Wie fair sind die Prüfungen in Luzerner Schulen?

Vincent: «Zum normalen Schulbetrieb gehören Lernkontrollen»

Sieht keinen Grund, weshalb die Prüfungen unfair sein könnten: Charles Vincent, Leiter der Abteilung Volksschule. (Bild: bic)

In der Primarschule werden trotz Corona, Isolation und fünf Wochen Homeschooling in drei Fächern Prüfungen durchgeführt. Doch können solche Tests fair sein, wenn die Kinder zuhause völlig unterschiedliche soziale Bedingungen vorfinden? Der Kanton beschwichtigt.

Der Regierungsrat hat entschieden: Am 11. Mai gehen auch im Kanton Luzern die Primarschulen wieder auf. In den Klassen wird normaler Präsenzunterricht stattfinden, allerdings unter strikt einzuhaltenden Schutz- und Hygieneregeln (zentralplus berichtete).

Eine weitere Anordnung lässt jedoch aufhorchen. Die Lehrerinnen der Primarschule sind verpflichtet, in den Fächern Deutsch, Mathematik und Natur/Mensch/Gesellschaft Prüfungen durchzuführen.

Schüler aus unterschiedlichen sozialen Schichten

Das Thema Prüfungen hatte diese Woche bereits für Diskussionen gesorgt, da der Regierungsrat auch an den schriftlichen Maturaprüfungen festhielt. Der Verband der Kantilehrer und die linken Parteien hatten dies heftig kritisiert, da sie befürchten, dass sich die psychischen Belastungen während der Isolation negativ auf die Resultate auswirken könnten (zentralplus berichtete).

Bei der Primarschule liegt die Situation allerdings etwas anders. Weil sie jünger sind als Gymi-Schüler, ist es schwieriger, den Stoff alleine zu büffeln. Glücklich sind folglich diejenigen Kinder, deren Eltern sie dabei begleiten und unterstützen können.

Doch was ist mit den Schülern, die aus bildungsfernen Schichten stammen und deren Eltern nicht oder nur sehr schlecht Deutsch können und somit die Merkblätter und Anweisungen der Lehrerinnen nicht verstehen?

Sind sie gleich gut vorbereitet wie ihre «Gspändli» aus anderen Familienverhältnissen und kann die Notengebung so überhaupt fair sein? Oder anders gefragt: Ist die ganze Übung pädagogisch sinnvoll?

Diskussion wird unabhängig von Corona geführt

Mitverantwortlich für den kantonalen Entscheid ist Charles Vincent, Leiter der Abteilung Volksschule im Bildungsdepartement vom parteilosen Regierungsrat Marcel Schwerzmann. Die Befürchtungen teilt er nicht. Er hält fest: «Wir werden letztlich zwei Drittel des Semesters wie üblich absolviert haben, und zu einem normalen Schulbetrieb gehören Lernkontrollen. Das ist halt so.»

Über Sinn und Unsinn von Prüfungen diskutiere man ausserdem nicht erst seit Corona.

«Der Lehrerverband und der Verband der Schulleiterinnen und Schulleiter begrüssen die Vorgehensweise.»

Charles Vincent, Leiter Dienststelle Volksschulbildung

Man habe aber Empfehlungen herausgegeben, die Tests frühestens nach zwei Schulwochen abzuhalten, so Vincent. «Diese Zeit soll genutzt werden, um Schüler individuell zu fördern und andere den Stoff vertiefen zu lassen. Nach dieser Zeit spricht eigentlich nichts gegen Prüfungen.» Insbesondere, da der Betrieb nun vergleichsweise früh wieder aufgenommen werden kann.

«Es wird Diskussionen geben»

Auch aus pädagogischer Sicht sei es richtig, die Prüfungen durchzuführen, ist Vincent überzeugt. Es sei aber klar, dass nicht alle Lehrer hinter diesem Entscheid stehen. So habe man E-Mails erhalten, in denen beide Sichtweisen dargelegt werden.

«Aber auch der Lehrerverband und der Verband der Schulleiterinnen und Schulleiter begrüssen die Vorgehensweise. Vor dem Beschluss haben wir diese kontaktiert», sagt Vincent. Damit nimmt Vincent Bezug auf die Kritik, dass beim Entscheid zu den Maturaprüfungen die Lehrer nicht einbezogen worden sind.

Sollte es aber tatsächlich vorkommen, dass ein Schüler tatsächlich klar schlechter abschneidet als vor der Corona-Krise, könne man problemlos einige Noten aus dem ersten Semester in die Berechnungen einfliessen lassen. «Die Lehrpersonen haben hier einen pädagogischen Spielraum», schiebt er den Ball seinen Leute an der Front zu. Sprich: Die Gewichtung der schlechten Prüfung wird abgeschwächt.

«Die fünf Wochen ohne Präsenzunterricht sind nicht entscheidend.»

Hätte man so nicht gleich alles sein lassen können? Vincent dementiert: «Es geht um das Übertrittsverfahren in die nächste Klasse. Würden wir die Prüfungen nicht durchführen, müssten wir verschiedenste Regelungen treffen, wie wir damit umgehen wollen.»

Dass es aus diesen Gründen aber trotz Prüfungen zu Diskussionen und Spezialregelungen kommen kann, verneint Vincent nicht und spricht darum von Einzelfällen. Führen werden die Gespräche aber nicht Vincent und seine Mitarbeiter in den Büros des Bildungsdepartements, sondern die Lehrer und Schulleiterinnen an der Basis.

Aussagekraft der Noten wird geschwächt

Auch aus gesellschafts- und bildungspolitischer Perspektive hegt er keine Bedenken und auch die Chancengerechtigkeit sieht Vincent nicht in Gefahr. «Unabhängig von Corona erreichen rund 20 Prozent der Schüler die Lernziele bei den Grundkompetenzen nicht. Somit sind die fünf Wochen ohne Präsenzunterricht nicht entscheidend», so Vincent. Bei der gewählten Lösung handle es sich letztlich um einen gutschweizerischen Kompromiss.

Das sieht man auch beim Lehrerverband so, wie Präsident Alex Messerli gegenüber «Pilatus Today» ausführt: «Die Benotung passiert unterschiedlich beziehungsweise in Schwerpunktfächern. Dies ist sicher ein Kompromiss, da eine Benotung in allen Fächern die Lernenden und die Lehrpersonen unnötig belasten würde und die Aussagekraft der einzelnen Noten noch weiter schwächen würde.»

Ein starkes Plädoyer für die Prüfungen ist auch das nicht. Wie sich der Mittelweg letztlich auswirkt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.

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