Hilfe für Teenies aus schwierigen Verhältnissen

Misslungener Einstieg in die Berufswelt? Diese Zuger helfen

Patrick Kreyenbühl (l.) und Patrick Bützer versuchen, jungen Erwachsenen eine berufliche Perspektive zu schaffen. (Bild: wia)

Wer es als junger Zuger nicht schafft, Fuss zu fassen in der Arbeitswelt, landet im besten Fall im Motivationssemester «Einstieg in die Berufswelt». Wir haben mit dem Leiter und einem Coach über unumgängliche Kesb-Meldungen und den fiesen Einfluss von Corona gesprochen.

Wenn Jugendliche nach der obligatorischen Schulzeit und einem 10. Schuljahr keine Anschlusslösung finden, landen sie oft bei Patrick Kreyenbühl und seinem Team. Der Aargauer leitet in Baar ein Programm für Teenager und junge Erwachsene, das ihnen den Einstieg in die Berufswelt ermöglichen soll. Das klingt zunächst nach einer einfachen Aufgabe.

Aber: Wer im Motivationssemester «Einstieg in die Berufswelt» landet, hat gemäss den Verantwortlichen «die Talsohle bereits erreicht». Trotzdem schaffen es viele von ihnen dank des Angebots, später Fuss zu fassen in der Arbeitswelt. zentralplus traf Patrick Kreyenbühl, Programmleiter von «Einstieg in die Berufswelt», kurz EiB, sowie den Coach Patrick Bützer zum Gespräch vor Ort.

zentralplus: Was sind die Schwierigkeiten der jungen Menschen, die das Angebot von EiB in Anspruch nehmen?

Patrick Kreyenbühl: Unsere Programmteilnehmer sind fast ausnahmslos multifaktoriell, also mehrfach belastet. Oft kommen sie aus schwierigen familiären und aus wirtschaftlich schwachen Verhältnissen. Viele haben einen Migrationshintergrund. Oft spielt das Thema Sucht eine Rolle.

zentralplus: Die Hälfte Ihrer Teilnehmerinnen kommen von der Sek 1, also nach dem 9. oder 10. Schuljahr zu Ihnen. Warum wird es für einige schwierig in dieser Zeit?

Kreyenbühl: Jugendliche sind während ihrer Zeit in der Sek 1 in einem System eingebettet. Ihnen wird eine Struktur vorgegeben, sie haben ihre Peers, an denen sie sich orientieren können und die sich mit ähnlichen Problemen herumschlagen. Am Ende dieser Zeit müssen sie selbst weiterschauen. Es gibt kein Recht auf Berufsbildung.

«Ab und zu haben auch wir hier Teilnehmende, denen man auf den ersten und zweiten Blick nicht ansieht, wo die Probleme liegen.»

Patrick Bützer

zentralplus: Sie sprachen von einer multifaktoriellen Belastung, also einer Mehrfachbelastung der betroffenen Menschen. Müsste dies das Schulsystem in den Jahren zuvor nicht realisiert respektive rechtzeitig eingelenkt haben?

Bützer: Vielleicht. Doch sind diese Schwierigkeiten nicht immer leicht erkennbar. Ab und zu haben auch wir hier Teilnehmende, denen man auf den ersten und zweiten Blick nicht ansieht, wo die Probleme liegen. Im EiB sind es oft die Gespräche mit Eltern und Bezugspersonen, die für mehr Klarheit sorgen. Dann wird die Sache offensichtlich. Dennoch stellen sich für uns in vielen Fällen diese Fragen …

zentralplus: Die Frage, ob man das nicht hätte vorher realisieren müssen?

Bützer: Ja. Es ist schwer vorstellbar, dass im ganzen gesellschaftlichen System niemand merkt, dass beispielsweise ein Elternteil gewalttätig oder eben abhängig ist. Ein Kinderarzt, eine Lehrperson, irgendjemand.

«Die Kesb hat einen wahnsinnig schlechten Ruf und doch führt oft kein Weg daran vorbei.»

Patrick Kreyenbühl

zentralplus: Gerade Lehrpersonen sind im Moment enorm belastet. Vielleicht zu sehr, um bestehende Schwierigkeiten Einzelner während des Unterrichts wahrzunehmen.

Bützer: Das stimmt, es wäre vermessen, das zu erwarten. Ich habe selber unterrichtet. Wenn man vor der Klasse steht und den Schulstoff vermitteln soll, fehlen oft die Ressourcen, um auch noch zu realisieren, dass in der Klasse Lernende sitzen, die im Elternhaus mit grossen Problemen konfrontiert sind. Dafür gibt es im Idealfall schulische Sozialarbeiterinnen und -arbeiter. Und ich bin sicher, es gibt auch Fälle, die zwar bekannt sind, aber bei denen nichts unternommen wird.

