Corona-Tagebuch
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Kochen via Internet in der Luzerner Jazzkantine

Mein Corona-Tagebuch: Heute Mario Waldispühl und Sylvan Müller

Die letzte Teamsitzung fand unter den Vorgaben des Social Distancing statt. (Bild: Bild: zvg)

Liebes Corona Tagebuch,

Was für eine Zeit… Am 15. März konnten wir den ersten Geburtstag der neuen, unserer Jazzkantine feiern. Dass wir für diesen Sonntagnachmittag auch unsere regelmässige Teamsitzung angesetzt hatten, war ein reiner Zufall.

Es war uns aber nicht wirklich nach feiern zumute.

Ein paar Tage zuvor wurden vom Bund die Bedingungen zum Betrieb von Gaststätten verschärft, wir konnten nur noch einen Teil der Tische besetzen. Und im Keller, wo Konzerte stattfinden, durften wir schon seit einiger Zeit nur noch in reduziertem Masse veranstalten.

So nutzten wir die Zusammenkunft, um gemeinsam ein paar Gläser Wein zu geniessen, und das Personal über die wohl bevorstehende, temporäre Schliessung zu informieren, und das mögliche weitere Vorgehen zu diskutieren. Es sollte unsere letzte gemeinsame Zusammenkunft sein.

Von der Fasnachts-Party zur Lokal-Schliessung

Sowieso ging alles ging sehr schnell. Im Februar waren wir noch mitten in der Fasnacht, es war die Hölle los in der Altstadt, in und um die Jazzkantine. Dann die ersten Anzeichen von Corona-Infektionen, und auch bei uns im Restaurant die ersten Absagen von geplanten Anlässen und Banketten.

Künstler sistierten ihre Konzerte. Bald blieben auch die ersten regulären Gäste lieber zu Hause, als in einer Beiz den Abend zu verbringen. Und dann, einen Tag nach unserer Teamsitzung dann der Beschluss des Bundes: Restaurants haben ab sofort geschlossen zu bleiben.

Da unsere Küche viel zu klein ist, social distancing also unmöglich, war für uns auch schnell klar, dass wir auch keinen Take-Away Betrieb aufnehmen würden. Also sollten alle unsere Mitarbeiter ab sofort zu Hause bleiben.

Leere Tische in der Jazzkantine. (Bild: zvg) (Bild: zvg)

Da wir jeden Tag frisch kochen, blieben auch nicht wirklich viele Resten im Kühler; die zwei, drei Kisten mit Ware, verteilten wir unter Freunden und dem Personal.

Fit bleiben für die Post-Corona-Ära

Und seither beschäftigen wir uns also mit Dingen, die wir schon immer erledigen wollten: Planen unsere neue Terrasse für den kommenden Sommer, die Tische werden geölt, es wird an neuen Rezepten herumgefeilt und unser Küchenchef Marcel macht Glas um Glas mit leckeren Dingen ein.

Eine Aufgabe aber, die liegt uns besonders am Herzen: Für unsere wunderbaren Lieferanten da zu sein, gerade und im Besonderen jetzt, und ihre Vertriebsnetze aufrecht zu erhalten. Ihre Produkte zu kommunizieren.

Wir treffen uns von Zeit zu Zeit in der Jazzkantine, fotografieren ein paar Gerichte und schicken die Bilder mit den Rezepten zu unseren Gästen nach Hause. Natürlich mit den Bezugsmöglichkeiten der Produkte unserer liebsten Produzenten.

So versuchen wir unsere Gäste zu motivieren, auf diese Weise die Jazzkantine nach Hause zu holen, nach dem Motto: Jetzt müsst ihr selber kochen, aber gscheit!

In der Jazzkantine gekocht – zu Hause serviert. (Bidl: zvg)

Einblick in Alltag der Teamkollegen

Was ganz wunderbar ist: Dank unserem Team-Chat bekommen wir einen ganz ungewohnten privaten Einblick in den Corona-Alltag unserer Arbeits-Gschpändli: Wie zu Hause die Haare geschnitten werden, gestrickt wird, wir beobachten innige Beziehungen zu Staubsaugerroboter, es wird Musik gemacht und aus Distanz und trotzdem gemeinsam Geburtstag gefeiert und vor allem:

Es wird wie wild gekocht. Wir freuen uns jeden Tag, wie obsessiv alle im Team dem Kulinarischen verfallen sind. Eine verfressene Truppe ist die beste Voraussetzung für eine Beiz!

