Kommentar zu Sinn und Unsinn der Anti-Stau-Initiative

Luzerns JSVP reist mit Initiative zurück in 1950er-Jahre

Freie Fahrt ins Grüne: Hach, waren das noch Zeiten für Autofahrer!

Die Anti-Stau-Initiative der Jungen SVP ist bemerkenswert. Die Idee, Stau mit dem Bau von mehr Strassen zu bekämpfen, scheint aus einer anderen Epoche zu stammen. Und trotzdem könnte sie nicht aktueller sein.

Die einzig wahre Lösung für die Stauprobleme auf Luzerns Strassen liegt im Bau neuer (oder breiterer) Strassen. Das ist die Quintessenz aus der Anti-Stau-Initiative, die am Montag im Luzerner Kantonsrat behandelt wird (zentralplus berichtete).

Nun könnte man die Initiative der Jungen SVP kurz und knapp als «klassischen Manta-Fahrer-Fiebertraum aus den 1980ern» abtun. Aber damit macht man es sich zu einfach. Hinter der Initiative steckt mehr. Die rund 4000 gesammelten Unterschriften fanden ihren Weg nicht aus dem Äther auf die Initiativbögen.

Zurück ins Autoeldorado

Im Grunde will die Junge SVP mit Unterstützung der Mutterpartei den Rückwärtsgang einlegen. Zurück in eine Verkehrsepoche, als das Auto sonnenähnlich im Zentrum des gesamten Verkehrssystems stand.

Zurück in eine Zeit, als für das Auto ohne mit der Wimper zu zucken kilometerweise neue Strassen aus dem Boden gestampft wurden. In eine Zeit, als Gemeindepräsidenten mit vor Stolz geschwellter Brust neue Hauptachsen einweihten, die mitten durchs Dorf führten und als die «Gurttragepflicht» sich höchstens auf das sonntags getragene Beinkleid bezog. Zurück in eine Zeit also, als Verkehrs- und Siedlungsplanung sich praktisch ausschliesslich nach den Bedürfnissen der Autofahrer richteten.

Oberflächlich betrachtet ist die Motivation der Initianten deshalb klar: Ein bisschen gegen die moderne Antiautotyrannei von Klimajugend und Stadtpolitikerinnen wettern und mit dem Verweis auf die «guten alten Zeiten» die eigene Basis abholen. «Nützt's nüt, so schadt's nüt.» Aber steckt da auch noch was unter der Haube?

Emotionale Ebene trifft einen Nerv

Politisch steht die Initiative unverhohlen quer in der Landschaft. Den Initianten dürfte durchaus bewusst sein, dass praktisch alle verkehrspolitischen Bestrebungen von Bund und Kanton in die entgegengesetzte Richtung gehen.

Verlagerung hin zum öffentlichen Verkehr, Förderung des Langsamverkehrs, Siedlungsentwicklung gegen innen, Park- & Ride, Verkehrsdosierungsanlagen, Busbevorzugungssysteme, Mobility Pricing, autofreie Flaniermeilen: Das ist die Welt von heute. Die Rolle und der Platz des Autos – erst recht solcher mit Verbrennungsmotor – wird in dieser neuen Welt zunehmend infrage gestellt.

«Wir stehen nicht im Stau fest, wir sind der Stau.»

Und genau hier vermag diese Initiative wohl eben doch zu punkten – und zwar nicht bloss bei SVP-Hardlinern. Die Initiative hat die Tonalität eines Protestrufs, der bei so manchem Autofahrer durchaus einen Nerv trifft: Das Gefühl, dass sie stets den Kürzeren ziehen, dass Verschärfungen im Strassenverkehr immer sie treffen und dass das Autofahren generell dämonisiert wird. Dosierungsanlagen oder Fahrbahnhaltestellen (bei denen der Bus nicht überholt werden kann) sind lediglich Praxisbeispiele für eine täglich gefühlte Schikane und Verdrängung.

