Baar: SRF-Urgestein Franz Lustenberger in Pension

«Verlautbarungsjournalismus reicht nicht. Das gilt für alle Medien»

Von wegen Ruhestand: Franz Lustenberger an seinem neu eingerichteten Arbeitsplatz in der eigenen Wohnung.

(Bild: Archivbild: wia)

Franz Lustenberger war über Jahrzehnte beim Schweizer Radio und Fernsehen tätig, seit 2003 als stellvertretender Leiter der Tagesschau. Seit wenigen Tagen ist er pensioniert. Der Baarer Medienschaffende erzählt im Interview, weshalb sich der Krieg besonders gut fürs Fernsehen eignet und was ihn an den Medien stört.

Fast dreissig Jahre lang war der Baarer Franz Lustenberger beim Schweizer Radio und Fernsehen tätig. Zuletzt als stellvertretender Redaktionsleiter der Tagesschau wie auch als Leiter des Resultatestudios bei nationalen Abstimmungen. zentralplus traf den frisch Pensionierten kurz nach seinem letzten Arbeitstag zum Gespräch.

zentralplus: Franz Lustenberger, Sie waren während der letzten 13 Jahre der stellvertretende Leiter der Tagesschau. Wie hat sich die Sendung während Ihrer Zeit dort verändert?

Lustenberger: Heute ist es im Vergleich zu früher viel schwieriger, eine News-Auswahl zu treffen. Noch vor zehn Jahren erhielt man im internationalen Bilderaustausch täglich etwa 50 bis 100 zweiminütige Videoclips. Heute sind es um die 1000. Entsprechend müssen sich die Medienleute heute viel stärker mit dem Auswahlprozess der Themen befassen. Ausserdem hat sich der Zuschauer verändert. Wir können nicht mehr nur einfach News liefern, denn das Publikum, auf das wir treffen, kennt die Neuigkeiten bereits. Darum muss die Tagesschau heute viel mehr erklären und vertiefen. Dies etwa mit Korrespondenten und Experten, oder aber indem wir Themen grafisch aufarbeiten und vertiefen. Dadurch soll für den Zuschauer ein Mehrwert entstehen.

zentralplus: Das klingt, als hätten sich die Formate Tagesschau und 10vor10 angenähert. 

Lustenberger: Wenn man so will, hat sich die Tagesschau der Sendung 10vor10 angenähert. Das heisst, die Kolleginnen und Kollegen von 10vor10 müssen noch mehr fokussieren.

zentralplus: Hat man also innerhalb desselben Hauses ein Konkurrenzverhältnis?

Lustenberger: Nun, ich würde das Verhältnis zwischen 10vor10 und Tagesschau als wohlwollende Konkurrenz betiteln. Man versteht sich recht gut, auch im Hinblick auf den neuen gemeinsamen Newsroom. Bereits in der Planung und am Tag selber werden die Themen und Stossrichtungen koordiniert.

«Wenn unerwartete Situationen passieren wie etwa ein Terroranschlag, sitzt du als Ausgabeleiter einer Sendung regelrecht auf Nadeln.»

zentralplus: Sie sind ja ein alter Hase in der TV-Branche. Kennen Sie heute noch Nervenkitzelsituationen oder hat man sich irgendwann ans Live-Fernsehen gewöhnt?

Lustenberger: Doch, den Nervenkitzel hatte ich bis zum Schluss. Denn im Prinzip ist jede Sendung eine Premiere. Aber natürlich ist die Nervosität dann am höchsten, wenn unerwartete Situationen passieren wie etwa ein Terroranschlag oder wenn man zum ersten Mal mit einem neuen technischen System arbeitet. Dann sitzt du als Ausgabeleiter einer Sendung regelrecht auf Nadeln.

zentralplus: Nach Ihrer Korrespondentenzeit in Luzern während der 90er-Jahre waren Sie nur noch hinter der Kamera tätig. Fehlte Ihnen das Rampenlicht?

Lustenberger: Überhaupt nicht. Das Moderieren traue ich mir nicht zu und ich bin der Ansicht, dass man bei dem bleiben sollte, was man kann. Um vor der Kamera zu arbeiten, muss man die Kamera gern haben und in gewisser Weise einen exhibitionistischen Charakterzug haben. Dazu kommt, dass Moderatoren einiges an Kritik einstecken müssen. Und die ist bei Weitem nicht immer sachlich.

Während 13 Jahren war Franz Lustenberger stellvertretender Tagesschau-Leiter bei SRF.

Während 13 Jahren war Franz Lustenberger stellvertretender Tagesschau-Leiter bei SRF.

(Bild: zVg)

zentralplus: An welche Sendung während Ihrer SRF-Zeit erinnern Sie sich besonders?

Lustenberger: Da fällt mir einerseits sicher die Haupttagesschau am 11. September 2001 ein, für die ich damals verantwortlich war. Anderseits aber auch die Papstwahl 2013. Um 19 Uhr, also eine halbe Stunde vor Sendebeginn, stieg weisser Rauch aus dem Kamin, man wusste aber noch nicht, wer gewählt war. Wir überbrückten die Zeit bis zur Tagesschau mit Filmeinspielungen, Schaltungen nach Rom und einem Expertengespräch, dann begann die Sendung und noch immer wusste man nicht, wer der neue Papst war. Letztlich hatten wir eine zweistündige Live-Sendung, in der wir nie richtig wussten, was als Nächstes passieren würde. So ähnlich geht das auch bei den Wahlen zu und her. Das sind dann zwar jeweils sehr herausfordernde, aber auch äusserst befriedigende Sendungen.

zentralplus: Und wie sind Sie von diesen Adrenalin-Trips jeweils wieder heruntergekommen?

Lustenberger: Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, nach der Arbeit jeweils zu Fuss vom TV-Studio in Leutschenbach bis zum Bahnhof Oerlikon zu gehen. Auch wenn das nur 15 Minuten sind, hat mir das jeweils geholfen, den Kopf durchzulüften und wieder runterzukommen.

«Ich spreche lieber von einer Verantwortung, die wir gegenüber dem Zuschauer haben, und nicht von Macht.»

zentralplus: Mit 600’000 Zuschauern täglich ist die Tagesschau in der Deutschschweiz neben «Meteo» die Sendung mit der höchsten Einschaltquote im Schweizer Fernsehen. Wenn man also für die Themenauswahl dieser Sendung zuständig ist, besitzt man eine gewisse Macht. Nehmen Sie das ebenfalls so wahr?

Lustenberger: Er überlegt kurz. Und sagt dann zögerlich: Ja. Natürlich haben wir einen gewissen Einfluss, alleine dadurch, welche Themen wir behandeln. Dennoch muss gesagt werden, dass es nie eine Person alleine ist, welche diese Entscheide fällt. Das ganze Redaktionsteam, von der Redaktionsleitung bis zum Moderator, redet bei diesem Prozess mit. Die Hauptaufgabe ist immer die gleiche: Aktuelles und Relevantes attraktiv aufzubereiten. Entsprechend hatten wir nur selten Grundsatzdiskussionen darüber, welches Thema wir bringen und welches nicht. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich spreche lieber von einer Verantwortung, die wir gegenüber dem Zuschauer haben, und nicht von Macht.

«Eine Demokratie braucht wache Bürger.»

zentralplus: Wie haben sich Journalistenjobs Ihres Erachtens in den letzten Jahren verändert?

Lustenberger: Ein grosser Unterschied zu früher besteht darin, dass man heute als Journalist auf der Gegenseite mit einem Heer von PR-Profis und Kommunikationsleuten konfrontiert wird. Journalisten müssen heute viel aufmerksamer sein, um nicht einfach im Sinne der Unternehmen, Verbände, NGOs oder Behörden zu agieren. Die Anforderungen an die Journalisten, eine kritische Distanz zu wahren, sind massiv gestiegen. Diese Thematik wird mit den sozialen Medien immer wichtiger, auch für die Bevölkerung. Eine Demokratie braucht wache Bürger.

zentralplus: Sind Journalisten eigentlich so links, wie man immer sagt?

Lustenberger: Ich denke, das hat nichts mit links oder nicht links zu tun. Medien sollten zu allem eine kritische Distanz haben, das ist der eigentliche Auftrag. Ausserdem glaube ich nicht, dass Medien grundsätzlich links sind. Aber wie gesagt, ich finde viel problematischer, dass Medien zunehmend behördengläubig sind.

zentralplus: Sie sind in einem sehr politischen Haushalt zu Hause. Ihre Frau Anna war Kantonsrätin bei der Alternative – die Grünen und ist noch immer politisch aktiv, Ihr Sohn Andreas vertritt dieselbe Partei seit 2013 im Kantonsrat. Wie einfach war es da für Sie, sich mit Ihrer politischen Meinung zurückzuhalten im Beruf?

Lustenberger: Indem ich abstrahiert habe, was die Anforderungen im Beruf waren und was meine Familie macht. Das muss man trennen können, sonst kommt es nicht gut. Und dann kommt noch etwas dazu.

«Es ist einfacher, den Krieg zu bebildern als den Frieden.»

zentralplus: Und zwar?

Lustenberger: Das Fernsehen hat seine Stärke bei bildstarken Themen, etwa aus dem Umwelt- oder dem Verkehrsbereich. Und es hat seine Stärke in der Personifizierung; Menschen machen ein Thema sichtbar und erlebbar. Das ist beim Bundesbudget etwas schwieriger. So ist es auch einfacher, den Krieg zu bebildern als den Frieden. Es lässt sich nicht verleugnen, dass das Medium die Themenauswahl mitbeeinflusst.

zentralplus: Gibt es auch Themen, von denen Sie irgendwann genug hatten?

Lustenberger: Natürlich gibt es die Themen, die vor allem auch die Zuschauer ermüden. Man muss nicht jedes Bombardement in Aleppo thematisieren. Da macht es eher Sinn, etwas seltener darüber zu berichten und das Thema dafür hin und wieder vertiefter zu behandeln.

zentralplus: Seit wenigen Tagen sind Sie nun pensioniert. Was machen Sie, dass Ihnen nicht langweilig wird?

Lustenberger: Ich lasse mich ja ein Jahr früher pensionieren und habe mich entsprechend auf diese Zeit vorbereitet. Meine Frau und ich haben etwa gerade die GmbH «Büro Lustenberger» gegründet, mittels der wir alle unsere Tätigkeiten bündeln können. So werde ich weiter für SRF Beanstandungen zuhanden der Ombudsstelle behandeln. Dann leiste ich ja bereits seit Jahren Freiwilligenarbeit in der Kirche Zug und in der Schüler-Austauschorganisation AFS. Weiter habe ich als freier Mitarbeiter begonnen, für den «Zugerbieter» zu schreiben. Dort vorläufig vor allem über kulturelle Themen. Letzte Woche habe ich etwa über ein Mandolinenkonzert der Musikschule Baar geschrieben.

zentralplus: Von der Papstwahl-Berichterstattung zum Mandolinenkonzert in Baar. Lokaler geht’s wohl kaum. Was reizt Sie daran?

Lustenberger: In gewissem Sinn ist ein Lokalblatt der Tagesschau nicht unähnlich. Der Leser muss sich in der Zeitung wiederfinden können, genau wie der Zuschauer sich angesprochen fühlen muss. Auch im Lokalen sind die kritische Distanz, eine gute Gewichtung und Fairness wichtig. Verlautbarungsjournalismus reicht nicht. Das gilt für alle Medien.

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