Zukunft des Luzerner Verkehrs

Anti-Stau-Initiative: Gegenvorschlag bringt neue Probleme

Die SVP mit Kantonsrat Daniel Keller hat einen bürgerlichen Gegenvorschlag zur Anti-Stau-Initiative formuliert. (Bild: Adobe / SVP Luzern)

Das Luzerner Kantonsparlament hat einem neuen Gegenvorschlag zur Anti-Stau-Initiative zugestimmt. Dieser hat politisch wohl grosse Chancen – doch die juristische Umsetzung ist fraglich.

FDP-Kantonsrat Martin Birrer brachte das Problem gleich zu Beginn der Debatte im Luzerner Kantonsrat am vergangenen Dienstagvormittag auf den Punkt: «Die Anti-Stau-Initiative greift ein Problem auf, das die wenigsten von uns gerne haben – Stau!» Und darin liegt das politisch grosse Potenzial der Initiative, die aus der Feder der Jungen SVP stammt: Niemand will im Stau stehen.

Die Erfolgschancen der Initiative sind darum nicht so schlecht, auch wenn sie den aktuellen Verkehrsparadigmen komplett widersprechen. Die Initiative will Stau mit mehr Strassen bekämpfen – obwohl in der Verkehrsplanung schon vor vielen Jahren die Erkenntnis Einzug hielt, dass mehr Strassen letztlich zu mehr Verkehr führen – und im Endeffekt wieder zu Stau.

Gegenvorschlag der Regierung ist ungenügend

Dem Vorstoss sollte darum ein gemässigter Gegenvorschlag gegenübergestellt werden. So wollte es der Luzerner Kantonsrat bei der Diskussion der Initiative im Herbst 2021. Offenbar bestand im Parlament die Angst, dass die Initiative in einer Abstimmung angenommen werden könnte, was die kantonale Verkehrsplanung auf den Kopf stellen würde (zentralplus berichtete).

Die Regierung kam dem Auftrag nach, doch vermochte sie mit ihrem Entwurf niemanden zu überzeugen (zentralplus berichtete). Linken Parteien war der Entwurf noch immer zu extrem, aus Sicht der bürgerlichen Parteien hingegen verwässerte er das Anliegen der Initianten. Vieles deutete darauf hin, dass die Initiative ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung kommt.

Die SVP wollte dies verhindern und entwarf einen neuen Gegenvorschlag – einen «bürgerlichen Gegenvorschlag», wie es Kantonsrat Daniel Keller nennt. Ein kluger Schachzug, wie sich am Dienstagmorgen im Rat herausstellte. Denn der Gegenvorschlag scheint mehrheitsfähig und ist gleichzeitig deutlich näher am Anliegen der Initianten als der Entwurf der Regierung.

So unterscheiden sich die verschiedenen Vorlagen

Worin unterscheiden sich die Initiative und die beiden Gegenvorschläge? Die Initiative fordert, dass sich die Strassenplanung an der Nachfrage des «privaten motorisierten Verkehrs», also an den Autos, orientiert. Wo es zu viele Autos hat, braucht es grössere Strassen. Zudem dürfen die bestehenden Kapazitäten von Kantonsstrassen nicht reduziert werden.

Die Anti-Stau-Initiative im Wortlaut. (Bild: Kanton Luzern)

Die Regierung weitete diese Forderung in ihrem Vorschlag auf alle Verkehrsmittel aus. Die Gesamtmobilität soll sichergestellt werden, unabhängig davon, ob das mit dem Auto, dem Bus oder dem Velo erfolgt. Wichtig ist, dass man gut von A nach B kommt, egal wie. Ist eine Reduktion der Strassenkapazität unvermeidlich, soll das auf dem umliegenden Verkehrsnetz ausgeglichen werden.

«Mit dem Gegenvorschlag wird verhindert, dass das heutige Strassennetz nicht immer weiter für den ÖV zweckentfremdet wird.»

Daniel Keller, Kantonsrat SVP

Das ist den bürgerlichen Parteien zu schwammig. Der bürgerliche Gegenvorschlag erwähnt darum explizit den «strassengebundenen Privat- und Wirtschaftsverkehr». Also primär Autos, Lieferwagen, Töffs und Lastwagen. Der Kanton müsse für diese Verkehrssparten ein «leistungsfähiges Strassennetz» sicherstellen. Und: Komme es zu einer Verminderung der Kapazität einer Strasse, müsse diese im «umliegenden Strassennetz mindestens» kompensiert werden.

Der Gegenvorschlag zur Initiative der Regierung (links) und der bürgerliche Gegenvorschlag. (Bild: Kanton Luzern)

SVP-Kantonsrat Daniel Keller sagt auf Anfrage: «Mit dem Gegenvorschlag wird verhindert, dass das heutige Strassennetz nicht immer weiter für den ÖV zweckentfremdet wird.» Damit spricht Keller separate Busspuren an, auf denen keine Autos fahren dürfen. Zudem soll eine Reduktion der Leistungsfähigkeit einer Strasse auf dem Strassennetz kompensiert werden und nicht im umliegenden Verkehrsnetz, wie es die Regierung in ihrem Entwurf wesentlich allgemeiner formulierte. «Bahn und Bus statt Auto würde das bedeuten», fasst Keller zusammen, was für ihn nicht infrage kommt.

