Diese Entlebucherin beobachtet für Meteo Schweiz

«Meine Schwiegermutter zählte dreissig Jahre lang jeden Blitz»

Silvia Hofstetter beobachtet für Meteo Schweiz den Kirschbaum vor dem Haus. (Bild: Marlis Huber)

Ob Buschwindröschen, Hasel oder Holunder: Silvia Hofstetter weiss immer, was diese gerade treiben. Was die Naturbeobachterin genau macht, welche Veränderungen sie feststellt und was sie über die Klimaerwärmung denkt.

Silvia Hofstetter lebt mit ihrem Mann und den zwei Kindern auf einem Bauernhof etwas oberhalb von Entlebuch. Hier oben, auf 960 Meter Höhe, beobachtet die 39-jährige Bäuerin für das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie 25 verschiedene Pflanzenarten in ihrem Jahresverlauf. Das macht sie bereits in zweiter Generation, denn auf dem Hof Than werden schon seit dreissig Jahren phänologische Beobachtungen, so der Fachausdruck für solche Beobachtungen, gemacht. Silvia Hofstetter erzählt, wie die Familie zu dieser Tradition gekommen ist.

Ein Herr aus Zürich am Gartenzaun

Damals, im Jahr 1989, sei eines Tages ein Herr aus Zürich an den Gartenzaun herangetreten und hätte ihre Schwiegermutter, Käthi Hofstetter, gefragt, ob sie Interesse hätte, die Natur zu beobachten. Diese sagte ganz spontan zu. «Dreissig Jahre hat meine Schwiegermutter das gemacht, sie hat alle ihre Beobachtungen von Hand auf einen Bogen notiert und diesen einmal im Monat an Meteo Schweiz geschickt», erzählt Silvia Hofstetter. So ist diese Tradition in die Familie gekommen.

«Meine Schwiegermutter hatte noch ein paar Pflichten mehr als ich», erinnert sich Hofstetter. «Wenn ein Gewitter aufzog, musste sie sogar die Blitze zählen. Zudem musste sie dreimal täglich die Niederschläge messen und auch das Wetter, also Wind, Regen und Wolkenbildung notieren.» Dadurch war ihre Vorgängerin sehr angebunden an Haus und Hof. «Trotzdem war das für sie weniger eine Pflicht, vielmehr fühlte sie sich dazu berufen», sagt die 39-Jährige.

Die 76-jährige Käthi Hofstetter wollte sich gegenüber zentralplus nicht über ihre langjährige Tätigkeit äussern. Sie sei schon in genügend Medien präsent gewesen, lässt sie verlauten.

Sie weiss, was Buschwindröschen, Haselstrauch und Lindenbaum treiben

Aber seit Anfang 2019 hat sowieso Silvia Hofstetter die Aufgabe von ihrer Schwiegermutter übernommen. Ob bei Buschwindröschen, Kirschbaum oder Linde, nichts bleibt von der jungen Bäuerin unbemerkt: Im Frühling notiert sie, wann die Blattentfaltung zur Hälfte erreicht ist, im Sommer, wann die Früchte reif sind  und wann im Herbst die Blätter zur Hälfte gefallen sind.

Nicht alle Pflanzen wachsen in unmittelbarer Nähe des Hofes. Um den Huflattich zu beobachten, muss sie ein Stück Weg auf sich nehmen, denn der wächst auf steinigen Böden in der Nähe des Waldes oberhalb des Hauses. Für die Weinrebe wiederum muss sie ins Dorf runter gehen. Auch die erste Heuernte wird notiert. Die  Temperatur und die Niederschläge werden aber seit drei Jahren automatisch gemessen. «Das gibt schon mehr Bewegungsfreiheit im Leben», sagt Silvia Hofstetter.

«Die Erwärmung schreitet in einem so rasanten Tempo voran, dass das für mich nicht mehr mit einer natürlichen Schwankung erklärbar ist.»

Damit die Resultate aussagekräftig sind und über die Jahre vergleichbar, ist es wichtig, dass es immer der gleiche Baum, der gleiche Strauch ist, den sie ins Visier nimmt. In einem kleinen Handbuch von Meteo Schweiz ist alles Relevante festgehalten, was die Naturbeobachterin für die zuverlässige Erfassung wissen muss.

Um noch mehr Erkenntnisse zu erlangen, werden Mitarbeiter von Meteo Schweiz die Bäume und Sträucher, die Hofstetter beobachtet, in nächster Zukunft sogar vermessen und eine Holzprobe aus dem Stamm entnehmen. Über die ganze Schweiz verteilt arbeiten für Meteo Schweiz 160 Personen, so wie es Silvia Hofstetter tut, sozusagen ehrenamtlich: 250 Franken bekommt sie pro Jahr und dazu werden alle Wetterbeobachter einmal jährlich zu einem Treffen eingeladen.

Die Klimaerwärmung findet vor der Tür statt

Und was denkt Silvia Hofstetter über die Klimaerwärmung? «Natürlich stelle auch ich fest, dass alles immer früher beginnt zu blühen und dass die Winter immer wärmer werden», sagt sie. «Der Hasel beispielsweise blüht bereits.» Die zunehmende Erwärmung ist für Silvia Hofstetter offensichtlich.

Eine allzu theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema Klimaerwärmung ist aber nicht ihre Sache, dazu fehlt ihr neben der täglichen Arbeit in Haus und Hof schlicht die Zeit. Dass diese zu einem grossen Teil menschengemacht ist, steht für sie aber ausser Zweifel. Auf das nach wie vor verbreitete Argument von Klimaskeptikern, dass es Klimaveränderungen schon immer gegeben habe, meint sie: «Das stimmt natürlich schon, doch die Erwärmung schreitet in einem so rasanten Tempo voran, dass das für mich nicht mehr mit einer natürlichen Schwankung erklärbar ist.»

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