Kreyenbühl: Die Kesb hat einen wahnsinnig schlechten Ruf und doch führt oft kein Weg daran vorbei. In vielen Fällen könnte den Kindern und Jugendlichen durchaus geholfen werden, wenn der Staat eingreifen würde.

EiB: Perspektive für die hartnäckigen Fälle

«Einstieg in die Berufswelt» ist ein Arbeits- und Bildungsprogramm, das sich an stellenlose Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 16 und 25 Jahren richtet. Ein Motivationssemester dauert zwischen sechs und zehn Monaten. Die Teilnehmenden gelangen via RAV, respektive via Verein für Arbeitsmarktmassnahmen (VAM), zum EiB. Das Angebot ist freiwillig und wird jährlich von rund 40 Jugendlichen besucht.

zentralplus: Wie kann EiB in einem Fall, wie von Ihnen geschildert, überhaupt reagieren? Eigentlich ist es ja Ihr Auftrag, den Menschen beim Berufseinstieg zu helfen.

Bützer: Wir können etwa dafür sorgen, dass das Thema – vielleicht zum ersten Mal für die Betroffenen überhaupt – auf den Tisch kommt. Dazu laden wir auch die Eltern zum Gespräch ein und empfehlen etwa, dass sie sich in eine Suchtberatung begeben. Doch auch dem oder der Jugendlichen empfehlen wir in solchen Fällen, sich professionell beraten zu lassen, und versuchen herauszufinden, was sie oder er überhaupt will.

«Es macht keinen Sinn, wenn man fünf Jugendliche, die teils Suchtprobleme haben und vielleicht bereits delinquent wurden, in eine WG steckt.»

Patrick Kreyenbühl

Kreyenbühl: Wir haben jedes Jahr ein, zwei Fälle hier, bei denen schon längst jemand hätte intervenieren müssen. Etwa, wenn wir merken, dass ein Teenager suchtkrank ist und eine Therapie bräuchte. Sehr selten machen wir selbst eine Gefährdungsmeldung. Etwa, wenn wir merken, dass ein Jugendlicher zuhause Gewalt erfährt. Was wiederum zu einem weiteren Problem führt.

zentralplus: Das da wäre?

Kreyenbühl: Wohin geht ein Jugendlicher, der von zuhause auszieht? Die Angebote für begleitete WGs sind begrenzt, ausserdem macht es keinen Sinn, wenn man fünf Jugendliche, die teils Suchtprobleme haben und je nachdem bereits delinquent wurden, in eine WG steckt. Ideal wären Pflegefamilien, doch das ist eine Riesenaufgabe, die nur mit dem entsprechenden Fachwissen übernommen werden kann. Mitgefühl allein reicht nicht.

zentralplus: Müsste also der Kanton mehr Angebote schaffen?

Kreyenbühl: zögert. Nun ja. Es ist auf jeden Fall so, dass man nicht sparen kann, wenn man gute Angebote im Bereich Wohnen anbieten möchte.

«Es scheint, als seien einige Junge durch Corona anspruchsloser geworden.»

Patrick Bützer

zentralplus: Patrick Kreyenbühl, Sie arbeiten seit zehn Jahren beim EiB. Haben sich die Probleme der Jugendlichen in dieser Zeit verändert?

Kreyenbühl: Ich glaube, die Ansprüche an die Jugend sind gestiegen. Die Arbeitswelt ist komplexer geworden. Sogar in der Gastronomie kann man nicht mehr einfach so ein Praktikum machen, viele verlangen eine Ausbildung. Auch merken wir, dass viele Jugendliche zu uns kommen, die noch nie selber eine Bewerbung geschrieben haben. Die Eltern haben bis dahin alles erledigt für ihr Kind und damit verhindert, dass ihr Sohn oder ihre Tochter die nötigen Werkzeuge mitbekommt, die es braucht, um unabhängig zu werden.

zentralplus: Hat sich die Situation durch Corona verändert? Und falls ja, wie?

Bützer: Es scheint, als seien einige Junge durch Corona anspruchsloser geworden. Es wurde plötzlich okay, den ganzen Tag zuhause zu sein und vor dem Bildschirm zu sitzen. Jugendliche verbringen den ganzen Tag und die halbe Nacht am Handy. Mehr scheinen sie nicht zu brauchen.

