Nicht am Stadtrand, sondern im Zentrum

Strassenstrich: Das könnte Luzern von Basel lernen

Auf dem Strassenstrich Ibach kommt es nicht selten zu gefährlichen Situationen. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

Der Luzerner Strassenstrich im Ibach ist für Sexarbeiterinnen gefährlich. Ein Blick ans Rheinknie zeigt, was Luzern von Basel lernen könnte.

Einkaufszentrum, Caritas-Markt, Beizen und hippe Bars, ein Coiffeursalon und ein Interdiscount. Ums Eck hört man die Glocken einer Kirche, Anwohnerinnen trinken einen Kaffee oder lassen sich ihre Nägel in einem Studio hübsch machen. Und mittendrin: Das Rotlichtmilieu.

Diese Szene spielt sich nicht in Luzern ab, sondern in Basel. Genauer gesagt: im Kleinbasel.

In Basel weisen «Strichfrauchen» auf den Strassenstrich hin

Wo angeschafft wird, zeigt am Rheinknie auch ein Blick auf den Boden. Die Behörden haben auf den Boden grüne Markierungen gepinselt, auf Teilen der Webergasse, Ochsengasse und des Teichleingässleins. Die Toleranzzone erstreckt sich U-förmig entlang dieser Strassenabschnitte (siehe Karte). Auf dem Boden sind grüne «Strichfrauchen» zu sehen. Diese markieren Grenzen, sie sollen helfen, dass Sexarbeiterinnen in der Strichzone bleiben.

Das «Strichfrauchen» am Basler Strassenstrich. (Bild: Justiz- und Sicherheitsdepartement Basel-Stadt)

Basel kennt zwei sogenannte Toleranzzonen – neben jener in Kleinbasel, die rege genutzt wird, eine in Grossbasel. In diesen dürfen Sexarbeiterinnen auf der Strasse ihre Dienste anbieten. Zum Arbeiten gehen sie in naheliegende Zimmer oder Wohnungen, die sie gemietet haben. «Die Praxis mit dem Anwerben auf der Strasse und dem Vollzug der Dienstleistung in einem Zimmer hat es schon immer gegeben», sagt Toprak Yerguz, Kommunikationsleiter des Justiz- und Sicherheitsdepartements des Kantons Basel-Stadt, auf Anfrage. Die entsprechende Verordnung basiert auf einem Gesetz von 1978. Damals wurde definiert, auf welchen Strassenabschnitten das Anwerben erlaubt ist. Seit 2015 ist die Innenstadt autofrei. Freier können also nicht mit dem Auto vorfahren.

In Luzern finden weder Beizengänger noch Gottesdienstbesucherinnen oder Stadtspaziergänger per Zufall den Weg ins Ibach. Hier, im Industriegebiet am Luzerner Stadtrand, stehen täglich 10 bis 15 Sexarbeiterinnen auf dem Strich. Der Strassenstrich ist abgelegen, die Frauen sind alleine. In der Nähe sind der Werkhof der Stadt Luzern, der Seetalplatz Emmen, die Autobahn – und ein Wald. Ein Bus fährt nicht vor Ort. Wer hier arbeitet, muss aufs Taxi ausweichen.

Stadt soll Sexarbeiterinnen besser schützen

Einst arbeiteten die Strassensexarbeiterinnen mitten in der Stadt im Tribschen. Nachdem jedoch 2012 das Reglement über die Strassenprostitution in Kraft trat, verlagerte sich der Strich an den Stadtrand, aus dem Blick der Gesellschaft. Schon damals äusserten Expertinnen Sicherheitsbedenken. Diese waren nicht unbegründet. Sexarbeiterinnen wurden am neuen Standort mit einer Pistole bedroht und ausgeraubt, von einem Mann mit einer Axt bedroht. Eine Frau wurde an einem Waldrand vergewaltigt. 2014 wurde die Leiche einer Frau gefunden, die im Ibach gearbeitet hatte (zentralplus berichtete).

Sexarbeiterinnen sollen auf dem Strassenstrich Ibach nun besser geschützt werden. So will es die Stadt. Unter anderem will sie eine Videoüberwachung rund um den Strassenstrich prüfen. Oder prüfen, wie sie den Serviceplatz, ein Parkfeld, auf welchem Sexarbeiterinnen mit Freiern im Auto halten können, optimieren kann. Die Stadt fasst auch die Frage ins Auge, was Arbeitszimmer zur Sicherheit beitragen könnten. Auch die Frage nach einem alternativen Standort für den Strassenstrich möchte die Stadt wieder aufgreifen (zentralplus berichtete). (zentralplus berichtete).

