Kunst einer Einzelkämpferin wird zum Hilfeschrei

Touristen am Grendel Luzern: Diese Frau hat genug, aber kaum Hoffnung auf Veränderung

Sehnt sich den Grendel von früher zurück: Anwohnerin Hedwig Renggli. (Bild: bic)

Anwohnerin Hedwig Renggli macht sich Sorgen um die Zukunft des Grendel in Luzern. Deshalb hat sie mit einer speziellen Aktion auf die Problematik des Massentourismus aufmerksam gemacht. Dass sich bald etwas ändert, glaubt sie aber nicht. Am Ende des Tages gehe es wohl um zu viel Geld.

Luzern und die Touristinnen. Dies gehört untrennbar zusammen. Dass der Tourismus für die Wirtschaft und den Wohlstand in unserer Stadt quasi sakrosankt ist, bestreitet im Grundsatz niemand. Auch würden wohl die wenigsten der Aussage widersprechen, dass selbstverständlich alle, die unsere Region besuchen wollen, willkommen sind und dass es irgendwie logisch und darum angezeigt ist, die natürlichen Gegebenheiten volkswirtschaftlich zum Wohle der Einheimischen zu nutzen.

Dennoch haben die Entwicklungen der vergangenen Jahre bei nicht wenigen zu Unmut geführt. Die kommerzielle Vermietung von Innenstadtwohnungen über Plattformen wie Airbnb ist nur eine der aktuellen politischen Diskussionen. Genauso ist die Menge an Gästen, insbesondere an den Hotspots in der Altstadt, einigen Bewohnerinnen mittlerweile ein Dorn im Auge. Hinzu kommt die Verdrängung von Traditionsgeschäften aufgrund stark gestiegener Mieten.

Nicht alle hatten Freude an der Aktion

Eine Luzernerin, die diese Prozesse nicht mehr länger hinnehmen will, ist Hedwig Renggli. Seit knapp 30 Jahren wohnt sie direkt oberhalb des Falkenplatzes. Für Aufmerksamkeit sorgte Renggli Mitte Mai, als sie am Grendel Kerzen und Trauerkärtchen für die verdrängten Läden und Cafés aufstellte (zentralplus berichtete).

Wir haben die medienscheue, eher reserviert wirkende und hagere Frau zum Gespräch getroffen. Nach langem Zögern war sie schliesslich bereit, über ihre Aktion zu reden, die laut Rolf Bossart, Präsident des Detaillistenverbands Luzern, nicht bei allen Geschäften gut ankam. Diese vermittle die falsche Botschaft, liess er sich ein paar Tage nach der Aktion im «Anzeiger Luzern» zitieren.

Fernsehbeitrag liess alles wieder hochkommen

Diese Kritik lässt Hedwig Renggli kalt: «Ich komme aus dem gestalterischen Bereich und möchte künstlerisch ein Zeichen setzen», sagt die gebürtige Ebikonerin, die seit knapp 30 Jahren an der Ecke Weggisgasse/Grendel wohnt. Diesen Wohnort schätzt sie – trotz der aus ihrer Sicht unbefriedigenden Entwicklungen – sehr, wie sie sagt. Zuvor hat Renggli auch noch in anderen Quartieren der Stadt gelebt.

«Ich musste mir meinen Weg regelmässig mit den Händen bahnen.»

«Auslöser meiner Aktion war ein Bericht von SRF über die fehlenden Touristen in Luzern. Dazu wurden Bilder von den Jahren vor Corona eingespielt und bei mir kam alles wieder hoch», erzählt die 64-Jährige. «Der Grendel mit den Massen von Leuten, die Cars, die fast überall einfach hinfahren und anhalten dürfen und mich als Velofahrerin abdrängen», schildert sie ihr persönliches Empfinden über die Lage an der Luzerner Touristenmeile.

Ihr sei immer mehr aufgefallen, dass die Leute in sie hinein liefen, wenn sie nicht von sich aus ausgewichen ist. «Ich musste mir meinen Weg regelmässig mit den Händen bahnen», so Renggli. Den Prozess der Zunahme ausländischer Gäste am Grendel beschreibt sie als schleichend. Aufgefallen sei es ihr dann insbesondere in den Jahren vor der Pandemie.

«Politik agiert zu zögerlich»

«In dieser Hinsicht stört es mich, dass es so lange gedauert hat, bis die grosse Mehrheit der Politik zum Schluss gelangt ist, dass nun etwas passieren muss. Zumal das Thema schon seit einigen Jahren auf dem politischen Tapet sei», hält Renggli fest. Die Motion, die den Stadtrat aufforderte, eine Tourismusvision zu erstellen, wurde beispielsweise von den Grünen Ende 2017 ins Stadtparlament gebracht und im Januar 2019 überwiesen. Die zuständige Stadträtin Franziska Bitzi (CVP) hat erste Resultate für diesen Herbst angekündigt.

Bevor sie ihre Aktion mit den Kerzen startete, wandte sich Renggli denn auch an die Stadträtin sowie an Marcel Perren, Direktor von Luzern Tourismus und Regierungsrat Fabian Peter (FDP). Alle drei haben ihr persönlich zurückgeschrieben. Die Korrespondenzen liegen zentralplus vor.                                       

«Die Verantwortlichen haben im Coronajahr immer wieder betont, dass man die Chancen nutzen wolle, welche die Pandemie bietet. Leider konnte mir aber niemand sagen, was das nun konkret bedeutet. Auch darum setzte ich ein künstlerisches Zeichen, mit meiner persönlichen Sprache», so Renggli.

