Aus Afghanistan mit Liebe zum Kampfsport

Dieser Luzerner will Weltmeister im Thaiboxen werden

Mohammad Mazlumiar dort, wo er ist, wenn er nicht als Strassenbauer arbeitet: im KSR Gym. (Bild: jdi)

Als Jugendlicher entdeckte Mohammad Mazlumiar den Kampfsport für sich. Doch sein Potenzial konnte er im kriegsgebeutelten Afghanistan nie richtig ausschöpfen. Inzwischen ist er Karate- und Kickboxweltmeister – und könnte am Samstag auch als Thaiboxer Geschichte schreiben.

Mitten im Littauer Industriegebiet Grossmatt befindet sich das Kaewsamrit Muay Thai, auch als KSR Gym bekannt. Zwischen Autospritzwerken und Gipserbuden führt eine unscheinbare Hintertür in ein Treppenhaus mit türkisfarbenem Handlauf. Alles andere als unscheinbar ist Mohammad Mazlumiar, der im Trainingsraum des KSR Luzern wartet. Er wirkt entspannt.

Doch dies dürfte sich ändern, wenn der 30-Jährige heute Samstag in München um den Weltmeistertitel im Thaiboxen kämpfen wird. «Ich habe sehr hart trainiert. Die Vorbereitungen liefen perfekt. Ich freue mich auf den Kampf», sagt er, während er auf einem übergrossen Autoreifen Platz nimmt. «Wir wollen beide gewinnen, schliesslich geht es um den Weltmeistertitel. Darum wird es einen super Kampf geben, da bin ich mir sicher.»

Tagsüber Strassenbau, abends Trainings

«Ich bin so gut wie jeden Tag hier im Trainingsraum des KSR Gym und habe einen fixen Trainingsplan», fährt Mazlumiar fort. «Der Fokus lag zuletzt auf meinen Schwächen und auf der Erarbeitung einer Strategie für den Kampf am Samstag.» Wenn er nicht trainiert, geht er seiner Arbeit als Strassenbauer nach. In einem 100-Prozent-Pensum. Neun Stunden körperliche Schwerstarbeit und dann ab ins Thaiboxtraining – klingt verrückt. «Ist es auch», erwidert Mazlumiar.

«Man könnte meinen, es hilft, nicht nur im Training, sondern auch bei der Arbeit seinen Körper zu fordern. Aber es ist schlicht zu viel.» Kampfsportler brauchen viel Regenerationszeit. Am Morgen zwei, drei Stunden trainieren und dann am Abend nochmals, dem Körper in der Zwischenzeit viel Ruhe gönnen: Das wäre optimal. Wäre. «Wenn ich den ganzen Tag auf der Baustelle bin und schwer schleppen muss, kostet mich das enorm viel Kraft und Energie. Ich komm schon klar, aber eigentlich ist es zu hart», sagt Mohammad Mazlumiar.

«Ich holte die Medaille für die Schweiz, aber keinen hat es interessiert. Das hat mich schockiert und traurig gemacht.»

Mohammad Mazlumiar

Doch hat er weitaus härtere Zeiten hinter sich. Als er mit 23 Jahren in die Schweiz kam, reichten die 100 Prozent auf dem Bau nicht. Er arbeitete nebenbei als Kampfsporttrainer, stand an den Wochenenden als Türsteher vor den Clubs der Stadt. Erst seit ihn eine grössere Handelsfirma sponsert, hat er etwas mehr Zeit für den Sport. Er gehört zu den wenigen Schweizer Kampfsportlern, die einen Sponsor haben. Denn der Kampfsport scheint hierzulande ein Nischendasein zu fristen.

Im Karate alles erreicht – und weitergezogen

So richtig bewusst wurde sich Mazlumiar dessen, als er nicht nur Schweizer- und Europa-, sondern auch Weltmeister wurde und somit praktisch alles erreicht hatte, was er im Karatesport erreichen konnte. «Damals schrieb eine Luzerner Zeitung einen kleinen Bericht über mich. Das wars. Ich holte die Medaille für die Schweiz, aber keinen hat es interessiert. Das hat mich schockiert und traurig gemacht», erinnert er sich.

«Ich wollte allen zeigen, dass ich eine Legende, ein Superstar werden kann. Aber das war in Afghanistan nicht möglich.»

