Auch im Kanton Zug haben die 70er- bis 90er-Jahre mehr als graue Blöcke hinterlassen: zentralplus präsentiert die architektonischen Perlen dieser Zeit.
Der Schweizer Heimatschutz sorgt sich um die Zukunft der jüngeren Schweizer Architektur. Gebäude aus den 70er-, 80er- und 90er-Jahren hätten zu Unrecht «kaum Beachtung» erhalten, schreibt der Verein. Baukultur einer Generation drohe abgerissen zu werden.
Daher steuert der Verein dagegen. Mit einem Buch zur Baukultur der Jahre 1975–2000 will der Heimatschutz Aufmerksamkeit auf 50 Schweizer Gebäude aus dieser Zeit lenken. «Wir konnten auch in Zug und Luzern einige Perlen aufspüren», schreibt Regula Steinmann, Leiterin Baukultur auf Anfrage.
Den vier Luzerner Gebäuden ist zentralplus bereits nachgegangen (zentralplus berichtete). Nun ist der Kanton Zug an der Reihe. Auf der Suche nach den Perlen der vermeintlichen Betonjahrzehnte stösst man in Zug auf grosse architektonische Gesten – und die Ursprünge der Firma Nestle.
Von Metalli bis Mailand
Als «Zuger Antwort auf die Galleria Vittorio Emanuele II» bezeichnet der Schweizer Heimatschutz die zentrale Passage im wohl bekanntesten Einkaufszentrum der Stadt Zug. Die Galerie in Mailand gehört zu den berühmtesten Bauten Europas. Das Metalli, gebaut aus honigfarbenem Travertin, gibt sein Bestes, in puncto Schönheit mitzuhalten.
Das Metalli geht zurück auf eine Metallwarenfabrik aus dem Jahr 1881. In den 1980er-Jahren wurde der industrielle Bau abgerissen und 1987 feierlich neu eröffnet. Bis in die 90er-Jahre wurde das neue Stadtquartier mit Wohnungen, Büros und Ladenflächen stetig erweitert – rund eine halbe Milliarde Franken flossen in den ikonischen Bau.
«Zentrum Neudorf»
Weiter geht es in die Gemeinde Cham, an einen Ort, der zur Wiege des weltgrössten Nahrungsmittelkonzerns werden sollte. Im Jahr 1866 gründen zwei amerikanische Brüder im Chamer Neudorfquartier eine Kondensmilchfabrik. Später fusionierte sie mit einem kleinen, aber innovativen Unternehmen eines deutschen Apothekers. Sein Name: Heinrich Nestle.
Das Neudorfquartier, stellvertretend Wandel vom bäuerlichen Cham zu einem Ort globaler Firmen, erhielt in den 1980er-Jahren einen weiteren Schub. Mit dem Bau des «Zentrum Neudorf» zwischen 1980 und 1983 entstand ein Einkaufszentrum von besonderer Form. Es ersetzte einen Gebäudekomplex, der wenig zuvor vom Brand zerstört worden war.
Laubengänge führen von der zentralen Ladenpassage zu den Büros und Maisonettewohnungen. Das gläserne Dach wirft Schattenmuster auf die Ziegelwände. Das «Zentrum Neudorf» ist eine Hommage an die industrielle Kultur des 19. Jahrhunderts. Und bringt deren Farben und Formen in die 1980er-Jahre, als Teil eines funktionalistischen Einkaufscenters – mit klaren Linien, offener Konstruktion und Licht.
Zeitgeist wirkte auf Architektur
Damit passt der Bau in Cham zum Zeitgeist. Die 70er-, 80er- und 90er-Jahre waren Jahrzehnte des Umbruchs. Kreative versuchten, Entwicklungen wie die Umweltbewegung oder das Wettrüsten während des Kalten Kriegs zu verarbeiten. Auch Schweizer Architekten begannen, mit starren Vorgaben und Traditionen zu brechen.
So auch im dritten Beispiel aus der Liste der Zuger Perlen der Betonjahrzehnte. Als einziges Gebäude schmiegt sich dieser Bau an ein denkmalgeschütztes Gebäude an: die Erweiterung des Casinos.
Sanfte Erweiterung des Theaters Casino
Während im «Zentrum Neudorf» die ersten Steine gesetzt wurden, waren die Arbeiten in der Artherstrasse bereits in vollem Gange. Zwischen 1977 und 1981 entstand rechts neben dem neobarocken Theater Casino ein Erweiterungsbau. Die Architekten Ammann und Baumann planten mit einer zurückhaltenden Geste.
Der Bühnenturm sei acht Meter in den Boden versenkt und übersteige so die Traufhöhe des Altbaus nicht, bemerkt der Schweizer Heimatschutz. Die Staffelung des Dachs zum See hin schaffe einen «sanften Übergang zur Dachlandschaft der Altstadt». Der ockerfarbene Bau mit seinem verglasten Foyer als Verbindung von Alt- und Neubau hat den Verein überzeugt.
Verborgenes in der Sporthalle Herti
Weniger zurückhaltend, dafür deutlich moderner, präsentiert sich die Sporthalle Herti. Gebaut zwischen 1999 und 2001 nennt der Heimatschutz die bunte Fassade der Halle eine «geheimnisvolle Hülle». Sie wurde entworfen von den Zürcher Architekten Bétrix & Consolascio.
Im Inneren der Hülle warte eine Sportlandschaft von «räumlich und architektonisch hoher Qualität», so der Heimatschutz. Folgende Details erwähnt er lobend: eine geschickte Erschliessung der Ebenen durch einen Säulenkranz, ein Lichtstreifen zur Belichtung und eine Brücke als Verbindungsweg.
Mit der Sporthalle Herti an der General-Guisan-Strasse endet die Liste der Zuger Perlen der vermeintlichen Betonjahrzehnte. Wie auch in Luzern gebe es für ihr Fortbestehen Hoffnung, erzählt Regula Steinmann, Leiterin Baukultur beim Schweizer Heimatschutz. Auch wenn die Bauten wegen ihres jungen Alters nicht unter Denkmalschutz stehen. Der Grund? Unter jungen Architektinnen setze eine neue Wertschätzung ein für die Bauten der Jahre 1975 bis 2000.
- Artikel auf «Swissinfo» zur Schweizer Architektur der 70er- und 80er-Jahre
- Eintrag im «Historischen Lexikon der Schweiz» zur Architektur des 20. Jahrhunderts
- Schriftlicher Austausch mit Regula Steinmann, Leiterin Baukultur beim Schweizer Heimatschutz
- Publikation des Schweizer Heimatschutzes zu den schönsten Bauten aus den Jahren 1975–2000
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