Neue Kritik von links am Bauprogramm

Sorge um Durchgangsbahnhof: «Fatales Signal nach Bern»

Vier unterirdische Gleise soll es in Luzern mit dem Durchgangsbahnhof geben. Doch Grüne und SP sehen das Projekt in Gefahr. (Bild: SBB)

Hunderte Millionen Franken investiert der Kanton Luzern in den kommenden Jahren in den Strassenbau. Das gefährde den Durchgangsbahnhof, warnen die Linken. Bürgerliche sehen die Sache ganz gelassen.

Der Luzerner Kantonsrat hat am Montag das kantonale Bauprogramm für die Periode 2023 bis 2026 verabschiedet. Damit hat er grünes Licht gegeben, dass der Kanton unzählige Strassenbauprojekte mit einem Gesamtwert rund 500 Millionen Franken planen und realisieren kann (zentralplus berichtete).

Bei den linken Parteien im Rat, insbesondere bei den Grünen, sorgte dieser Entscheid für Kopfschütteln. Die Fraktion forderte gar die Rückweisung des Geschäfts, blieb mit dieser Forderung jedoch erfolglos.

Dass die Grünen keine Freunde von Strassenbauprojekten sind, ist keine Überraschung. Doch ihre Kritik am Programm drehte sich nicht nur um klimapolitische Aspekte. Die Grünen machten den Durchgangsbahnhof zum zentralen Thema. Und griffen damit die Verkehrsdiskussion der Stunde auf.

Neue Strassen gefährden den Durchgangsbahnhof

Erst in der Woche zuvor hatte ein Blog-Beitrag des Bundesamts für Verkehr (BAV) nämlich für viel Aufregung gesorgt. Um den Bahnbetrieb nicht zu gefährden, stellte das BAV einen Stopp für Grossprojekte in den Raum. Daraufhin schrillten in der Zentralschweiz sofort die Alarmglocken, was das nun für den DBL bedeutet (zentralplus berichtete).

«Aus dem aktuellen Strassenbauprogramm ist keine grosse Bestrebung ersichtlich, der ÖV-Förderung und dem DBL ein höheres Gewicht zu geben.»

Judith Schmutz, Kantonsrätin Grüne

Die Kantonsrätin Judith Schmutz (Grüne/Junge Grüne) stellt im Gespräch mit zentralplus klar: «Die Berichte haben gezeigt, dass der Durchgangsbahnhof nicht in Stein gemeisselt ist.» Und hier fusst ihre Kritik am vorliegenden Bauprogramm: «Je mehr grosse Strassenprojekte der Kanton Luzern plant und realisiert und je attraktiver der motorisierte Individualverkehr gemacht wird, desto grösser wird die Gefahr, dass der DBL nicht oder verzögert gebaut wird.»

Regierung sendet «fatales Signal» nach Bern

Ihre Überlegungen sind simpel. Neue Strassen erhöhen die Attraktivität für den Autoverkehr. Doch das schade dem Ziel, die Menschen zum Umstieg vom Auto auf den ÖV zu motivieren. Und solange die Benutzung des ÖV in der Innerschweiz auf tiefem Niveau stagniert, sei die Legitimität des Milliardenprojekts DBL zur Förderung des ÖV infrage gestellt. Denn wenn das nationale Parlament 2026 über die Zukunft des DBL entscheidet, spielt das Kosten-Nutzen-Verhältnis eine wesentliche Rolle.

So könnte der Bahnhofplatz nach dem Bau des Durchgangsbahnhofs aussehen. (Bild: zvg)

Die Entscheidung über den DBL liegt also zwar beim National- und Ständerat. Doch Judith Schmutz betont, dass der Kanton immerhin den prognostizierten Nutzen des Projekts beeinflussen könne, in dem er den ÖV massiv fördert. «Doch eine gegenteilige Tendenz ist sichtbar. Aus dem aktuellen Strassenbauprogramm ist keine grosse Bestrebung ersichtlich, der ÖV-Förderung und dem DBL ein höheres Gewicht zu geben.»

«Die aktuellen Entwicklungen in Bern sind sehr besorgniserregend.»

Hasan Candan, Kantonsrat SP

Dass der Regierungsrat im jüngsten ÖV-Bericht gar noch die ÖV-Ziele für die Agglomeration herabgesetzt hat, erachtet Schmutz als «fatales Signal» nach Bern, dass der Kanton nicht auf Kurs ist und der ÖV keine grosse Bedeutung für die Region hat. «Viele im Kantonsrat gewichten den Autoverkehr höher als den ÖV. Und daran könnte der DBL letztlich scheitern.»

Wenn der Kanton den «Fünfer und das Weggli» will

Die Kantonsrätin erhielt in der Debatte Rückendeckung von Hasan Candan (SP). Er hatte mehrere Anträge zum Strassenbauprogramm gestellt, die sich alle auf Projekte im Luzerner Stadtzentrum bezogen. Projekte zur Förderung des ÖV sollen auf diesen Achsen prioritär umgesetzt werden und den Bau und die Realisierung des DBL bereits miteinbeziehen, forderte Candan.

