Friedhofsangestellte bettet Einsame zur Ruhe

Traurig: Wenn keine Angehörigen zum Begräbnis erscheinen

Eine Bestattung eines Menschen, von dem man nicht mehr als seinen Namen, das Geburts- und Todesdatum weiss.

Ein Mensch wird beerdigt, ohne dass ein Mensch an seinem Grab um ihn weint. Auf dem Friedhof Friedental in Luzern kommt dies vor. Wenn jemand stirbt, der keine Angehörigen hat, springen Mitarbeitende des Friedhofs ein. Ein Abschied einer Person, von der man nur Namen, Geburts- und Todestag weiss.

Keine Familie, keine Freunde, keine Nachbarn. Niemand, der den Verstorbenen kennt und den Weg aufsucht, um sich von ihm zu verabschieden und um ihn zu trauern. Der Sekundenzeiger der Uhr schreitet voran, die Minuten verstreichen. Pünktlich um zehn Uhr findet im Friedhof Friedental in Luzern eine Urnenbeisetzung statt.

Nicole Waldispühl, Beraterin der Friedhofverwaltung, befindet sich in der Einsegnungshalle. Sie wartet. Darauf, dass vielleicht doch noch jemand auftaucht. Die Zeiger der Uhr laufen unbeirrt weiter. Es ist viertel nach zehn. Sie realisiert, dass sie heute alleine sein wird. Sie nimmt die Urne und macht sich auf den Weg zum Gemeinschaftsgrab. Während sie vor dem Grab steht, hält sie einen Moment inne. Vor sich hin flüsternd, betet sie ein Vaterunser. Sie wünscht dem Verstorbenen eine gute Reise und setzt die Asche bei.

Rings um den Friedhof befinden sich Gräber mit Blumen. Gräber, die von Familienangehörigen, von Freunden und Bekannten des Verstorbenen besucht und liebevoll gepflegt werden. Ruhestätten von Menschen, wo Hinterbliebene Zuflucht finden, um trauern zu können.

Es gibt immer wieder Fälle, in denen ein Mensch stirbt und keine Angehörigen hinterlässt. Auch in Luzern – wenn auch nicht so oft.

Tendenz zunehmend

Pro Monat muss sich die Friedhofsverwaltung in bis zu fünf Fällen auf die Suche nach Angehörigen machen. Ein- bis zweimal im Monat käme es vor, dass niemand gefunden wird, der sich für die Organisation der Bestattung zuständig fühlt. «Es ist schon eine zunehmende Tendenz spürbar», sagt Josef Elmiger. «Vor 25 Jahren mussten wir noch ein bis zwei Mal pro Monat zusätzliche Abklärungen machen.»

«Es ist ein ruhiger Moment, ein Begräbnis in Stille.»

Nicole Waldispühl, Friedhofsgärtnerin

Eine solche «Bestattung von Amtes wegen» scheint anonym und distanziert. Über den Menschen, der verstorben ist, weiss man nicht mehr als seinen Namen, das Geburtsdatum und den Todestag. «Es ist ein ruhiger Moment, ein Begräbnis in Stille», erklärt Nicole Waldispühl. In den sieben Jahren, in denen sie nun als Friedhofsgärtnerin und in der Administration arbeitet, hält sie immer wieder Bestattungen ab. Auch solche, in denen sie alleine mit der Urne zum Grab schreitet.

Hoffnung, dass doch noch Trauernde gefunden werden

Stirbt jemand, der keine Angehörigen zurücklässt, wird die Friedhofverwaltung eingeschaltet. In der Regel müssen Angehörige innert zwei Tagen nach einem Todesfall beim Bestattungsamt vorsprechen. Dabei werden Fragen geklärt, wie beispielsweise der Verstorbene beerdigt werden soll.

«In 98 Prozent aller Fälle meldet sich innert zwei Tagen jemand bei uns, nachdem der Todesfall bei der Friedhofsverwaltung gemeldet wurde», sagt Josef Elmiger, Friedshofsadministrator der Stadt Luzern. Gibt es keine Angehörigen, so versucht die Friedhofverwaltung mit allen Mitteln, Adressen abzuklappern und Zurückgebliebene aufzuspüren. Sie schalten eine Annonce in der Zeitung, in der sie die Urnenbeisetzung und das Datum ankündigen. Bis zur letzten Sekunde der Urnenbeisetzung hegen sie die Hoffnung, dass doch noch jemand kommt, der die Person kannte. Und sich von ihm verabschieden möchte.

