Zuger Firma liefert die Schrauben

Die neuste ESA-Rakete: «Spitzen»-Technologie aus Luzern

Die europäische Trägerrakete Ariane 6: Ihre Spitze stellt eine Firma in Emmen her. (Bild: ESA)

Die Ära der europäischen Trägerrakete Ariane 5 ging vergangene Woche zu Ende. Auf sie folgt die Nachfolgeserie Ariane 6. Und wieder haben eine Zuger und eine Luzerner Firma die Finger im Spiel.

Während die Welt vor dem Weihnachtsbaum sitzt und die Reste vom Vorabend aufwärmt, startet in Französisch-Guyana eine Rakete. Es ist der 25. Dezember 2021, an Bord der europäischen Trägerrakete befindet sich das James-Webb-Weltraumteleskop. Es ist das grösste, leistungsstärkste und komplexeste seiner Art und soll helfen, die Ursprünge des Universums zu erforschen.

Ariane 5 war der Name der Rakete, die das Weltraumteleskop ins All beförderte. Sie wurde von der Europäischen Weltraumorganisation ESA entwickelt und war von 1996 bis 2023 im Einsatz. Als bis dahin leistungsstärkste europäische Trägerrakete ermöglichte die Ariane 5, schwere Lasten wie Satelliten ins All zu befördern. Auch Firmen aus Luzern und Zug waren an ihrem Bau beteiligt.

Bossard liefert die Schrauben

Die Rede ist von den Zentralschweizer Unternehmen Bossard und Beyond Gravity. Denn die Zuger Firma Bossard ist eine der Hauptlieferanten für Spezialteile, ohne die Ariane 5 nicht hätte abheben können. Konkret liefert Bossard Schrauben, Muttern, Spezialscheiben, Klammern, Nippel und Nieten für die Nutzlastverkleidung.

Die Nutzlastverkleidung befindet sich rund um die Spitze einer Rakete und wird üblicherweise als Raketenspitze bezeichnet. Dort schützt sie das Transportgut vor dem Lärm des Starts, dem Luftwiderstand und der Hitze. Satelliten oder Raumfahrzeuge werden innerhalb der Nutzlastverkleidung ins All transportiert.

Die Rakete Ariane 5 beim Start. (Bild: ESA)

Beyond Gravity baut die Raketenspitzen

Nur knapp 30 Kilometer von Bossard entfernt, in den Produktionshallen von Beyond Gravity, werden die Raketenspitzen gebaut. Seit dem ersten Ariane-Flug im Jahr 1979 produziert der Konzern die Raketenspitzen für alle Missionen. Er hat seinen Hauptsitz in Zürich, stellt die Teile aber in Emmen her. Und erhält dafür seit 1980 von Bossard und seiner Tochtergesellschaft Interfast AG die Schrauben und Nieten.

Mehr als 1’000’000 Verbindungselemente der Firma Bossard sind in einer von Beyond Gravity hergestellten Nutzlastverkleidung verbaut.

«In einem grossen Ofen bei Temperaturen über 200 Grad Celsius werden die Halbschalen gebacken.»

Clemens Gähwiler, Mediensprecher von Beyond Gravity

In Emmen würden Spezialisten die Spitzen für die Ariane-Raketen maschinell und per Hand zusammenbauen, erzählt der Beyond-Gravity-Mediensprecher Clemens Gähwiler auf Anfrage von zentralplus. «In einem grossen Ofen bei Temperaturen über 200 Grad Celsius werden die Halbschalen dann gebacken.» Es sei ein sehr innovatives Verfahren.

Ehemals Ruag Space

Die Firma Beyond Gravity hiess bis vor einem Jahr noch Ruag Space. Sie ist eine Tochterfirma der Ruag International. Diese wiederum entstand Anfang 2020 aus der Aufspaltung des bundeseigenen Rüstungskonzerns Ruag.

