Regierungsrat Guido Graf tritt ab

«Man muss den Mut haben, auch mal unangenehme Dinge zu sagen»

Ist nur noch wenige Tage an seinem Arbeitsplatz im Luzerner Regierungsgebäude: Guido Graf. (Bild: mst)

Der Luzerner Gesundheits- und Sozialvorsteher Guido Graf (65, Mitte) tritt nach über 13 Jahren im Amt zurück. Im Interview spricht er über Krisen, die Zusammenarbeit im Regierungsrat und seine Zukunftspläne.

zentralplus: Guido Graf, 2010 kamen Sie in den Luzerner Regierungsrat, Ende Juni treten Sie ab. Freuen Sie sich oder fürchten Sie den Abschied?

Guido Graf: Es ist gut, gibt es jetzt einen Wechsel. Nun fängt ein neues Leben an, darauf bin ich gespannt. Und ich freue mich, viele Freiheiten zurückzuerhalten. Denn Regierungsrat ist man sieben Tage die Woche. Und 13,5 Jahre sind eine lange Zeit.

zentralplus: Sie waren in Ihrer Amtszeit mit mehreren Asylkrisen beschäftigt. Die Herausforderungen im Asylwesen waren und sind gross.

«Wie sollen wir einem Flüchtling aus Syrien erklären, weshalb man ihn anders behandelt als jemanden aus der Ukraine? Das geht einfach nicht.»

Graf: 2015/2016 hatten wir mit dem Syrien-Krieg und den vielen Flüchtlingen, die über das Mittelmeer kamen, die erste Flüchtlingskrise während meiner Amtszeit. Damals kamen wir an den Anschlag. Die Schweiz und ganz Europa waren kaum vorbereitet, weil man nie mit einem solchen Szenario gerechnet hatte. Wir haben dabei aber viel gelernt, so dass wir 2022 vor dem Ukraine-Krieg besser vorbereitet waren. Was ich heute feststelle: Die Asylverfahren in der Schweiz sind zu teuer und zu kompliziert. Das zeigt sich auch darin, dass wir praktisch Vollbeschäftigung haben, aber Asylbewerber teilweise Jahre warten müssen, bis sie arbeiten dürfen. Und noch etwas anderes: Ich bin mittlerweile gegen den S-Status in seiner heutigen Ausgestaltung bei ukrainischen Flüchtlingen. Denn wie sollen wir einem Flüchtling aus Syrien erklären, weshalb man ihn anders behandelt als jemanden aus der Ukraine? Das geht einfach nicht.

zentralplus: Rückblickend auf Ihre Amtszeit: Was würden Sie heute anders machen?

Graf: 2015/2016 war die Situation so, dass die Caritas die Asylzentren selber betrieb, aber das nicht mehr stemmen konnte. Seither betreiben wir sie selber. Dieses System aufzubauen, war ein «Chrampf». Aber für mich ist klar, dass der Kanton selber handeln können muss. Das kommt uns jetzt zugute, denn bei der Ukraine-Krise hatten wir die Strukturen bereits und nun arbeiten wir gut mit dem kantonalen Führungsstab zusammen. Wir haben heute auch genügend Reserveplätze. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass es immer Krisen geben wird. Wenn die Ukraine-Krise vorbei ist, kommt wahrscheinlich die nächste. Es wird deshalb wohl immer Menschen geben, die migrieren und auch zu uns in die Schweiz kommen.

zentralplus: Sie waren immer wieder gut für pointierte Aussagen, manche würden sagen: polemisch – gerade gegen Asylbewerber. Stichwort ukrainische Flüchtlinge, die laut Ihnen eine hohe Erwartungshaltung haben und sogar Botox-Spritzen verlangen (zentralplus berichtete).

Graf: Als Regierungsrat muss man den Mut haben, auch mal unangenehme Dinge zu sagen. Dass man mich dafür kritisiert, nehme ich zur Kenntnis. Man muss mit Kritik leben können. Mir ist es wichtig, solche Themen nicht zu ignorieren, sonst nehmen sie andere Parteien dankbar auf.

Guido Graf erklärt in der Arena, weshalb er den Schutzstatus S inzwischen für «falsch» hält.
Guido Graf trat immer wieder national in Erscheinung, etwa in der «Arena». (Bild: Screenshot: SRF «Arena»)

zentralplus: Ein anderer Kritikpunkt war die Systemumstellung, die dazu führte, dass Luzerner Gemeinden bezahlen müssen, wenn sie nicht genügend Asylunterkünfte zur Verfügung stellen.

Graf: Wir haben damit einen Vorstoss eines SVP-Kantonsrats umgesetzt, der von einer Mehrheit des Kantonsparlaments gestützt worden ist. Wichtig finde ich zudem die Feststellung, dass der Kanton nichts von diesem Geld erhält, sondern dass es den Gemeinden zugute kommt, die ihr Soll übererfüllten. Eine Gemeinde, die die Quote nicht erfüllt, bezahlt somit letztlich Geld an eine Gemeinde, welche die Quote übererfüllt hat. Ich glaube, das System hat sich mittlerweile eingespielt. Aber dass es gewisse Gemeinden schwierig finden, verstehe ich. Ich war ja früher selber Gemeinderat.

zentralplus: Was war der schönste Moment Ihrer Amtszeit?

Graf: Ich war drei Mal Regierungsratspräsident. Im ersten Jahr besuchte ich sämtliche Luzerner Gemeinden zu Fuss, mit dem Velo oder mit dem Boot. So habe ich die ganz normalen Luzernerinnen und Luzerner kennengelernt. Diese Begegnungen waren sehr inspirierend. Vor allem, weil ich sehr gerne unter die Leute gehe und mich mit ihnen austausche. Zudem traf ich verschiedene Bundesräte, ehemalige wie auch aktive, Olympiasieger, Weltmeister – und natürlich unseren Schwingerkönig Joel Wicki.

«Da gab es eine Zeit, in der ich gelitten habe.»

zentralplus: Was waren die schlimmsten Momente?

Graf: Die Situation um das Verbrechen in Menznau 2013 mit mehreren Toten war sehr schwierig, auch die Beerdigung danach. Zudem waren die Flüchtlingskrisen extrem anspruchsvoll. Und natürlich die zweijährige Coronakrise: Da gab es eine Zeit, in der ich gelitten habe. Als ich morgens jeweils ins Büro kam und mir gesagt wurde, wie viele Personen am Vortag gestorben waren, nahm mich das jeweils schon sehr mit.

zentralplus: Sie wurden während dieser Zeit auch persönlich stark bedroht (zentralplus berichtete).

Graf: Als wir Betriebe und Restaurants schliessen mussten, löste das sehr viele Reaktionen aus. Es gab Impfgegner, die extrem waren und Drohungen aussprachen. Das war sehr schwierig. Zuvor konnten wir Regierungsräte, wie auch die Bundesräte, in Luzern und in der gesamten Schweiz frei herumgehen. Das war während der Pandemie teilweise nicht mehr möglich. Und je länger die Pandemie dauerte, desto schwieriger wurde es.

Guido Graf wurde während der Pandemie auch persönlich bedroht. (Bild: Lara Jornod)

zentralplus: Die Fasnacht wurde 2021 abgesagt.

Graf: Das war unglaublich schwierig. Die Fasnacht in Luzern absagen war eigentlich unvorstellbar. Aber es ging einfach nicht anders.

zentralplus: Was ist Ihnen in Ihrer Amtszeit besonders gut gelungen?

Graf: Die Zusammenarbeit mit anderen Kantonen. Im sozialen Bereich haben wir landesweit riesige Fortschritte gemacht. Auch die Zusammenarbeit mit den Luzerner Gemeinden gelang mir gut. Zudem glaube ich, dass ich einen guten Draht zur Bevölkerung habe, was ich auch bei den Wahlen merkte. Von den Projekten her war es so, dass das Projekt «Arbeit muss sich lohnen» ein Erfolg war, zudem waren wir der erste Kanton, der im Gesundheitswesen den Grundsatz «ambulant vor stationär» einführte. Auch das Sozialversicherungszentrum WAS (Wirtschaft, Arbeit, Soziales) wurde während meiner Amtszeit eingeführt – mit Erfolg, wie ich finde.

«Gesundheitsdirektor zu sein, ist ein Privileg.»

zentralplus: Was ist Ihnen nicht gelungen?

Graf: Die Winteruniversiade: Sieben Jahre hatten wir sie vorbereitet und dann mussten wir sie eine Woche vor der Durchführung wegen der Pandemie absagen. Das tat weh. Auch bezüglich Pandemie muss ich kritisch sein. Mit der Erfahrung heute muss ich sagen, man hätte wohl nicht alles schliessen müssen. Aber aus der damaligen Perspektive und mit dem damaligen Wissensstand sprach sich der Regierungsrat dann für Schliessungen aus. Was mir zudem weniger gut gelungen ist: die heutige Situation rund um den Bau des Spitals Wolhusen. Dort hätten wir schneller sagen müssen, was wir bauen und was nicht, damit wir schneller hätten loslegen können. Ich würde heute schneller entscheiden.

Regierungspräsident Guido Graf überrascht mit einer Gesangseinlage zusammen mit dem «Infusionenchörli» des Spitals Wolhusen. (Bild: Mathias Bühler)

zentralplus: Sie waren stets Gesundheits- und Sozialvorsteher. Hatten Sie nie Wechselgelüste?

Graf: Nein. Zwar hätte ich mich auch in der Rolle als Vorsteher des Justiz- und Sicherheitsdepartements gesehen. Nach meinem ersten Jahr im Regierungsrat hatte ich die Chance, zu wechseln. Doch ich wollte nicht mehr. Gesundheitsdirektor zu sein, ist ein Privileg. Denn im Zentrum des Gesundheits- und Sozialdepartements steht immer der Mensch. Das finde ich hochspannend und befriedigend.

zentralplus: Was hat das Regierungsratsamt mit Ihnen gemacht?

Graf: Man macht das ja freiwillig. Klar bin ich froh, wenn ich am Sonntagnachmittag mal frei und Zeit für mich und die Familie habe. Es gibt einen gewissen Druck, von dem man irgendwann auch mal genug hat. Das Amt erfordert viel Zeit, Präsenz, Kraft und eine dauernde Erreichbarkeit. Damit muss man umgehen können. Aber man wächst in das Amt hinein und kommt in einen Rhythmus. Und eben: Man macht es freiwillig, es ist hochmotivierend und ein Privileg.

«Die neue Regierung wird das sicher gleich gut, wenn nicht besser als wir machen.»

zentralplus: Sie sind nun im Pensionsalter. Was haben Sie mit der neugewonnenen Zeit vor?

Graf: Ich gehe zuerst fünf Wochen reisen. Meine Frau, ein befreundetes Paar und ich fahren mit einem Schiff von Hamburg über Schottland und Island nach Grönland. Dann komme ich zurück und werde eine eigene Beratungsfirma gründen. Ich hatte ja vor meiner Zeit als Regierungsrat eine Firma, die ich verkauft habe. Nun möchte ich wieder einsteigen, denn ich bin motiviert und gesund. Zudem werde ich mehr reisen, hoffentlich wieder regelmässig Tennis spielen und Freundschaften pflegen. Aber es ist nicht so, dass ich das Gefühl habe, etwas nachholen zu müssen. Denn ich hatte auch als Regierungsrat ein schönes und ausgefülltes Leben.

zentralplus: Wie haben Sie die Zusammenarbeit im Gremium erlebt?

Graf: Ich muss schon sagen: Paul Winiker wird mir insbesondere sehr fehlen. Was ich mit ihm gelacht habe – unglaublich (lacht). Bezüglich Zusammenarbeit: Uns ist es immer gelungen, dass wir konstruktiv zusammengearbeitet haben. Klar werden Sachen hart diskutiert, aber das gehört dazu und ist auch gut so. Und dann kann man auch wieder zusammen lachen und traf sich in einem lockeren Rahmen zum Beispiel zu einem Mittagessen.

zentralplus: Nun wird sich die Zusammensetzung ändern. Zwei Frauen kommen in den Rat.

Graf: Es gibt einen Generationenwechsel, was ich sehr gut finde. Die Bevölkerung wird nun zudem besser im Regierungsrat abgebildet, endlich sind zwei Frauen im Gremium. Die neue Regierung wird das sicher gleich gut, wenn nicht besser als wir machen. Ich wünsche dem Regierungsrat in seiner neuen Zusammensetzung von Herzen gutes Gelingen sowie viel Energie und Elan für die bevorstehenden Aufgaben.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Guido Graf, Mitte-Regierungsrat
  • Medienarchiv zentralplus
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4 Kommentare
  • Profilfoto von Ferox
    Ferox, 15.06.2023, 10:17 Uhr

    Europa muss allen Schutzsuchenden das Grundrecht auf Asyl gewähren und man darf dabei auch die Familien der jungen Männer nicht im Stich lassen und diese hier aufnehmen..

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  • Profilfoto von Rudolf Schweizer
    Rudolf Schweizer, 14.06.2023, 08:29 Uhr

    Zum Glück geht der falsche Graf

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  • Profilfoto von Libero
    Libero, 12.06.2023, 12:09 Uhr

    Wir freuen uns, wenn es einen ganz normalen Luzerner mehr gibt!
    Lachen mit Paul Winiker ist jederzeit planbar, auch ohne Regierungsrats-Gehalt!

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  • Profilfoto von Rocco Tornado
    Rocco Tornado, 12.06.2023, 06:59 Uhr

    Im Fall Guido Graf gilt definitiv: «Wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph geblieben!». Adé merci………

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