Oft auch Kostenfrage

Manchmal funktioniert es auf diesem Weg. Vor wenigen Wochen sei eine Frau verstorben, die schon vor ihrem Tod den Wunsch nach einer Bestattung von Amts wegen geäussert hat. Durch die Anzeige in der Zeitung seien an der Beisetzung drei Frauen aufgetaucht, drei ehemalige Nachbarinnen der Verstorbenen. Teilweise können sich die Zurückgebliebenen aus gesundheitlichen Gründen nicht um die Bestattung kümmern. Oder sie weigern sich schlichtweg, die Kosten dafür zu übernehmen, wie Josef Elmiger meint.

Wird niemand gefunden, so springen Mitarbeitende des Friedhofs ein. Vielfach beteilige sich auch – je nach Konfession des Verstorbenen – ein Pfarrer, der eine Grabrede hält. Der Leichnam wird zumeist kremiert und die Asche wird in ein Gemeinschaftsgrab beigesetzt.

Die letzte Ehre erweisen

Eine «Bestattung von Amts wegen» sei ein trauriger Moment, der zum Nachdenken anregt. Über das Leben und den Tod, der unausweichlich ist. Zugleich sei es etwas Schönes, jemandem die letzte Ehre erweisen zu können, wie Waldispühl erklärt.

Da die Angehörigen fehlen, die um den Verstorbenen weinen, wirke eine solche Bestattung nüchterner. Aus Selbstschutz mache sich Waldispühl nicht zu viele Gedanken über die Vergangenheit des Verstorbenen. Sie verdrängt Fragen, ob sich dieser alleine gefühlt und sich mit seinen Liebsten verkracht hat.

«Ich konzentriere mich auf diese Momentaufnahme und möchte der verstorbenen Person einen würdevollen Abschied bieten.» Ein Mensch soll nicht einfach bestattet werden – nicht ohne, dass sich jemand von ihm verabschiedet. Nicht ohne, dass es den Anschein erweckt, als ob es allen anderen gleichgültig sei, dass dieser Mensch nicht mehr da ist. Denn einen ehrenvollen Abschied hat jeder verdient, meint Waldispühl.

«Nicht selten kommen an eine Abdankung nur eine Handvoll Menschen»

Franz Zemp, Seelsorger der Gassenarbeit Luzern, hält viele Bestattungen ab, an denen nur wenige Menschen aufkreuzen. Durch seinen Beruf hat er mit vielen randständigen und suchtbetroffenen Menschen zu tun, die vielfach keinen Kontakt mehr mit ihrer Familie haben. Nach einem Todesfall versucht auch er, Angehörige zu kontaktieren.

«Nicht selten kommen an eine Abdankung nur eine Handvoll Menschen», sagt Zemp. Umso wichtiger sei es ihm, sich genügend Zeit dafür zu nehmen. Über Freunde, die der Randständige von der Gasse her kannte, die Gassenküche selbst und die Drogenabgabestelle Drop-in versucht er, Lebenserinnerungen des Verstorbenen zu sammeln und aus dessen Leben zu erzählen.

«Mit meiner Anwesenheit möchte ich stellvertretend für unbekannte Menschen am Grab sein.»

Franz Zemp, Seelsorger Gassenarbeit Luzern

«Es ist mir wichtig, dass das Leben dieses verstorbenen Menschen, der als Randständiger gelebt hat und meist mit Drogen zu tun hatte, einen würdigen Abschied bekommt. Trotz allen Brüchen und Enttäuschungen und einem Leben, das aus unserer Sicht auf die schiefe Bahn geraten ist.»

Bei Sucht-Betroffenen sei der Tod kein Tabu-Thema. Viele leben im Wissen darüber, dass sie ihre Sucht, ein letzter Schuss, ins Grab bringen könnte. Dennoch ist jeder Tod eines Kumpels von der Gasse ein Verlust, der Angst auslöst.

«Ich spüre eine gewisse Trauer um ein Leben, das sich vermutlich nie voll entfalten konnte», meint Franz Zemp. «Weil Armut oder Drogen es verhinderten. Mit meiner Anwesenheit möchte ich stellvertretend für unbekannte Menschen am Grab sein.»

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