Der Grosse Stadtrat unterstützt das Anliegen und überwies im Dezember ein entsprechendes Postulat von Grüne-Grossstadträtin Selina Frey.

Die Nachbarn rufen die Polizei

Ein Blick nach Basel zeigt, wie es auch funktionieren könnte. Nur ein paar Schritte von der Toleranzzone im Kleinbasel entfernt ist die Fachstelle Aliena. Diese setzt sich für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeiterinnen ein. «In Basel können sich Sexarbeiterinnen schnell und einfach Hilfe holen», sagt Hanna Lindenfelser, Geschäftsleiterin von Aliena. Seit 2022 ist sie Geschäftsleiterin. In dieser Zeit sei es in Basel nicht zu so schlimmen Vorfällen gekommen wie in Luzern.

Die Polizei ist ebenfalls in unmittelbarer Nähe. Zudem schauen gemäss Lindenfelser auch die Nachbarinnen hin. «Es kam schon vor, dass Nachbarn die Polizei gerufen haben, wenn sie den Eindruck hatten, dass eine Sexarbeiterin in Not ist.» Dass die Toleranzzone mitten in der Stadt und somit auch zugänglich mit dem ÖV ist, habe zudem den Vorteil, dass die Arbeiterinnen nicht auf Taxis angewiesen seien.

«Es gibt Frauen, die sagen: ‹Ich stehe nur nachts in der Toleranzzone. Am Tag stehe ich nicht mit meinem Gesicht hin.› Angst vor einem solchen Outing haben viele.»

Hanna Lindenfelser, Fachstelle Aliena

Immer wieder komme es aber auch zu Konflikten. «Nachbarn stören sich ab und an über Lärm in der Nacht oder enervieren sich darüber, wenn sie von Sexarbeiterinnen ‹aggressiv› angeworben werden, selbst dann, wenn sie mit ihren Familien an der Toleranzzone vorbeilaufen.» Im Grossen und Ganzen werde die Toleranzzone jedoch von Anwohnerinnen und Gewerbetreibern rundum mitgetragen.

Im Kleinbasel ist die Sexarbeit sichtbar

Dass das Milieu mitten im Stadtgeschehen ist, habe eine wichtige Symbolik. «Damit zeigt der Kanton, dass Sexarbeit Teil unserer Gesellschaft und eine Arbeit ist», sagt Hanna Lindenfelser. Menschen, die in diesem Gewerbe arbeiten, würden somit nicht an den Rand gedrängt, sondern seien sichtbar.

Dafür ist das Treiben nicht so anonym wie im Luzerner Ibach, was auch ein Nachteil sein kann. «Es gibt Frauen, die sagen: ‹Ich stehe nur nachts in der Toleranzzone. Am Tag stehe ich nicht mit meinem Gesicht hin.› Angst vor einem solchen Outing haben viele.»

Hanna Lindenfelser ist seit 2022 Geschäftsleiterin der Basler Fachstelle Aliena. (Bild: zvg)

Droht dem Strich das Aus?

In Basel vermieten Private die Zimmer. Die meisten Frauen arbeiten und leben in diesen für mehrere Tage bis Wochen. Sie haben einen Ort, an dem sie duschen und essen können und wo sie angemeldet sind und eine Adresse haben. Man weiss, wo die Sexarbeiterinnen mit ihren Freiern sind. Beziehungsweise, wo sie «theoretisch sein müssten», wie Lindenfelser präzisiert. Anders als bei jenen im Ibach, die ins Auto steigen und nicht auf dem Verrichtungsplatz vor Ort parkieren, sondern irgendwohin fahren.

Doch auch in Basel gibt es Probleme. «Die Zimmermieten sind oft sehr hoch. Diese Fixkosten müssen bezahlt sein, sonst droht beim Arbeitsortverlust auch oft die Obdachlosigkeit», so Lindenfelser. «Und die Gentrifizierung, die das Quartier prägt, führt dazu, dass Kontaktbars geschlossen und in Gastronomiebetriebe umgewandelt werden.»

Wird der Strich verdrängt? Die Basler Regierung geht in einem Bericht von 2021 auf Rückmeldungen von Gewerblern ein. Gemäss diesen drohe der Toleranzzone mittelfristig das Aus – Schuld daran sei die Quartieraufwertung.