Gegenvorschlag widerspricht Verkehrspolitik des Kantons

Doch der neue Gegenvorschlag stellt die Regierung vor ein Problem. Denn gerade am Vortag verabschiedete das Parlament die neue Mobilitätsstrategie «Zumolu». Diese orientiert sich an den Zielen, Verkehr zu vermeiden und vom Auto auf den ÖV oder das Velo zu verlagern.

«Inhaltlich richtet der Gegenentwurf wohl ähnlichen Schaden wie die Initiative an.»

Judith Schmutz, Kantonsrätin Grüne

So sagt auch Grünen–Kantonsrätin Judith Schmutz auf Anfrage: «Meiner Meinung nach ist der neue Gegenentwurf nicht mit unseren Planungsinstrumenten vereinbar.» Die Formulierung sei einfach weniger radikal als die der Initiative, «inhaltlich richtet der Gegenentwurf aber wohl ähnlichen Schaden an».

Darum hat sie sich im Vorfeld der Ratsdebatte beim Rechtsdienst des Kantons erkundigt. Und auch dieser hat Bedenken. So schreibt der Rechtsdienst auf die Anfrage von Schmutz: «Eine solche Lösung steht in möglichem Konflikt mit den Planungen des Bundes und jenen des Kantons und auch den im kantonalen Strassengesetz verankerten Grundsätzen.» Insbesondere, da der neue Gegenvorschlag mindestens eine Kompensation verloren gegangener Strassenkapazitäten fordert. Aus dieser Formulierung lässt sich daher auch eine Vergrösserung der Strassenkapazitäten ableiten, was nicht den Verkehrszielen des Kantons entsprechen würde.

Der Rechtsdienst erkundigte sich auch beim Kanton Zürich. Dort gibt es in der Verfassung einen fast identischen Artikel. «Dort findet eine Abwägung im Einzelfall statt, wobei man sich bewusst ist, dass das vor Gericht nicht Bestand haben könnte», schreibt der Rechtsdienst an Schmutz. Juristisch steht der neue Gegenentwurf also auf wackligen Beinen.

Kanton steht vor delikater Ausgangslage

Regierungsrat Fabian Peter (FDP) warnte den Luzerner Kantonsrat denn auch davor, dass dieser Gegenvorschlag viel Interpretationsspielraum offen lässt – und dass es bei der konkreten Planung von Verkehrsprojekten zu Rechtsunsicherheiten und zahlreichen Beschwerden kommen könnte.

Sein Votum verhallte im Saal ohne Wirkung. Die Ausgangslage für den Kanton ist somit delikat. Der neue Gegenvorschlag hat im bürgerlich geprägten Kanton Luzern gute Chancen, doch scheint er den verkehrspolitischen Zielen des Kantons klar zu widersprechen.

In welcher Konstellation und ob die Vorlage letztlich überhaupt zur Abstimmung kommt, ist aber noch nicht klar. Der neue Gegenentwurf geht als Nächstes zur zweiten Beratung in die Kommission zurück. Und ob die Junge SVP ihre Initiative zugunsten des Gegenvorschlags zurückzieht, ist noch nicht bekannt. In diesem Fall würde es keine Abstimmung geben und das Luzerner Strassengesetz wäre um einen Artikel reicher.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Jim Binnenkade
    Jim Binnenkade, 24.03.2023, 12:16 Uhr

    Um auf dem ganzen Stadtgebiet schlicht und einfach willkürliche Parkfelder ersatzlos auf zu heben, wie das in der LZ vom 23. d.d. zu lesen ist, um einen Grund zu finden Raum und Platz für neue Radwege zu verschaffen, so etwas spricht sicher nicht für eine sorgfältig überlegte Mobilitätspolitik zur Verbesserung des öffentlichen Raumes. Aber wie können und wollen wir sorgfältig den öffentlichen Raum zu ihrer Erreichbarkeit anpassen und verbessern. Mit Sicherheit keine leichte Aufgabe. Denn Luzern ist eine historisch gewachsene Stadt mit einer relativ kleinen Fläche worin viele Menschen wohnen und arbeiten gehen. Wie wollen wir Strassen, Plätze, Wege wie auch der ÖV so einrichten, dass möglichst viele Menschen gut und flott zu ihren Zielen kommen. Von den Luzernern und all jenen aus der Agglomeration, die jeden Tag ihre optimale Möglichkeit zum reisen auswählen, von den Unternehmungen und Geschäften, die mitbestimmen wie ihr Personal und ihre Güter an- und abtransportiert werden sollen, wie von den vielen Besuchern von nah und fern, die täglich das Angebot unserer schönen Stadt benützen wollen. Und wie können wir gleichzeitig für jeden eine gewünschte und nötige Qualitätsverbesserung im öffentlichen Raum erzielen? Es braucht neue Wege solche spezifische Probleme konkret zu lösen. Es wird sich auch eine zukünftige Mobilitätsführung als Überkuppelendes Organ für den Zusammenhang zwischen den diversen Arten und Formen des Transports zeigen müssen um daraus wieder das Gesamtbild für diese Stadt skizzieren zu können. Sie muss die Grundlage für eine Mobilitätsführung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten bilden. Dazu wird der Einsatz von vielen benötigt um die daraus skizierten Zielen zu erreichen, denn die Zeit ist knapp. Fast zu knapp!
    Jim Binnenkade , Dipl. Bau-Ing. FH, Luzern.

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  • Profilfoto von Christian Scherrer
    Christian Scherrer, 22.03.2023, 12:23 Uhr

    Warum bewegen sich diese Evolutionsbremser nicht hoch zu Pferd vorwärts? Geschickt geritten, kann sich das Pferd auch rückwärts bewegen.

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