Experiment mit «Biedermann und die Brandstifter»

So fühlt es sich an, wenn einem das Luzerner Theater Provokateure ins Haus schickt

Wer möchte diese beiden sympathischen Herren bei sich zu Hause aufnehmen?

(Bild: Ingo Hoehn)

Luzerner Theaterschaffende planen 15 Premieren von Max Frischs Klassiker in verschiedenen Heimstätten. Dabei ist schon der Weg vom Treffpunkt am See zum Aufführungsort in der Privatwohnung ein Teil der Aufführung. Diese einzigartige Form von Pantoffeltheater musste zentralplus einfach ausprobieren. Hier Rezension und Erlebnisbericht.

Die Besucher des Luzerner Theater werden in dieser Saison die Gelegenheit haben, «Biedermann und die Brandstifter» in einem ganz besonderen Format zu sehen. Das fast jedem seit der Schulzeit bekannte Stück von Max Frisch wird in der Tat nicht auf der Bühne, sondern in verschiedenen privaten Wohnungen der Stadt inszeniert: jede Aufführung in einer anderen Wohnung, und somit jede Aufführung eine einmalige. Regie führt Franz von Strolchen (Dramaturgie Irina Müller, Ausstattung Franz von Strolchen).

Wie diese Inszenierungen funktionieren, ist schnell erklärt: die Zuschauerinnen und Zuschauer machen sich gemeinsam vom Treffpunkt Casino (Seeseite) auf den Weg in die jeweils zu Verfügung stehende Privatwohnung  – rund zehn bis fünfzehn Minuten zu Fuss, die schon Teil der Aufführung sind–, schauen zu, wie in der Nachbarschaft die Feuerwehr bereits im Einsatz ist, betreten die von den Gastgebern zur Verfügung gestellte Wohnung, benutzen die Garderobe, ziehen natürlich ihre Schuhe aus und setzen sich auf Sofas, Stühle, Hocker, Bänke, Treppen, oder wo sie sonst noch Platz finden.

Inszenierung nimmt langsam Fahrt auf

Etwas langsam beginnt es, aber dann geht es endlich los mit der berühmten Geschichte um den wohlsituierten Gottlieb Biedermann, welcher dem groben Schmitz, einem ehemaligen Ringer, und dem Kellner Eisenring, dessen später einziehenden Genossen, Obdach gibt. Und dies, obwohl die zwei Fremden Benzin auf den Dachboden transportieren und, gerade in einer Zeit, in welcher gnadenlose Brandstifter in der Stadt herumgehen, ihn ziemlich schnell verstehen lassen, dass sie sein Haus niederbrennen werden.

Unterstützung beim Skript lesen.

Unterstützung beim Skript lesen.

(Bild: Marinella Polli)

Schmitz, wie gesagt der erste, der an der Türe klingelt, bekommt ohne weiteres ein warmes Abendessen. Er darf auch die Nacht im Haus verbringen und erhält am folgenden Morgen ein reiches Frühstück von Babette, Biedermanns unbeholfener Ehefrau, die es auch nicht fertigbringt, ihn rauszuschmeissen. Aber wieso nicht? Biedermann ist schliesslich eine anständige Person, ein guter Bürger, und Nächstenliebe kann wirklich nie schaden. Er hat Angst, aber was soll’s, es ist immer besser positiv zu denken, in Frieden zu leben, oder es mindestens zu versuchen.

Unterschätze nie die Macht der Verdrängung

Der gute Mann ignoriert am Ende alle klaren Hinweise und tut auch alles, um die Wünsche der Eindringlinge zu erfüllen. Er versucht mit allen Mitteln sich mit ihnen anzufreunden, organisiert noch ein Abendmahl und – als grosses Zeichen des Vertrauens – überreicht sogar selber die Zündhölzer.

Die totale Unfähigkeit des Menschen, böse Ereignisse zu erkennen, die sogar klar voraussehbar und somit vermeidbar sind, wird in Frischs Parabel sicher auf eine groteske Weise behandelt; der Mensch, der gut sein möchte, aber im Grunde nicht gut ist, wird auf eine unterhaltsame Weise aber auch mit Präzision und Tiefe analysiert.

Max Frisch an der Bellerivematte: Szenebild aus der Inszenierung im Eigenheim.

Max Frisch an der Bellerivematte: Szenebild aus der Inszenierung im Eigenheim.

(Bild: Marinella Polli)

Auf engem Raum bleiben vorab die Gags haften

Trotz Jean Zieglers und anderer politischen Aussagen bleiben hingegen in dieser Luzerner Inszenierung eher die Gags und die Komik wirkungsvoll. Es wird auch keineswegs erwähnt, dass Biedermann dem Mitarbeiter Knechtling fristlos gekündigt hatte und dieser daraufhin Selbstmord beging.

Ob die neue Luzerner Inszenierung etwas Zusätzliches oder Neues zum Stück bringt, das Max Frisch als «Lehrstück ohne Lehre» definierte, bleibt offen. Naja, es ist jedoch für alle ein ganz spezielles Theatererlebnis. Obwohl sie die vibrierenden Facetten des Stücks vielleicht nicht wirklich bewundern konnten, haben die fünfzig  Zuschauer dennoch die Aufführung mit grossem Interesse und Freude genossen, und alle Teilnehmer mit einem verdienten langen und warmen Applaus belohnt: Sofia Elena Borsani als Anna (Souffleuse der Gastgeber und Chor in einem), Jakob Leo Stark und Yves Wüthrich als die zwei Brandstifter und das ganze Team.

Theater beim Zahnarzt

Last but not least die Gastgeber, die ihr schönes Zuhause an der Bellerivematte für die Première zur Verfügung gestellt haben: Philipp Zingg, den Zahnarzt und Präsidenten des Theaterclub Luzern als Biedermann und seine Gattin als Ehefrau Babette, die ihren Text dank verschiedener Hilfsmittel wie Servietten, Plakate, Zettel, undsoweiter lesen konnten.

Weitere Aufführungen (Dauer rund 2 Stunden, Pause inbegriffen) gibt es bis 15. April 2019.

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