Der Bundesrat beauftragte die Ruag International, sich künftig vom Geschäft mit Rüstungsgütern zu lösen. Stattdessen sollte sich der Konzern auf die Luft- und Raumfahrttechnologie fokussieren. Die Ruag International hat seither fast alle weltallfremden Geschäftsfelder verkauft.

Heute sind nur noch der Flugzeugbau Aerostructures und Beyond Gravity übrig. Doch nicht mehr lange: Denn bald will der Bundesrat alle Sparten des Unternehmens privatisieren. Ende 2023 soll Aerostructures in andere Hände übergehen, bis spätestens 2025 will die Eidgenossenschaft auch die Raumfahrtsparte verkaufen.

Auf Ariane 5 folgt Ariane 6

Wer Beyond Gravity kaufen wird, erhält eine globale Firma. Rund 1’600 Mitarbeiter in Europa und den USA entwickeln und fertigen Produkte für Satelliten und Trägerraketen. Im Jahr 2021 erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von rund 319 Millionen Franken. Ein Beispiel: Erst kürzlich hat die Firma einen Handel mit dem US-Riesen Amazon eingefädelt, der 3’236 Satelliten für den weltweiten Breitband-Internetzugang ins Weltall schiessen will.

Auch mit der Europäischen Weltraumorganisation ESA wird die Firma weiter zusammenarbeiten. Erst vergangene Woche startete die letzte Ariane-5-Rakete von Französisch-Guyana. Kurz zuvor hat Beyond Gravity einen Folgeauftrag erhalten: die Produktion von Nutzlastverkleidungen für die nächste Generation europäischer Trägerraketen – für die Ariane 6.

«Es gibt zweistellige Wachstumsraten in der gesamten Branche, sowohl im Bereich Trägerraketen als auch im Satellitenbereich.»

Clemens Gähwiler

Die neuen Raketenspitzen seien grösser als die vorherigen Versionen, damit mehr Volumen ins All transportiert werden könne, erklärt Clemens Gähwiler. Ansonsten bleibt das Verfahren in Emmen ähnlich. Auch der Zuger Konzern Bossard werde wieder die Schrauben und Muttern liefern, schreibt das Unternehmen in einer Medienmitteilung diese Woche.

Bossard und Beyond Gravity arbeiten Hand in Hand

Schrauben für die Weltraumfahrt zu liefern, ist nicht das einzige Geschäftsfeld des 1831 in Zug gegründeten Konzerns. Bossard ist in verschiedenen Industriezweigen tätig, von der Elektromobilität, über Medizintechnik bis zum Aerospace-Sektor. In letzteren will das Unternehmen auch künftig investieren. «Wir haben das erklärte Ziel, den Aerospace-Sektor weiter auszubauen», schreibt Bossard auf Anfrage von zentralplus.

Warum sich das lohnen könnte, erklärt Clemens Gähwiler von Beyond Gravity: «Es gibt zweistellige Wachstumsraten in der gesamten Branche, sowohl im Bereich Trägerraketen als auch im Satellitenbereich.» Bis 2040 werde sich ein Billionen-Dollar-Markt entwickeln, schätzt das Unternehmen.

Solche Schrauben liefert Bossard für den Bau der Raketenspitzen. (Bild: Bossard)
Verwendete Quellen
  • Medienmitteilung von Bossard
  • Telefonat mit Marleen Seilheimer, Bossard Medienkontakt
  • Telefonat mit Clemens Gähwiler, Beyond Gravity Medienkontakt
  • Website von Beyond Gravity
  • Artikel auf «Nau» zum Auftrag für die Ariane 6
  • Artikel auf «Nau» zur Neuaufstellung der Ruag
  • Website von Beyond Gravity zu den Standorten
  • Website von Kununu
  • Artikel auf Raumfahrer.net
  • Artikel in der «Luzerner Zeitung» über den Amazon-Auftrag
  • Artikel in der «Luzerner Zeitung» über Beyond Gravity
  • Handelsregister Kanton Luzern zu Beyond Gravity
  • Artikel in der «Tagesschau»
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