Gastbeitrag von Gaudenz Zemp

«Es braucht in der Bildung Priorisierungen, die wehtun»

Gaudenz Zemp ist FDP-Kantonsrat und Direktor des KMU- und Gewerbeverband Kanton Luzern. (Bild: zvg)

Werden Geisteswissenschaftler von der Politik diskreditiert? Ja, schrieb unser Redaktor in einem Kommentar zu einem Vorstoss von FDP-Kantonsrat Gaudenz Zemp. Nun wehrt sich der Direktor des KMU- und Gewerbeverbandes Kanton Luzern (KGL) in einer Replik.

Meine reguläre parlamentarische Anfrage ist in dem Kommentar von zentralplus als «demagogisch» bezeichnet worden (zentralplus berichtete). Zur Erinnerung: der Begriff steht gemäss Duden für «aufwiegelnd, hetzerisch; Hetzpropaganda treibend». Weiter wurde mir vorgeworfen, ich würde «wild mit Daten Bundesamts für Statistik um mich werfen.» Das sind massive Vorwürfe.

Gemäss dem Schweizerische Dienstleistungszentrum Berufsbildung (SDBB) geben 58 Prozent der Absolventeninnen von geisteswissenschaftlichen Studiengängen an, dass ihr Studium keine gute Grundlage für den Berufseinstieg sei. 36 Prozent haben ein Jahr nach Studienabschluss eine Stelle, für die sie gar keinen Hochschulabschluss gebraucht hätten. 25 Prozent haben eine Stelle, welche keinen inhaltlichen Bezug zum Studium hat.

Berufsausbildung beginnt erst nach Abschluss des Studiums

Solche Zahlen – erhoben vom Bundesamt für Statistik – rufen nach einer Klärung. Zumal man im benachbarten Deutschland eine «Generation Praktikum» kennt. Das heisst, dass ein Grossteil der Absolventen nach dem Studium von der Wirtschaft berufsbefähigt werden muss und diese nicht bereit ist, während dieser Nachstudiumsausbildung einen regulären Lohn zu zahlen. Eine Entwicklung, welche es in der Schweiz unbedingt zu verhindern gilt.

«Es ist ein offenes Geheimnis, dass ich ein vehementer Kritiker einer weiter fortschreitenden Akademisierung des Bildungssystems bin.»

Dazu kommt, dass im tertiären Bereich der Prozentsatz der Bevölkerung mit einer Höheren Berufsbildung seit 1996 bei rund 15 Prozent konstant geblieben ist. Jener der Hochschulbildung hat sich aber seither von 9.6 auf 29.6 Prozent mehr als verdreifacht. Das heisst, es findet eine starke Verschiebung von der praxisorientierten zur theorieorientierten Bildung im tertiären Bereich statt. Für die KMU-Wirtschaft des Kantons Luzern ist dies eine Entwicklung, welche Fragen aufwirft.

Zahlen verlangt, um Lösungen anszustossen

Als Mitglied der Bildungskommission des Kantonsrats habe ich die Möglichkeit, eine diesbezügliche Anfrage an die Regierung zu stellen. Diese macht das Thema öffentlich und bringt fundierte Fakten und Zahlen seitens der Verwaltung. Auf dieser Basis kann der Kantonsrat im Nachgang darüber diskutieren und die Situation klären.

Allenfalls können mit weiteren Vorstössen Lösungsprozesse angeschoben werden. Von dieser Möglichkeit habe ich Gebrauch gemacht. Transparent, mit Quellen-Angabe und lösungsorientiert – also alles andere als eine Hetzpropaganda.

Seit Jahren im Bildungswesen engagiert

In ihrer Antwort hat die Regierung die Zahlen der SDBB auf der Basis einer Gewichtung der Befragten-Zahlen überarbeitet. Die Zahlen fielen dadurch besser aus, wenn auch meist nicht wirklich signifikant. Die gestellten Fragen sind auch auf der Basis der Zahlen der Regierung weiterhin angezeigt.

Während über sieben Jahren war ich Mitglied der Leitung der Hochschule Luzern. Seit bald acht Jahren darf ich als Präsident die Zentralschweizer Bildungsmesse mitgestalten. Ich bin in den Beiräten der Hochschule Luzern - Wirtschaft, Hochschule Luzern - Technik & Architektur sowie der Berufsmatura. Darüber hinaus engagiere ich mich im Vorstand des Universitätsverein Luzern.

Ich investiere sehr viel meiner Freizeit in den Bildungsbereich. Daneben bin ich als Direktor des KMU- und Gewerbeverbandes Kanton Luzern (KGL) seit Jahren an der Umsetzung eines Massnahmenbündels gegen den Fachkräftemangel.

Die eigene Haltung wird in der Anfrage sichtbar

Diese Tätigkeiten prägen meine Sichtweise, und es ist ein offenes Geheimnis, dass ich ein vehementer Kritiker einer weiter fortschreitenden Akademisierung des Bildungssystems bin. Um entsprechend Einfluss zu nehmen, habe ich dieses politische Amt angestrebt. Wenn ich nun einen diesbezüglichen Vorstoss einreiche, so ist dies meine parlamentarische Aufgabe und hat nichts Aufwiegelndes an sich.

Es ist auch wenig überraschend, dass bei der Formulierung der Fragen in meiner Anfrage meine Haltung an der einen oder anderen Stelle sichtbar wird. In der Sache strebe ich aber mit meinem Vorstoss  eine nüchterne und faktenbezogene Aufarbeitung und eine lösungsorientierten Diskussion an. Ich bin jederzeit bereit meine Meinung anzupassen, wenn sie mit Fakten widerlegt wird. Letztlich geht es hier nämlich um etwas äusserst Wichtiges: junge Menschen und ihren Eintritt in die Arbeitswelt.

Es wimmelt von Zielkonflikten

Entsprechend kritisiere ich in aller Regel das Bildungssystem beziehungsweise seine Verantwortlichen und nicht die Studierenden. Den Studierenden ist meist kein Vorwurf zu machen. Sie sind vielmehr die Leidtragenden eines zu akademischen Bildungssystems - wie das Beispiel Deutschland anschaulich zeigt.

Die kommenden Jahrzehnte werden bezüglich der Bildungspolitik herausfordernd. Es wird wimmeln von Zielkonflikten, widersprüchlichen Interessen und struktureller Unterfinanzierung. Entsprechend wird es Priorisierungen brauchen, welche wehtun.

Die Erarbeitung dieser anspruchsvollen Lösungen ist nur möglich, wenn man ein kritisches Hinterfragen zulässt und andere Meinungen respektiert. Dabei sollten Medien - auch wenn es in einem Kommentar ist - mit Demagogie-Vorwürfen an engagierte Bildungspolitiker vorsichtig sein.

Hinweis: Die Redaktion weist darauf hin, dass es sich bei einem Kommentar um ein journalistisches Gefäss handelt, dessen Sinn es ist, eine persönliche Meinung pointiert auf den Punkt zu bringen – genau wie bei diesem Gastbeitrag.

Verwendete Quellen
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