«Die aktuellen Entwicklungen in Bern sind sehr besorgniserregend», fasste der Kantonsrat den Blog-Beitrag des Bundes zusammen. «Wir müssen darum ein Signal nach Bern schicken, dass wir den DBL wirklich wollen. Dazu gehört, dass wir bereits eine Lösung für den ÖV während der Bauphase des DBL auf dem Tisch haben.»

«Die Aussage, das Bauprogramm gefährde den Durchgangsbahnhof, ist nicht nur Schwarzmalerei, sondern ganz einfach falsch.»

Urs Marti, Kantonsrat Die Mitte

In einem weiteren Antrag forderte Candan, dass die Reussportbrücke, ein Überbleibsel der inzwischen beerdigten Spange Nord, endgültig aus dem Bauprogramm entfernt wird. Momentan befindet sich das Projekt, das mit einer Brücke über die Reuss einen neuen Autobahn-Anschluss auf Höhe Lochhof vorsieht, im Topf C des Bauprogramms. Candan meinte dazu: «Wir wollen sowohl mit dem Auto als auch mit dem Zug in die Stadt. Nur wird uns Bundesbern nicht beides gewähren.» Die klassische «Füüfer und Weggli»-Frage.

Bürgerliche Parteien bleiben gelassen

Candans Anträge blieben im Parlament jedoch chancenlos. Denn in der Mitte-Fraktion beispielsweise sieht man die ganze Diskussion wesentlich gelassener. Kantonsrat Urs Marti hat sich am Montag entschieden für das Bauprogramm ausgesprochen. Er sagt auf Anfrage: «Die Grünen glauben, ein Moratorium für die Weiterentwicklung unseres Strassennetzes ist der Weisheit letzter Schluss. Die Ratslinke verkennt aber, dass wir Strassen auch für Velo, Fussgängerverkehr und insbesondere auch den ÖV bauen.»

Wäre der Kantonsrat dem Rückweisungsantrag der Grünen gefolgt, hätte dem Kanton ab 1. Januar die rechtliche Grundlage für jegliche Bauprojekte gefehlt. Darum hat auch die SP den Antrag nicht unterstützt, weil es einen verkehrspolitischen Stillstand bedeutet hätte.

Auch Urs Marti betont, dass es beim Bauprogramm um die Gesamtmobilität und nicht nur um den Autoverkehr geht: «Es geht also nicht um den 5er und das Weggli, es geht um eine Gesamtschau und Systemlösungen, die wir als Kantonsrat zu verantworten haben.»

Kritik am Bauprogramm: Berechtigt oder Polemik?

Darum teilt Marti die Befürchtungen von Schmutz und Candan zur Zukunft des DBL überhaupt nicht: «Die Aussage, das Bauprogramm gefährde den Durchgangsbahnhof, ist nicht nur Schwarzmalerei, sondern ganz einfach falsch.»

Urs Marti wirft den Linken Polemik vor. Diese findet Judith Schmutz jedoch gerechtfertigt. «Der Kanton fühlt sich beim DBL zu sicher und nimmt die ganze Diskussion auf die leichte Schulter. Darum braucht es deutliche Worte.»

Worte, die am Montag in den Weiten des Kantonsratssaals ungehört verhallten.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Judith Schmutz
  • Schriftlicher Austausch mit Urs Marti
  • Debatte im Kantonsrat
  • Unterlagen zum Bauprogramm 2023-2026

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Hugo Ackermann
    Hugo Ackermann, 03.12.2022, 11:05 Uhr

    Das verabschiedete kantonale Strassenbauprogramm und der DBL sind Teile des Themenkreis Gesamtmobilität im Raum Luzern. Zuständigkeiten und Finanzierung sind getrennt. “Falsche Signalenach Bern“ gibt es nicht.
    Bahnausbau: Die SBB benötigen eine Konsolidierungsphase .Bis mindestens 2033 keine zusätzlichen Baustellen auf dem Netz, Baubeginn DBL massiv verschoben, Überörüfung Kosten-Nutzen-Verhältnis. Lösungsvorschlag: DBL-Standort „Sentimatt“ anstatt „bestehender Sackbahnhof“ (zentralplus (1/8/22).
    Beschrieb: bahnbetrieblich optimierter Standort und Form der Mobilitätsdrehscheibe Zentralschweiz,vom Zustand des übrigen Netz unabhängiger Baubeginn möglich, während der Bauzeit keine die Funktionen des Netz störenden Baustellen, keine Gefährdung der städtischen Wirtschaft während der jahrzehntelangen Bauzeit, die für die Innenstadt existenznotwendigen Parkhäuser bleiben erhalten, das Potential für städtebauliche Aufwertungen wird frei, bleibende Entlastung der Innen stadt vom nicht stadtteilrelevanten Verkehr, insgesamt unvergleichlich besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis. Zuständig für Antrag Projektänderung: Stadt.

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  • Profilfoto von hombi
    hombi, 30.11.2022, 14:20 Uhr

    Mit dieser Verkehrspolitik können wir den DBL wirklich vergessen. Bern hat mit der Aussage «Die Luzerner sollen endlich mal sagen was sie wollen» nicht unrecht!

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