Diese Trauerkarten hat Hedwig Renggli gestaltet und am Grendel ausgelegt.

Eine Einzelkämpferin?

Dass man bisher noch keine detaillierteren Vorschläge präsentiert hat, ist auch für Hedwig Renggli verständlich. Sie sagt aber: «Ich bin der Meinung, dass man den Leuten ruhig sagen dürfte, dass man noch nicht weiss, welche konkreten Lösungen man hat. Es geht mir auch um die Art der Kommunikation.»

«Ich wünsche mir ganz klar, dass die Touristenmassen nach Corona nicht mehr im gleichen Umfang zurückkehren.»

Hedwig Renggli ist eine Einzelkämpferin. Mitstreiterinnen hat sie sich bislang nicht gesucht. Das habe auch damit zu tun, dass man die Leute in der Nachbarschaft gar nicht wirklich kenne. «Im Haus, in dem ich wohne, trifft man eigentlich nur auf Geschäftsleute. Das ist so, seit ich am Grendel wohne.»

Dort, wo früher das Café Moc Einheimische bewirtete, gebe es heute mit dem «Asia Food Town» einfach ein grosses asiatisches Restaurant. Hauptsächlich für Touristen, sagt sie. Auch eine Wohnung sei zugunsten von Geschäften vor ein paar Jahren verlorengegangen.

Sie vermisst das Café und die Bäckerei nebenan

Generell bedauert es Renggli, dass das Angebot an Geschäften nur noch auf den Tourismus ausgerichtet sei. «Früher habe ich bei der Bäckerei Zai am Grendel eingekauft und mich im Café Moc, im Café Emilio oder im Mövenpick mit Freunden verabredet. In den Modegeschäften Balletto, Next by Kofler und Ochsner Sport habe ich immer wieder schöne Kleider und Schuhe direkt vor meiner Haustür gefunden.»

Reaktionen auf ihre Aktion mit den Kerzen und Trauerkarten habe sie einige erhalten. Auch von Leuten, die früher einmal am Grendel wohnten. «Endlich mache mal jemand etwas», habe der Tenor bei vielen gelautet. «Ich wünsche mir ganz klar, dass die Touristenmassen nach Corona nicht mehr im gleichen Umfang zurückkehren», lautet Rengglis Botschaft an die Entscheidungsträger, auf der ihre Aktion fusst.

Reaktionen direkt vor Ort habe es aber auch von zwei Mitarbeitern eines Luxusuhrengeschäfts gegeben. «Einer der Männer hat mich wiederholt gefragt, ob es mir eigentlich egal sei, dass am Grendel momentan viele Menschen keine Arbeit haben und in der Branche allgemein viele Arbeitsplätze verloren gehen», erinnert sich Renggli. «Ich habe ihm entgegnet, dass die früheren Betriebe wie die Bäckerei Zai Lehrlinge ausbildeten und Einheimische beschäftigten.»

Sind Einheimische nur Lückenbüsser?

Es sei diese Gleichgültigkeit, die manche Verantwortliche an den Tag legten, die sie störe. Auch wenn ihr bewusst sei, dass der Mitarbeiter wohl nicht aus Luzern stamme und einfach vor Ort seinen Job machen müsse. «Genervt hat mich aber vor allem, dass der Mann mir geraten hat, zum Kaffeetrinken doch einfach ins Bruchquartier oder in die Neustadt zu gehen.»

«Aussitzen und dann die ganze Walze wieder hochfahren, wird wohl die Strategie vieler Player sein.»

Zu denken gebe ihr ausserdem, dass man erst dann auf die Einheimischen und die Touristen aus der Westschweiz gesetzt habe, als der internationale Reiseverkehr zusammenbrach. Dass sich mittelfristig etwas ändert, mag Hedwig Renggli darum momentan nicht glauben. Denn viele seien so gierig auf die Grossgruppen, dass sie infrage stellt, ob diese Unternehmer wirklich bereit sein werden, hier etwas herunterzufahren.

Sie glaubt nicht an Veränderungen

«Aussitzen und dann die ganze Walze wieder hochfahren, wird wohl die Strategie vieler Player sein», befürchtet Renggli. Obwohl Corona gezeigt habe, dass plötzlich zuvor undenkbare Lösungen realistisch sind. Renggli spricht die Parkplatzbeizen an. «Hier müssen wir Betroffenen künftig den Finger drauf halten und sagen, dass es während der Pandemie ja auch geklappt hat, für drängende Herausforderungen Ideen zu finden und umzusetzen.»

Die Lösung habe natürlich auch sie nicht, sagt Renggli zum Schluss und mit Nachdruck. «Ich wünsche mir als Bewohnerin der Stadt einfach, dass es in der Altstadt sowohl für Touristen als auch für Einheimische genügend Platz gibt. Dass man bereit ist, alle Stimmen anzuhören und dass man, wenn nötig, halt eine Coronazwischenschlaufe einlege. Auch wenn es dafür vielleicht eine zusätzliche Umfrage braucht.»

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