Klar: Wer vor einer Dosierungsanlage feststeckt, wird kaum Trost im Gedanken finden, dass andere dafür in diesem Moment flüssiger durch den Verkehr kommen. Da ist sich halt jeder selbst Nächste.

Ernüchternde Selbsterkenntnis

Das Problem der Anti-Stau-Initiative: Ihr Lösungsansatz – ein Ausbau der Strassenkapazitäten zugunsten der Autos – wurde in den vergangenen 70 Jahren ganz konkret in der Praxis getestet. Mit dem Resultat, dass wir länger im Stau festsitzen denn je.

Die wenig schmeichelhafte Realität ist letztlich diese: Wir stehen nicht im Stau fest, wir sind der Stau. Zu dieser (Selbst-)Erkenntnis sind Verkehrsplaner von Bund und Kantonen mittlerweile gekommen. Der Lösungsansatz ist entsprechend nicht alleine in der Infrastruktur, sondern vor allem im Mobilitätsverhalten von jedem von uns zu suchen.

Ausdruck dafür ist etwa die kantonale Mobilitätsstrategie, die derzeit in der Vernehmlassung steckt und die unter anderem auf eine Verlagerung weg vom motorisierten Individualverkehr (MIV) setzt (zentralplus berichtete). Oder der Bund, der ÖV-Drehscheiben wie den Seetalplatz fördern will (zentralplus berichtete). Oder die Klima- und Energiestrategie der Stadt Luzern, die Benzinautos ganz aus dem Verkehr verbannen will (zentralplus berichtete).

Eine perfekte Lösung aller Verkehrsprobleme hat bisher freilich noch niemand gefunden – sie in den 1950er-Jahren zu suchen, macht jedoch wenig Sinn.

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5 Kommentare
  • Profilfoto von Rama
    Rama, 05.12.2021, 18:32 Uhr

    Sie bauten Strassen und ernteten mobilisierten Verkehr. Der ÖV und der Berufspendlerverkehr muss oberirdisch verstärkt werden. Auch braucht es finanzielle Anreize. Da braucht es keine Untertunnelung der Stadt. Der Werkverkehr kann gezielt auf gewisse Verkehrsachsen umgeleitet werden.

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  • Profilfoto von Enrico Ercolani, liberale Senioren Kriens
    Enrico Ercolani, liberale Senioren Kriens, 05.12.2021, 13:51 Uhr

    Nordumfahrung oder Spange Nord, mit Tunnel bis zum Verkehrshaus sind Strassen die gebaut werden müssen, damit die Stadt jährlich von zehntausenden Autos entlastet werden kann. Enorme Abgas- und Lärmbelastungen könnten dadurch vermieden werden. Die JSVP hat recht, mehr Strassen am richtigen Ort brächte der Umwelt und den Menschen in der Stadt sehr viel. Auch das Parkhaus Mussegg würde die Stadt vom Verkehr enorm entlasten. Weit- und Übersicht ist leider in diesen Fällen nicht die Stärke der Grünen, Grünliberalen und der SP.

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    • Profilfoto von Samuel Kneubuehler
      Samuel Kneubuehler, 06.12.2021, 09:33 Uhr

      Hören Sit doch auf mit Ihren längst abgeschriebenen, da zu teuren, Fantastareien, Herr Ercolani!

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    • Profilfoto von Michel von der Schwand
      Michel von der Schwand, 07.12.2021, 12:35 Uhr

      Der Witz an der Sache ist die Tatsache, dass für die rückwärtsgewandten Fantastereien der SVP gar kein Platz vorhanden ist. Nonsens der SVP ohne jeglichen Nutzen für die Region.

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  • Profilfoto von Brigitte Matteuzzi
    Brigitte Matteuzzi, 05.12.2021, 13:00 Uhr

    Der «Langsamverkehr» betrifft doch heutzutage die Autofahrer! Velos und e-Bikes rasen doch schon lange an uns vorbei und beanspruchen auch noch die Trottoirs. Auto-Parkplätze werden zu «Begegnungszonen» umgebaut… Kein Wunder, kam eine solche Initiative zustande!

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