Wo in Luzern einst Hunderte hingerichtet wurden, entsteht ein Mahnmal
Was heute als beliebtes Fotosujet für Touristinnen dient und wo Autos parkiert werden, wurde früher gefoltert und Hunderte von Menschen wurden auf brutalste Weise hingerichtet. Der Luzerner Stadtrat will nun prüfen, mit Gedenktafeln und einem Mahnzeichen an das Luzern zu Zeiten des Ancien Régime zu erinnern – abseits der Postkartenidylle.
Wo heute Autos parkiert werden, wurden vor langer Zeit Todesurteile vollstreckt. Am Standort des heutigen Parkplatzes Sentimatt befand sich in früheren Jahrhunderten Luzerns Richtstätte. In der Neuzeit, genauer gesagt von 1551 bis 1798, wurden 711 Menschen zum Tode verurteilt, sie wurden geköpft, gerädert und verbrannt.
Männer wurden am häufigsten des schweren Diebstahls angeklagt, Frauen der Hexerei bezichtigt. Die Luzernerin Selina Ragaz hat die Ereignisse in ihrer Maturaarbeit, die von «Schweizer Jugend forscht» 2011 mit dem Prädikat «sehr gut» ausgezeichnet wurde, historisch aufgearbeitet. Betreut wurde die Arbeit vom Kantilehrer und Luzerner Historiker Jürg Stadelmann, der auf Basis der Maturaarbeit mit inszenierten Führungen durch die Altstadt die Geschehnisse von damals darstellte.
Vom Wasserturm zur Sentimatt
Wer heute durch die Stadt geht, sieht lächelnde Touristinnen auf der Kapellbrücke, dem Wahrzeichen dieser Stadt – oder auf der Seebrücke so positioniert, dass der imposante Wasserturm auf den Selfies zu sehen ist. Der Wasserturm, in welchem einst Verdächtige gefangen, verhört und gefoltert wurden. Im Rathaus wurden Todesurteile gefällt.
Auf dem Fischmarkt, dem heutigen Weinmarkt, wo Kaffee getrunken und «gelädelet» wird, wurden die Urteile in Schauprozessen öffentlich verkündet. Die Verurteilten wurden an den Pranger gestellt. In der Sentimatt wurden sie hingerichtet. Die Richtstätte stand bis 1851. Heute steht an dieser Stelle ein Ableger der Pädagogischen Hochschule.
Grossstadtrat will das Leid von damals sichtbar machen
Wo früher unsagbares Leid geschah, soll heute ein Mahnmal entstehen. Das forderte der frühere SP-Grossstadtrat Cyrill Studer Korevaar, der anfangs Jahr als Grossstadtrat zurückgetreten ist. Gemäss dem Entwicklungskonzept Basel- und Bernstrasse 1 könnte in nächster Zeit eine geänderte Nutzung des Parkplatzes Sentimattstrasse 1 anstehen.
In einem weiteren Postulat forderte SP-Grossstadtrat Cyrill Studer Korevaar den Stadtrat auf zu überprüfen, ob die Stadt Luzern in ihrer Vergangenheit an Sklaverei und Sklavenhandel beteiligt gewesen war. Anlass für die Forderung war, dass die Universität Zürich einen Bericht zur Sklaverei in Zürich veröffentlichte – den die Stadt Zürich in Auftrag gegeben hat. Der Luzerner Stadtrat begrüsst es zwar, dass seit mehr als 15 Jahren in der Schweiz intensiver zur Verflechtung mit Sklaverei, Sklavenhandel und Kolonialismus geforscht wird. Er sieht sich aber nicht in der Rolle, hier selbst Forschung anzustossen.