Mohammad Mazlumiar

Er war neu in der Schweiz, musste sich quasi als Ersatzvater um seinen kleinen Bruder kümmern, mit dem er aus Afghanistan geflüchtet war. Gleichzeitig lernte er Deutsch, arbeitete extrem viel. «Trotzdem habe ich die Titel geholt. Doch die Anerkennung blieb fast komplett aus.» Da habe er realisiert: «Wenn du deine Träume erfüllen willst, musst du nochmals neu anfangen.» Das war der Startschuss seiner Kickboxkarriere. Nachdem er auch im Kickboxen Weltmeister geworden war, wechselte er zum Thaiboxen.

Im Paradies angekommen

Doch während Mazlumiar einsehen musste, dass die grosse Karatekarriere in der Schweiz wohl brotlos bleiben würde, überzeugte das Land ihn in anderen Belangen. «Ich dachte, das sei das Paradies. Es ist alles so perfekt hier, alles funktioniert, alle sind frei. In Afghanistan hingegen hat der Krieg alles zerstört», erinnert er sich zurück. Er muss lachen, als er erzählt, wie er in Luzern zum ersten Mal eine Frau rauchen sah: «Ich traute meinen Augen nicht. Mir war damals überhaupt nicht bewusst, dass Frauen hier rauchen dürfen.»

zentralplus möchte von Mazlumiar wissen, was ihn und seinen Bruder zur Flucht aus der afghanischen Heimatstadt Farah bewegt hat. «Es herrschte Krieg, man lebte in ständiger Unsicherheit und Angst. Die Lebensqualität war echt mies. Es gab keine Arbeit», beschreibt er die Situation vor sieben Jahren. Damals feierten die Taliban erste Erfolge, bevor sie 2021 die Macht im Land übernahmen und auch Farah eroberten. «Darum – aber auch, weil ich im Sport weiterkommen wollte – entschloss ich mich mit 23, zusammen mit meinem kleinen Bruder das Land zu verlassen», so Mazlumiar.

«Nach München kommt mein Bruder mit. Um mich zu supporten. In der Schweiz ist er meine ganze Familie.»

Mohammad Mazlumiar

Mit dem Kampfsport begann er als Jugendlicher in Afghanistan. «Ich wollte allen zeigen, dass ich eine Legende, ein Superstar werden kann. Aber das war in Afghanistan nicht möglich.» National habe er es weit gebracht. Aber er konnte nicht an internationalen Turnieren teilnehmen. Wegen des Kriegs, fehlender Visa und des Geldes. «Ich wusste: Nur wenn ich weggehe, kann ich meine Ziele erreichen.»

Mutter macht sich Sorgen

Während der breiten Öffentlichkeit entgangen ist, dass mit Mohammad Mazlumiar ein Karate- und Kickboxweltmeister in Luzern lebt, wissen seine Mitarbeiter auf der Baustelle Bescheid. «Sie sind megastolz und unterstützen mich. Ich kriege jeweils einen Tag frei vor den Kämpfen. Dafür bin ich dankbar», sagt Mazlumiar. Das gilt auch für seine Familie. In Afghanistan werden sie den Titelkampf vom Samstag im Youtube-Livestream mitverfolgen. Seine Mutter mit Stolz, aber auch ein paar Sorgenfalten auf der Stirn, sein Vater mit vollster Begeisterung, erzählt er lächelnd.

Die Begeisterung für den Kampfsport teilt sein kleiner Bruder nicht. Fussball gefalle ihm besser. «Aber nach München kommt er mit», sagt Mazlumiar. «Um mich zu supporten. In der Schweiz ist er meine ganze Familie.» Mit dabei sein wird auch seine Trainerin und Managerin Sonja Jimerson. Ihr würde Mazlumiar den Titel widmen, sollte er denn am Samstag als Sieger aus dem Ring steigen. «Sie hat mich auf diesen Wettkampf vorbereitet, mich ans Limit gepusht. Sie ist die Einzige, die dafür infrage kommt.»

Jimerson wirkt sichtlich gerührt ob dieser Aussage. Die Chemie scheint zu stimmen. Doch es bleibt den beiden zu wünschen, dass das emotionale Highlight der Woche erst noch folgt. Nämlich dann, wenn Mohammad Mazlumiar den nächsten Weltmeistertitel nach Luzern holt. Als Luzerner Thaiboxer.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Mohammad Mazlumiar im KSR Luzern
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