Staatliches Bordell – in Basel gescheitert

Vor einigen Jahren kam in Basel die Forderung nach einem «staatlichen Bordell» aufs Tapet. Die ehemalige SP-Grossrätin Kerstin Wenk forderte die Regierung auf, zu prüfen, ob und wie in Basel eine Liegenschaft oder Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden kann, «in welcher die Sexarbeiterinnen selbstverwaltet ein Bordell betreiben könnten».

Davon hielt die Regierung nichts. Es sei «kein taugliches Mittel, um die Situation im Milieu zu verbessern», hielt sie 2021 fest. «Dies würde die Gefahr bergen, dass der Staat sich vom Rotlichtgewerbe nicht mehr glaubwürdig abgrenzen kann und der Eindruck entsteht, dass die öffentliche Hand die Prostitution fördert.»

«Eine echte Steigerung der Arbeitssicherheit von Sexarbeitenden kann nur ein Standortwechsel bringen.»

Selina Frey, Luzerner Grossstadträtin (Grüne)

Auch in Luzern wurde die Idee kurz angeschnitten. Der Luzerner GLP-Grossstadtrat Daniel Lütolf unterstützte zusammen mit seiner Partei im vergangenen Dezember im Grossen Stadtrat die Ideen der Stadt. Die Grünliberalen würden aber noch einen Schritt weiter gehen: «Wir würden es begrüssen, wenn man bei der Standortsuche vielleicht auch das Thema Laufhaus in Betracht zieht. Das könnte beispielsweise, ein bisschen quergedacht, das Urania-Haus beim Löwenplatz sein.» Dieses sei zentral gelegen, es gibt eine soziale Kontrolle. Bei einem Zwischenfall könnte man sehr schnell reagieren, argumentiert Lütolf.

Ein Risiko bleibt immer

Die Stadt wird sich nun mit dem Verein Lisa, der sich in Luzern für die Interessen von Sexarbeitenden einsetzt und auch Ideen vorgeschlagen hat, zusammensetzen und die Ideen prüfen.

Fragen gibt es einige. Insbesondere bei den Arbeitszimmern. Etwa, ob diese als Bordell gelten, welches gemäss Gewerbepolizeigesetz eine Betreiberin bräuchte. Und, ob man die Zimmer vermieten oder gratis zur Verfügung stellen würde. Auch möchte die Stadt die Suche nach einem alternativen Standort aufnehmen. Denn der Ibach ist und bleibt abgelegen und gefährlich. Oder, wie es Selina Frey sagte: «Eine echte Steigerung der Arbeitssicherheit von Sexarbeitenden kann nur ein Standortwechsel bringen.»

Einig ist sich die Stadtluzerner Politik jedenfalls darüber, dass sie etwas tun muss. Sämtliche Risiken lassen sich wohl kaum aus der Welt schaffen. «Ob die Dienstleistung nun hinter verschlossener Auto- oder Zimmertür stattfindet: Ein Sicherheitsrisiko besteht für Sexarbeiterinnen immer», sagt Lindenfelser. Seien es Freier, die nicht bezahlen wollen. Freier, die das Kondom beim Sex heimlich abstreifen wollen oder die Sexarbeiterinnen herablassend behandeln oder sogar Gewalt anwenden. Umso nötiger sei es, das Bestmögliche dagegen zu tun.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Hanna Lindenfelser, Fachstelle Aliena in Basel
  • Schriftlicher Austausch mit Toprak Yerguz, Leiter Kommunikation, Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt
  • Verordnung über die Strassenprostitution Basel-Stadt
  • Vorstoss von Kerstin Wenk, ehemalige Grossrätin des Grossen Rats des Kantons Basel-Stadt
  • Bericht zur Prostitution in Basel-Stadt 2019/2020 der Basler Regierung
  • Postulat 265 von Selina Frey, Luzerner Grossstadträtin namens der Grüne/Junge Grüne-Fraktion
  • Stellungnahme des Luzerner Stadtrates zum Postulat 265
  • Aufzeichnung der Sitzung des Luzerner Grossen Stadtrates 21.12.2023
  • Recherche in der Schweizer Mediendatenbank (SMD)
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Tommy
    Tommy, 15.01.2024, 09:31 Uhr

    Wieso hat man den Strich damals eigentlich von der Werkhofstrasse entfernt?

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  • Profilfoto von lui casutt
    lui casutt, 15.01.2024, 02:41 Uhr

    Die Oberen Herren wollen doch nicht, dass sie bei ihrem Schäferstündchen gesehen werden. Lieber weit ab von der Stadt, wo es sich schön diskret fröhnen lässt…

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