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Krise half beim Rauchstopp – neben geplatztem Blinddarm

Mein Corona-Tagebuch: Heute Simone Ulrich

Das Feuerzeug von Simone Ulrich kommt nun kaum mehr zum Zuge. (Bild: zvg)

Liebes Corona-Tagebuch, Mit dem Rauchen aufhören wollte ich ja schon lange und spätestens, seit ich in der Suchtprävention arbeite. Dass dafür eine globale Krise vonnöten sein würde, hätte ich allerdings nicht gedacht. Womöglich lag mein Erfolg auch am geplatzten Blinddarm? Aber beginnen wir von vorne.  Mittwochabend, 18. März. Nach den ersten zwei Tagen Homeoffice schmerzt […]

Liebes Corona-Tagebuch,

Mit dem Rauchen aufhören wollte ich ja schon lange und spätestens, seit ich in der Suchtprävention arbeite. Dass dafür eine globale Krise vonnöten sein würde, hätte ich allerdings nicht gedacht. Womöglich lag mein Erfolg auch am geplatzten Blinddarm?

Aber beginnen wir von vorne. 

Mittwochabend, 18. März. Nach den ersten zwei Tagen Homeoffice schmerzt mein Bauch. «Wird schon wieder weggehen», denke ich mir. «Das Gesundheitssystem hat grad Besseres zu tun.»

Freitag früh, 20. März. Die Notfallnummer verbindet mich mit dem Spital. «Magen-Darm-Grippe», vermutet die Ärztin und empfiehlt Schmerztabletten. «Wenn es nicht besser wird, kommen Sie vorbei.» Es wird besser. Temporär.

Sie hätte früher drücken müssen: Aus Rücksicht auf das Gesundheitssystem ging Simone Ulrich erst ins Spital, als ihr Blinddarm schon geplatzt war. (Bild: zvg)

Sonntag früh, 22. März. «Ich schaffe es erst am Nachmittag zu Ihnen», sagt der Notarzt, als die Schmerzen wieder schlimmer werden. Sein Tag ist vollgepackt mit Corona-Einsätzen. Als ich um 17 Uhr nochmals anrufe, wird es «frühestens 23 Uhr». Ich winke ab, zugunsten seines Feierabends. «Dann gehe ich morgen zur Hausärztin.»

Montagmittag, 23. März. Ihr Befund überrascht mich. «Sie müssen ins Spital. Jetzt sofort!» Meine Entzündungswerte lassen keinen Zweifel daran: Anstelle der üblichen 5 liegen sie bei 135.

Montagabend, 23. März. Ein CT bringt ans Licht, was schwer zu diagnostizieren ist: Ein geplatzter Blinddarm, der schnelles Handeln erfordert. «Lebensbedrohlich» sei der Abszess, der sich in meinem Bauchraum bildet. «In einer Stunde werden Sie operiert», teilt mir die Oberärztin mit.

Persönliche Wertsachen wurden am Eingang ab- und vom Zivilschützler übergeben. So auch das heiligste Gut im Vierbettzimmer: Augenbinden. (Bild: zvg)

Montagmitternacht, 23. März. Ich erwache aus der Narkose. «Alles ist gut. Sie werden wieder gesund», versichert die Pflegerin. Ich weine vor Dankbarkeit (und Groggyness). Schlagartig wird mir bewusst: Weil ich mich nicht für wichtig nahm, hätte ich jetzt auch tot sein können. 

Dienstagmittag, 24. März. Im Spital herrscht Besuchsverbot. Ein Zivilschützler bringt den Rucksack, den mein Partner am Eingang abgegeben hat. Neben Zahnbürste und Unterhosen hat er auch an Tabak, Filter und Papes gedacht. «Nett gemeint, aber: Fertig jetzt!», schwöre ich mir. «Ab sofort schaue ich gut zu mir.»

Reichlich Schmerzmittel und Antibiotika sorgten dafür, dass sich die Nachwirkungen des geplatzten Blinddarms in Grenzen hielten. (Bild: zvg)

Mittwochnachmittag, 25. März. Auf dem kleinen Balkon, wo nur ein Patient aufs Mal stehen darf, dürfte man rauchen, vernehme ich. Verlockend. Ich ringe stundenlang mit mir – und lasse es bleiben.

Samstag, 28. März. Ich bin wieder zuhause, zurück im Alten. Der Reiz ist gross, ­«nur diese eine!» zu rauchen. «Rauche ich eine, rauche ich tausend», beschwöre ich mich, mehrmals täglich und mit Erfolg.

Zur Autorin

Hauptberuflich leitet Simone Ulrich Marketing und Kommunikation von Akzent Prävention und Suchttherapie Luzern. Genauso engagiert betreibt sie einen Podcast, der die grossen Fragen des Lebens stellt.

Dienstag, 7. April. Eine Woche später arbeite ich wieder. Im Homeoffice. Vom Alltag? Keine Spur. Die üblichen Trigger, die ich mit dem Rauchen verbinde, fallen Corona-bedingt weg: die Znünipause. Der Mittagsspaziergang. Der Heimweg vom Bahnhof. Keine anzuzünden, fällt mir erstaunlich leicht. 

Mittwoch, 8. April. «Temporäre Übergänge wie die Coronakrise bieten – neben Risiken – auch grosse Chancen für Veränderungen», schreibe ich auf unsere Webseite, für ein Projekt, das wir kurzerhand entwickeln. Ich schmunzle. Die These des transtheoretischen Modells kann ich empirisch bestätigen: Aus ungesunden Routinen auszubrechen und neue aufzubauen, war nie einfacher als jetzt, während der «besonderen Lage».  

Jeweils bis 13 Uhr war die Cafeteria geöffnet. Und menschenleer aufgrund des Besuchsverbots. (Bild: zvg)

Donnerstag, 23. April. Seit einem Monat (bäm!) bin ich Nichtraucherin. Ich geniesse die Freiheit, mich nicht mehr von Zigi zu Zigi zu denken. Ich rieche Frühlingsblumen und Handseife, schmecke frischgekochte Zutaten und aufgebrühten Kaffee, ohne den Drang, dazu eine rauchen zu wollen. Geil, geil, geil.

Dienstag, 28. April. Ich stelle mein Video für unser neues Projekt auf die Webseite. Dieses will Menschen inspirieren und unterstützen, ihr Suchtverhalten zu ändern. Lustig, irgendwie, dass ich davon ein Lied singen und es aus eigener Erfahrung empfehlen kann. Nur den geplatzten Blinddarm darf man sich schenken – aufhören geht auch ganz gut ohne.

Vor einer Ansteckung mit Covid-19 fürchtete sich die Autorin nie. Steriler als Spital geht ja kaum. (Bild: zvg)
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Im Corona-Tagebuch erzählen Zentralschweizer, wie sie den Shutdown erleben, welche Auswirkungen dieser auf ihr Privatleben und ihren Beruf haben und wie sie persönlich damit umgehen.
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