triengen kläglich.

Am 24. Juni trafen die Spahis des 2. Spahi-Regiments mit weiteren französischen Truppen dann in Triengen im Kanton Luzern ein.

Die Ankunft: Die Spahis als «Hauptattraktion»

«Morgens um halb vier kommen von Sursee hergelaufen 470 Mann […]. Unter der Mannschaft befanden sich ein grosses Kontingent Spahis mit ihren malerischen Mänteln, ein Chinese aus Indochina, vier Neger, weitere Truppen aus verschiedenen Kolonien. In der Hauptsache waren es aber Franzosen aus dem Mutterlande.» So beschrieb der Dorfpfarrer Franz Holzmann die Ankunft der französischen Militär-Internierten unter Begleitung von Schweizer Soldaten.

Im kollektiven Gedächtnis blieben aber nicht Letztere haften, sondern einzig und allein die kleine Minderheit der Spahis. Es ist anzunehmen, dass die überwiegende Mehrheit der Trienger noch nie Menschen mit dunkler Hautfarbe gesehen hatte. Rudimentäre Kenntnisse über «den Farbigen» hatte man nur vom Hörensagen, Fotografien, Illustrationen oder Gemälden. Deshalb prägten sich die exotische Uniform und das Aussehen der Spahis stärker im Gedächtnis der Einwohner ein als die restlichen französischen Soldaten. Die Ankunft der Spahis löste also eine Mischung aus Neugier, Freude und Angst bei den Dorfbewohnern aus.

Dorf wurde zum Interniertenlager

Der Effekt verstärkte sich umso mehr, als das gesamte Dorf Triengen zum Interniertenlager umfunktioniert wurde (zwar ohne Zaun) und die Spahis Triengen nicht verlassen konnten. Während ihres gesamten Aufenthalts prägten sie deshalb das Dorfbild, denn sie brachten Abwechslung in diese sonst eher ereignisarme Zeit in Triengen. Oder anders gesagt: «Triengen war direkt von den weltpolitischen Auseinandersetzungen und den daraus resultierenden Auswirkungen betroffen.»

Neugier, Mitleid, Sympathie für den «Feind meines Feindes», Exotik und eventuell erotische Anziehung als Kompensation für die abwesenden männlichen Dorfbewohner verdrängten bald die anfänglich skeptische Zurückhaltung der Trienger.

Hilfeleistungen erlaubt, sonstige Kontakte streng verboten

Zu Beginn bestanden noch keine konkreten Verhaltensregeln für den Kontakt zwischen den Dorfbewohnern und den Internierten. Dies sollte sich am 16. Juli mit einem Rundschreiben an die Bevölkerung ändern: Der Zivilbevölkerung wurde unter anderem verboten, mit den Internierten zu verkehren, ihnen Alkohol und Zivilkleider zu geben, ihre Lokale zu betreten oder ihnen ein Nachtlager zu gewähren.

Die katholische Kirche hatte bereits kurz nach der Ankunft der französischen Soldaten Warnungen zur Verhaltensweise ihnen gegenüber herausgegeben. Die Internierten seien eine «potenzielle Gefahr für das moralische Wohl der Gemeinde.» Erklärungen für diese Warnung sind weniger in der latenten «Türkenangst» und der Annahme, Muslime seien Ungläubige, zu finden, sondern in der moralischen und sozialen Stellung des Dorfpfarrers und seinen erzieherischen Pflichten.

Auch der Gemeinderat untersagte den Kontakt mit den Spahis: «Die Bevölkerung wird dringend ersucht, im Verkehr mit den internierten Truppen den notwendigen Abstand zu wahren.»

Keine Einwände aber gab es gegen eine Hilfsaktion des gemeinnützigen Frauenvereins, der verschiedene Dinge wie Seife, Kleider oder Schreibutensilien für die internierten Soldaten sammelte. Denn solche Aktionen entsprachen dem schweizerischen Selbstverständnis als humanitäre Nation. Andere Arten von Kontakt hingegen seien zu unterbinden, um eine «Verrohung der Sitten» zu verhindern.

Die Realität: Faszination des Fremden

Waren die Warnungen und Vorschriften effektiv? Wohl kaum, denn erste Kontakte zwischen den Internierten und den Dorfbewohnern waren bereits vor den Warnungen der katholischen Kirche und des Gemeinderates am 3. Juli 1940 geknüpft worden. Viele Trienger konnten Französisch oder hofften, ihre Sprachkenntnisse durch die Anwesenheit der französischen Soldaten verbessern zu können. Generell war die Faszination des «Fremden» einfach zu stark, um sich an die auferlegten Regeln zu halten.

Die Trienger hatten also weder Berührungsängste noch Furcht und setzten sich ohne grosse Konsequenzen zu befürchten über die Vorschriften der Armee hinweg. Manuel Menrath nennt dies eine «Divergenz zwischen Rechtsnorm und Rechtspraxis.»

Stimmung wie auf dem Jahrmarkt

Die Faszination des Fremden zeigt sich auch an der Tatsache, dass eine regelrechte «Völkerwanderung» nach Triengen stattfand, um die afrikanischen Soldaten zu sehen. Die Stimmung sei wie auf einem Jahrmarkt gewesen. Versuche der Schweizer Armee, die Internierten von der Zivilbevölkerung abzuschirmen, blieben erfolglos.

Widerstand gegen die harschen Regeln regte sich auch auf der Ebene der Gemeindepolitik: Gemeinderat Fischer verfasste sogar ein Schreiben an General Henri Guisan, worin er sich über das Verhalten der Schweizer Wachmannschaft und die strengen Regeln im Umgang mit den Internierten beschwerte.

Alltag für die Spahis in Triengen

Für die Internierten selbst konnte der Kontrast zwischen Krieg und Internierung kaum grösser sein. Der Alltag war geprägt von Langeweile und Heimweh. Oft kamen auch Schuldgefühle, Enttäuschung und Wut auf die französische Regierung hinzu.

Willkommene Abwechslungen waren deshalb das Gespräch mit der Bevölkerung und der Besuch der Dorfläden, wo die Soldaten ihren Sold ausgeben konnten. Gelegentlich durften sie auch auf Bauernhöfen oder in ihren erlernten Berufen kleinere Arbeiten verrichten, aber nur solange keine arbeitssuchenden Schweizer benachteiligt wurden.

Trotz allem: Freundschaften zwischen den internierten Spahis und Einwohnern von Triengen blieben keine Seltenheit. Nach der Abreise der Spahis wurden nicht nur Briefwechsel aufrechterhalten, sondern es fanden nach Kriegsende auch einige gegenseitige Besuche in Frankreich und der Schweiz statt.

Abreise aus dem «Paradies»

Die Zeit in Triengen war für die Spahis kurz: Im Oktober wurden die Truppen des 2. Regiments nach 105 Tagen Internierung zunächst nach Molondin im Kanton Waadt verschoben und im Januar 1941 kehrten sie in ihre Heimat zurück. Mit der Abreise der restlichen Internierten aus Triengen im selben Monat ging eine ereignisreiche Zeit für die Einwohner Triengens zu Ende und damit auch ein Stück Weltgeschichte. Aber sie eröffnete den Triengern auch neue Horizonte und gewährte ihnen Einblicke in eine gänzlich unbekannte Kultur.

Hinweis: Dieser Beitrag basiert auf dem 2010 bei Orell Füssli erschienen Werk «Exotische Soldaten und ehrbahre Töchter» Triengen 1940 – Afrikanische Spahis in der Schweiz von Manuel Menrath, der als Lehr- und Forschungsbeauftragter am Historischen Seminar an der Universität Luzern arbeitet.

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