Brotexperimente

Bei uns in der Jazzkantine spielt das eigene Sauerteigbrot eine wichtige Rolle. Es ist nicht nur Begleitung und sogar Bestandteil vieler Gerichte, es kann von unseren Gästen auch jeden Tag gekauft und mit nach Hause genommen werden.

Im Corona Home-Office experimentieren wir nun auch an neuen Brotsorten. Nachdem wir die ersten Resultate im Team-Chat veröffentlicht haben, hat das viele motiviert, das Jazzkantine-Brot selber und zu Hause zu backen.

Gestern haben sich einige von uns zu einem kurzen, konspirativen Treffen vor der Jazzkantine eingefunden – natürlich mit gebührendem Abstand – und alle Interessierten haben sich ein Glas mit der Sauerteigkultur abgeholt. Ab heute findet das Back-Coaching via Whats-App statt, …

Das Back-Coaching des Teams findet neuerdings via Whats-App statt, die Rezepte werden online gepostet. (Bild: zvg) (Bild: zvg)

Das Buchprojekt verschieben und einen Kaffee trinken

Wir beide, Mario und ich, arbeiten ja nicht ausschliesslich in der Jazzkantine. Mario betreibt mit seiner Partnerin eine Kaffeerösterei in Horw (zentralplus berichtete), ich arbeite nach wie vor als Fotograf und Autor. Die Rösterei läuft auf Hochtouren, die Menschen haben genügend Zeit um Kaffee zu geniessen, und Mario und Mira verkaufen die frisch gerösteten Bohnen direkt ab «Hof».

Bei mir sieht es etwas anders aus. Kommerzielle Aufträge sind komplett zum Stillstand gekommen, niemand will sich mehr in Studios treffen, gelegentlich finden Sitzungen per Videokonferenz statt. Etwas, das hoffentlich als Konsequenz der Corona-Pandemie vermehrt Einzug halten wird in meinen Berufsalltag:

Keine Fahrten, keine Reisen, keine Flüge zu Sitzungen, sondern ganz bequem von zu Hause aus alles gemeinsam diskutieren. Ausserdem wäre ich in den nächsten Wochen im europäischen Alpenraum unterwegs gewesen für ein Projekt mit meinem Buchpartner Dominik Flammer.

Die Tage nehmen wie sie kommen...

Es soll ein weiterer Band zum kulinarischen Erbe der Alpen entstehen, Honig ist das Thema, und ich besuche Imker von Südfrankreich bis Slowenien. Meine erste Reise hätte mich in diesen Tagen in die Hügel nördlich von Genua geführt, da blüht momentan die Baumheide.

Natürlich kann ich diese und weitere anstehende Reisen zurzeit nicht unternehmen. Wir haben das Erscheinen des Buches in Absprache mit dem Verlag um ein Jahr verschoben.

Zum Glück habe ich mir noch genügend Kartonschachteln besorgen können, es bleibt mir nun etwas Zeit, um meinen bevorstehenden Umzug vorzubereiten. Und es bleibt mir viel Zeit für unsere Hündin.

Sie mag Menschen nicht sonderlich und liebt darum Corona: Das Rudel ist immer zusammen und keine Leute sind in der Stadt!

...und vorwärtsblicken

So nehmen wir die Tage wie sie kommen, kochen, essen und belästigen uns im Personal-Chat gegenseitig mit unseren kulinarischen Experimenten. Um dann rund, gesund und motiviert – und möglichst bald wieder – für unsere Gäste da sein zu dürfen. Wir können es kaum erwarten.

Sylvan Müller und Mario Waldispühl in der Jazzkantine. (Bild: zvg)

Zum vorherigen Eintrag: Markus Kragler

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Im Corona-Tagebuch erzählen Zentralschweizer, wie sie den Shutdown erleben, welche Auswirkungen dieser auf ihr Privatleben und ihren Beruf haben und wie sie persönlich damit umgehen.
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