Diese ist heute im Besitz des Kantons. Studer Korevaar forderte den Stadtrat in einem Postulat dazu auf, bei einer Umnutzung von Beginn an ein Mahnzeichen in die Neugestaltung zu integrieren. Ausserdem sollen Informations- und Gedenktafeln an das Schicksal der betroffenen Personen erinnern und die damals gängige Praxis thematisieren (zentralplus berichtete). «Zu den unrühmlicheren Phasen gehörten Verfolgungen von ‹Hexen› und weiteren Personen, die nicht in das damalige Obrigkeitenschema passten», schreibt Studer Korevaar.
Auch der Stadtrat findet ein Mahnzeichen angebracht
Nun liegt die Antwort des Stadtrats vor. Dieser nimmt das Postulat entgegen. Er ist bereit zu prüfen, ob beim Wasserturm, Rathaus und Weinmarkt Informations- und Gedenktafeln montiert werden können. Da der Parkplatz wie das gesamte Areal Sentimatt 1 im Eigentum des Kantons ist, will der Stadtrat den Kanton miteinbeziehen und auf ihn «einwirken», um gemeinsam mit der Stadt einen «angemessenen Erinnerungsort für die Opfer der gerade auch in Luzern sehr virulenten Hexenverfolgung zu realisieren.»
«Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass es nötig ist, sich immer wieder mit der Geschichte auseinanderzusetzen.»
Beat Züsli, Stadtpräsident
Die Spuren dieser aus heutiger Sicht unrühmlichen Zeit würden also sichtbar gemacht. Den Stapi freut's: «Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass es nötig ist, sich immer wieder mit der Geschichte auseinanderzusetzen», sagt Beat Züsli auf Anfrage. Das sei ein laufender Prozess, einer, der nie abgeschlossen werden sollte. «Die Vergangenheit ist wichtig für unsere Gegenwart, um diese richtig zu beurteilen und die richtigen Entscheidungen zu treffen – auch politische.»
In Emmen kam es bei den Gedenktafeln zu Schmierereien
Mit Universität, Hochschule und Historischem Museum stünden zudem geeignete kantonale Institutionen zur Seite, um eine Visualisierung des Themas adäquat umzusetzen und sich um «eine weiterführende aktive Vermittlung» zu kümmern. Dass dies «unbedingt nötig» sei, zeige das Schicksal der Informationstafeln im Emmenbrücker Schachen, die an den zweiten, ab 1562 genutzten Richtplatz erinnern.
«Obwohl gut sichtbar aufgestellt, bleiben sie von den Leuten weitgehend unbeachtet; ihre Präsenz erregt vor allem das Interesse für die Nutzung als Fläche zu Schmierereien», führt der Stadtrat in seiner Stellungnahme aus. Das will man in der Stadt möglichst vermeiden.
Ziel sei es, bei der Überprüfung möglicher Gedenk- und Infotafeln das richtige Mittel für die Informationsvermittlung zu finden, wie Stadtpräsident Beat Züsli sagt. Denkbar sei beispielsweise auch, dass Interessierten digital Infos zu den Geschehnissen im Ancien Régime zur Verfügung gestellt würden.
Bei lebendigem Leib verbrannt
Gut möglich also, dass wir künftig bei einem Bummel durch die Stadt an die Gräueltaten von damals erinnert werden.
Wie Selina Ragaz in ihrer Maturaarbeit von 2011 schreibt, wurden die meisten Männer mit dem Schwert enthauptet und die meisten Frauen bei lebendigem Leib verbrannt. Beispielsweise galt es als Akt der Hexerei, wenn jemand «Wetter machte» – insbesondere für Hagel sorgte.
Die Todesstrafe sei ein gutes Beispiel dafür, wie eng religiöse Werte und die weltliche Machtausübung in dieser Zeit verflochten gewesen seien und wie sehr sich der Glaube auf die öffentliche Strafjustiz ausgewirkt habe, schreibt Ragaz. «Die Todesstrafe ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, dass es viele schmerzvolle Erfahrungen braucht und es ein langer Prozess ist, bis sich das Bewusstsein der Menschen ändert.»
Sieh auf der Karte, wie eine Hinrichtung damals in der Stadt Luzern ablief: