Nahe oder zu nahe?

«Baarer Zytig»: Mitten im Rathaus – und doch unabhängig?

Im Baarer Rathaus wird das Redaktionsbüro der «Baarer Zytig» eingerichtet. (Bild: Andreas Busslinger)

Bald erscheint in Baar wieder eine Lokalzeitung. Verlegerin ist die Gemeinde, redaktionell zuständig ist ein privater Verlag. Kann die Zeitung unabhängig sein? Andernorts sorgen ähnliche Strukturen für Probleme.

Zum morgendlichen Kaffee können Baarerinnen bald wieder in einer lokalen Zeitung blättern: Ab 5. Juni liegt die «Baarer Zytig» alle zwei Wochen in ihrem Briefkasten – kostenlos. Oder zumindest vordergründig: Denn bezahlt wird das Blatt mit Baarer Steuergeldern, denn Verlegerin ist die Gemeinde (zentralplus berichtete). Dazu kam es, weil die Swiss Regiomedia AG als neue Eigentümerin des ehemaligen Baarer Lokalblatts «Zugerbieter» dieses vor wenigen Monaten in die «Zuger Woche» integrierte. Damit erschien der «Zugerbieter», der früher dem Verlagshaus CH Media gehörte, im vergangenen Dezember zum letzten Mal. Kein Unternehmen wollte bisher in diese Lücke im Lokaljournalismus springen.

Den Erhalt «ihrer» Zeitung lassen sich die Baarer einiges kosten: Für das neue Blatt hat die Gemeinde den Budgetposten «Drucksachen und Publikationen» auf fast 500'000 Franken erhöht. Davon fliessen 266'000 Franken pro Jahr im Rahmen einer Leistungsvereinbarung an die «Anzeiger Oberfreiamt AG», wie Gemeindepräsident Walter Lipp (Mitte) auf Anfrage ausführt. Diese ist für die redaktionellen Inhalte und die Herausgabe zuständig. Das Aargauer Unternehmen selbst steuert finanziell nichts an die Zeitung bei. «Die Anzeiger Oberfreiamt AG wird von der Gemeinde Baar für eine erbrachte Leistung bezahlt – so wie die Gemeinde ein Bauunternehmen beauftragt, um ein Gebäude zu errichten.»

Nähe zur Gemeinde wird kritisch beäugt

Der Rettungsaktion des Baarer Lokaljournalismus sind jedoch nicht alle wohlgesinnt. So schreibt etwa ein zentralplus-Leser: «Vielleicht durchdenken Sie den Zusammenhang von ‹unabhängige Presse› und einem von der Regierung bezahlten und betriebenen Medium noch einmal?» Ein weiterer schreibt: «Unabhängigkeit ist hier nicht möglich, das zeigt nur schon, dass das ‹Redaktionsbüro› im Baarer Rathaus ist. Der Baarer Gemeinderat kauft sich einfach eine willfähige Zeitung, bezahlt vom Steuerzahler.»

Der «Zugerbieter» bezeichnete sich als «unabhängige Wochenzeitung». Einige bezweifeln, dass die «Baarer Zytig» dies ebenfalls leisten kann. (Bild: Archivbild: wia)

Für Nick Lüthi zeige sich die Unabhängigkeit einer Redaktion jeweils im konkreten Fall. Der langjährige Medienjournalist war über zehn Jahre lang Chefredaktor der «Medienwoche», einem inzwischen aufgelösten Onlinemagazin, das sich der kritischen Beobachtung der Journalismus- und Kommunikationsbranche verschrieben hatte. Mittlerweile schreibt er für das Branchenportal «Persönlich».

Von anderen Blättern lernen

Ob die Unabhängigkeit in den Redaktionsstatuten mehr als toter Buchstabe ist, zeigt sich gemäss Lüthi in der Umsetzung: «Wie verhalten sich die Gemeinde Baar und ihr Personal, wenn sie selbst Gegenstand kritischer Recherchen sind? Hat die Redaktion den Mut, heisse Eisen aus der Gemeinde Baar anzupacken oder liest man über gewisse Themen dann halt einfach nichts?»

Um eine Lokalzeitung aufrechtzuerhalten, sei eine Gemeinde als Herausgeberin durchaus ein möglicher Weg. Dieses Vorgehen sei aus zahlreichen anderen Gemeinden der Schweiz bekannt. «Man kann im Idealfall also von gelungenen und weniger gelungenen Beispielen lernen, wie ein solches Modell aufgebaut werden muss, damit es funktioniert.»

Ein möglicher journalistischer Fauxpas mit Folgen

Was bei einer solchen Gemeindezeitung schieflaufen kann, zeigt derzeit die Zürcher Gemeinde Maur, wie unter anderem die «NZZ» oder der «Kleinreport» schreibt. Die Gemeinde Maur gibt für 300'000 Franken pro Jahr die «Maurmer Post» heraus. Die Redaktorinnen sind direkt bei der Gemeinde angestellt. Um Distanz zwischen Gemeinderat und Redaktion zu schaffen, hat der Gemeinderat eine Kommission eingesetzt. Diese sollte die Inhalte der Zeitung überwachen und wenn nötig die Publikation der Leserbriefe moderieren.

Doch in den letzten Wochen geriet dieses Gefüge aus dem Gleichgewicht. Katalysator war ein Artikel, der am 8. März in der Zeitung erschienen war. Dort kommt die Schwester des Opfers eines mutmasslichen Tötungsdelikts zu Wort, die dem gemeindlichen Bauamt schwere Vorwürfe macht. Dieses soll indirekt die Tat provoziert haben. Problematisch am Artikel: Die Vorwürfe werden einfach so wiedergegeben, ohne dass das Bauamt im Artikel Stellung nimmt. Ebenfalls problematisch: Die zuständige Kommission hat den Artikel gelesen und freigegeben.

Das Bauamt fällt aus allen Wolken, gemäss eigenen Angaben hat es erst aus der Zeitung von den Vorwürfen gehört. Der Redaktor wiederum stellt sich auf den Standpunkt, er habe die Abteilung um eine Stellungnahme gebeten, habe diese kurz vor dem Wochenende aber nicht erreicht. Er hätte sie in der folgenden Ausgabe Stellung beziehen lassen, beteuert er.

Gemeinderat übernimmt Aufsicht

Da war der Schaden aber bereits angerichtet. In der nächsten Ausgabe der «Maurmer Post» publiziert der Gemeinderat eine Gegendarstellung, die weit länger als üblich ist, die Stellungnahme der Redaktion dazu wird hingegen nicht gedruckt. Eine Woche später erfahren die Leser im Editorial der Zeitung, dass der Autor des kritisierten Artikels freigestellt worden ist. Zudem werde der auslaufende Vertrag mit dem Chefredaktor nicht verlängert, bis zum Vertragsende ist er krankgeschrieben. Noch eine Ausgabe später: Die Kommission wird aufs Abstellgleis gestellt, der Gemeinderat übernimmt die Oberaufsicht und die Zeitung kommt vorübergehend reduziert daher.

Der Dorfsegen hängt nun schief. Der ehemalige Chefredaktor hat ein Faltblatt namens «Muur Puur» in den Briefkästen verteilt, indem er sich als «Opfer von Mobbing, Illoyalität und Diffamierung» bezeichnet. An einer offenen Gesprächsrunde mit der Bevölkerung erhält der Gemeinderat Kritik, viele wünschen sich den Chefredaktor zurück. Auch kritisiert ein anwesender langjähriger Journalist, dass der Vorfall bei anderen Verlagen zu einer Verwarnung geführt hätte, jedoch niemals zu solch einer drastischen Massnahme, wie «Zürioberland24» schreibt. Nun soll eine Arbeitsgruppe des Gemeinderats den Vorfall aufarbeiten und die Struktur zwischen Gemeinde und Zeitung überprüfen.

Büro im Rathaus hat finanzielle Gründe

Zurück in Baar beteuert Gemeindepräsident Walter Lipp abermals, dass die Unabhängigkeit der Zeitung gewahrt sei: «Unabhängigkeit ist eine Frage der Professionalität – auf Seiten der Gemeinde und auf Seiten der Redaktion. Der Gemeinderat Baar garantiert der ‹Baarer Zytig› in einem Redaktionsstatut ihre redaktionelle Unabhängigkeit. Dieses ist Bestandteil der Leistungsvereinbarung.» Das Redaktionsbüro sei im Rathaus, da die Gemeinde dort ein freies Büro hatte und somit keine zusätzlichen Räume mieten musste. Also sei es letztlich eine Geldfrage.

Wobei die Gemeinde durch die «Baarer Zytig» auch Geld zurückerhält. Die Einnahmen aus Inseraten gehen an die Gemeinde, so Lipp. Die Frage, ob die Gemeinde so nicht anderen Medienunternehmen die Werbeeinnahmen abgrabe, verneint er. Die «Baarer Zytig» werde in Baar verteilt und berichte über die Gemeinde Baar. Entsprechend sei die Zeitung besonders für Baarer Firmen als Werbeplattform interessant. «Wir gehen deshalb nicht davon aus, dass wir privaten Anbietern Werbeeinnahmen abgraben, sondern lediglich Baarer Firmen wieder eine Plattform geben, die mit der Einstellung des ‹Zugerbieters› verloren gegangen ist.»

Designierte Chefredaktorin betont Unabhängigkeit

Auch die künftige Co-Chefredaktorin Rahel Hegglin betont auf Anfrage: «Die Örtlichkeit des Redaktionsbüros hat keinen Einfluss auf eine faire, ausgewogene und unabhängige Berichterstattung.» Die künftigen Korrespondentinnen orientierten sich am Journalistenkodex und garantieren gestützt auf das Redaktionsstatut ihre Unabhängigkeit. Nebst freien Mitarbeitern arbeiten künftig fünf Personen des «Anzeiger Oberfreiamts» für die Baarer Zytig. Ihr Team informiere sich bereits über die Baarer Geschehnisse. Zudem erhielten sie Unterstützung durch die Gemeinde und demnächst auch eine ausführliche Führung.

Der Wille für eine unabhängige Zeitung scheint also gegeben. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht beim Lippenbekenntnis bleibt und Baar sich nicht bald in einer ähnlichen Situation wie Maur wiederfindet.

Verwendete Quellen
  • Medienmitteilung Gemeinde Baar
  • Medienarchiv zentralplus
  • Website «Anzeiger Oberfreiamt»
  • Schriftlicher Austausch mit Walter Lipp, Gemeindepräsident Baar
  • Artikel «NZZ»
  • Artikel «Kleinreport»
  • Ausgaben der «Maurmer Post» vom März und Anfang April
  • Artikel auf «Zürioberland24»
  • Schriftlicher Austausch mit Rahel Hegglin, Redaktionsleiterin «Anzeiger Oberfreiamt»
  • Schriftlicher Austausch mit Nick Lüthi, ehemaliger Chefredaktor «Medienwoche»
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5 Kommentare
  • Profilfoto von U. Fuchs
    U. Fuchs, 23.04.2024, 06:09 Uhr

    Die Zuger Regierung hat bisher sämtliche Vorstösse und Anfragen zu einer Medienförderung mit der Begründung abgelehnt, man müsse jeden Eindruck einer Einflussnahme vermeiden. Und die Medien müssten unabhängig sein. Da ist es doch sehr unglaubwürdig, wenn nun die zweitgrößte Gemeinde ihre eigene Zeitung publiziert. Gelten diese Befürchtungen plötzlich nichts mehr?

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    • Profilfoto von Kasimir Pfyffer
      Kasimir Pfyffer, 23.04.2024, 10:39 Uhr

      Ich nehme an, dass Sie Ihre Frage ernst meinen. Ecco: Die Zuger Regierung ist eine Dunkelkammer und hasst nichts mehr als unliebsame Medienberichte über ihre Mauscheleien. Logischerweise möchte sie am liebsten gar keine Medien mehr und unterlässt deshalb jede Medienförderung. Damit das Stimmvieh nicht aufmuckt und merkt, was gespielt wird, redet man sich mit "keine staatlichen Eingriffe" raus. Eigentlich ganz einfach, oder?

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    Jouette, 22.04.2024, 18:59 Uhr

    Unabhängige Berichterstattung im Ratshaus? Die Gemeinde als Auftraggeber? Ob man es will oder nicht, Loyalitätsgedanken werden automatisch projiziert und machen sich an der Oberfläche bemerkbar. Da kann die Vernunft auch nichts ausrichten und eigentlich wissen das die Beteiligten. Die Gemeinde könnte sie als „Chäsblatt“ durchgehen lassen und alle wissen Bescheid, wer dahinter steckt. Eben: Bekenntnisse zum Gemeindepräsi Lipp.

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    Baarbürgler, 22.04.2024, 10:45 Uhr

    Ein Paradebeispiel, wie eine Gemeinde die Privatwirtschaft konkurrenziert. Mit "öffentlichkeitsnahen" Artikeln wird den Gemeinderäten hofiert, durch Inserateverkauf wird noch den letzten regionalen Medien das Wasser abgegraben. Und das ganze finanziert durch Steuern. Eigentlich unglaublich!!!

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    Kasimir Pfyffer, 22.04.2024, 09:48 Uhr

    Seit die Gemeinde diese Idee lanciert hat, wird sie dafür angepflaumt. Grundsätzlich ist mir eine von der Regierung mitfinanzierte Zeitung aber viel lieber als ein Blättchen, das z. B. von Swiss Regiomedia (Blochermedien, siehe "Luzerner Rundschau" selig) oder CH Media (Massenentlassungen und Kündigungen, siehe "Luzerner Anzeiger" selig) produziert wird. Doch all die Staats-Verächter und Reichsbürger, die sich regelmässig in Rage reden, wenn jemand schon nur "SRF" sagt, haben überhaupt kein Problem, wenn eine undurchsichtige private Firma dahinter steckt. Seltsam, nicht? Den Kleinreport sollte man übrigens als Quelle nicht zu hoch einschätzen. Das ist ein reiner Branchen-Klatsch-Dienst für gelangweilte Journalisten.

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