Kreyenbühl: So etwas war früher kaum möglich. Bücher waren irgendwann fertiggelesen, Games fertiggespielt, am Fernseher flimmerte spätabends nur noch das Ameisenrennen über den Bildschirm. Mit dem Handy kann man sich endlos beschäftigen. Wir haben Teilnehmer hier, die völlig in ihrer virtuellen Welt leben.

«Ein Problem ist, dass es Eltern gibt, die nicht reagieren, wenn ihr Kind keine Lehrstelle hat und stattdessen den ganzen Tag am Bildschirm hängt.»

Patrick Kreyenbühl

zentralplus: Eine weitere Form der Sucht.

Kreyenbühl: Richtig. Eine, die zunimmt. Ein Problem ist, dass es Eltern gibt, die nicht reagieren, wenn ihr adoleszentes Kind keine Lehrstelle hat und stattdessen den ganzen Tag am Bildschirm hängt. Solche Jugendlichen bewegen sich unter dem Radar. Wohl ist dem Kanton bekannt, wer eine weiterführende Schule macht oder eine Lehre. Die Behörden haben nicht im Visier, wer ein Zwischenjahr einlegt. Sie können einfach abtauchen.

zentralplus: Wer Ihr Arbeits- und Bildungsprogramm absolviert, hat bereits viele Absagen kassiert. Wie hoch ist die Quote der Teilnehmenden von EiB, die danach eine Stelle finden?

Kreyenbühl: Von denen, die hier anfangen, brechen jeweils ungefähr 20 Prozent das Semester wieder ab. Doch haben letztes Jahr alle, die sich an die Regeln hielten und das Programm beendet haben, eine Anschlusslösung gefunden.

zentralplus: Das ist – gegeben der Umstände – ein ziemlich guter Leistungsnachweis. Worauf führen Sie diesen Erfolg zurück?

Bützer: Ich arbeite nun seit eineinhalb Jahren als Coach hier. In dieser Zeit habe ich gemerkt, dass dieses Setting sehr gut geeignet ist, um ein Gesamtbild der Jugendlichen zu erhalten. Wir schreiben mit ihnen Bewerbungen, arbeiten mit ihnen und gehen ihre ganz individuellen Fragestellungen an, ohne dass sie, wie es im Schulsystem üblich ist, bewertet würden. Trotzdem gibt es klare Regeln und Strukturen, an die sie sich halten müssen und die man mit ihnen offen bespricht. Ich glaube, dieses Angebot hilft ihnen sehr einzuschätzen, wo sie stehen, ganz unabhängig von Schulnoten.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Patrick Bützer und Patrick Kreyenbühl
  • Website EiB Zug
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Monika Reisinger
    Monika Reisinger, 01.02.2023, 14:56 Uhr

    Auch mich schockieren die lapidaren Worte, wie über die Jugendlichen gesprochen wird. Das hat so wirklich niemand verdient! Diese Aussagen entsprechen ganz sicher nicht den «Best Practices». Unsere Statistiken zeigen auf, dass 25 % der Jugendlichen nur über Übergangslösungen und Brückenangebote den Einstieg in die Berufsbildung schaffen. Da aber gleich von einer «Talsohle im Leben» zu sprechen, ist schlicht entwürdigend! Es gibt verschiedene Gründe für die schwierigen Übergange, u. a. sind auch Benachteiligungen, diverse Beeinträchtigungen oder ungünstige soziale Lebensverhältnisse mit ein Grund. Auch die frühe Selektion in unserem Bildungssystem trägt dazu bei. In den meisten OECD-Ländern bleiben die Klassen bis zum 16. Lebensjahr leistungsmässig durchmischt und Schüler*innen mit früheren Lernblockaden können auch später noch adäquat gefördert werden. Ich bedaure es sehr, dass die Verantwortlichen mit solchen Aussagen Betroffene diskreditieren.

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  • Profilfoto von Brummbär
    Brummbär, 31.01.2023, 17:26 Uhr

    Mich erstaunt das Wording der Verantwortlichen in diesem Kontext, dass sie über die ihnen anvertrauten Jugendlichen „vom Erreichen der Talsohle“ sprechen. Da geben sie geradezu ziemlich diskriminierende Worte von sich und haben wohl keine Ahnung, was so eine Talsohle wirklich bedeutet! Ich weiss von Jugendlichen, die draussen tagelang mit EIB Bäume schneiden müssen, auf ihre Interessen und Fähigkeiten wird nicht eingegangen bzw. diese werden nicht gefördert und wer „bockt“, hat gleich ein weiteres Nachsehen fürs Weiterkommen. Sie können sich nicht wehren und sind dem Programm völlig ausgeliefert. Kein Wunder, wer hier einfach rausläuft!

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